Ende der Welt - Die tägliche Glosse "Elf Gebote für ein Hallejua"
Dafür, dass Menschen nach Höher! Schneller! Weiter! streben, war der Übergabeort der Zehn Gebote ein recht bescheidener, auf gerade mal 2285 Metern des Berg Sinai. Vorteil: Wenn es einmal weitere gibt, sind sie leicht zugänglich. Nicht auszudenken, hätte Moses auf den Mount Everest steigen müssen. Oder wären sie in höherer Höhe noch besser ausgefallen? Eine Glosse von Martin Zöller.
Aktuell stehe ich zuhause unter erhöhter Beobachtung, denn mein Sohn lernt in der Schule gerade die Zehn Gebote und ihre Entstehung. Jedes Verhalten von mir wird deshalb überprüft, und die Blicke meines Sohnes sind streng. „Hast Du heute nicht versehentlich eine Ameise oder Fliege getötet“, frägt er, „na?“. Bisher habe ich immer verneint und: ein Blitz vom Himmel hat mich bisher nicht getroffen.
Natürlich führt die Beschäftigung mit den Zehn Geboten zu sehr elementaren Fragen von Liebe, Tod, Sünde und Gott, sie führt aber auch zu sehr praktischen. Zum Beispiel haben wir im Atlas nach dem Berg Sinai gesucht und festgestellt, dass man jetzt kein Reinhold Messner sein muss, um dorthin zu kommen. Ohne religiöse Gefühle verletzen zu wollen: Die Durchquerung des roten Meeres war für Moses sicherlich der abenteuerlichste Teil seiner Reise. Die 2285 Meter auf den Berg Sinai würde man als Tourismusverein eher „Genusswanderung“ nennen oder mit Gerhard Polt „Fresh-Air-Snapping“ wie in „Bad Hausen“.
Durch ein Missgeschick meinerseits stellen sich nun noch weitere Fragen
Interessant ist auch die Frage, ob die Qualität der Zehn Gebote irgendwas mit der Höhe zu tun hat. Vielleicht gilt auch hier jenes Gesetz, dass wir von der Kulinarik auf Berghütten kennen. Auf 2285 Meter kriegt man halt so ordentliche Zehn Gebote, wie man auf einer leicht erreichbaren Berghütte, halt auch einen ordentlichen Kaiserschmarrn kriegt – aber vielleicht nicht den allerbesten. Wenn Moses weitergezogen wäre auf den Mount Everest, immerhin mehr als dreimal so hoch: Hätte er dreimal so viele Gebote bekommen oder dreimal so gute? Oder noch einprägsamere? Denn davon, alle zehn zu wissen, war ich leider meilenweit entfernt. Wir machten ein Spiel, mein Sohn musste erkennen, ob echtes Gebot oder von mir erfunden. Irgendwann war es ihm ein leichtes, „Du sollst deine Wäsche ordentlich zusammenlegen“ als meine neuzeitliche Erfindung zu identifizieren.
Durch ein Missgeschick meinerseits stellen sich nun noch weitere Fragen, da ich beim Schreiben dieses Textes versehentlich auf die „9“ tippte, statt auf die „0“ und plötzlich da stand „19 Gebote“. Neun weitere Tafeln! Für mich und meine Gebote! Was draufschreiben? Idealerweise wäre es ja auch was lebensnahes, mit dem vor allem junge Menschen etwas anfangen können, also: Du sollst essen was auf dem Tisch kommt! Du sollst nicht die ganze Zeit am Handy hängen! Hmm. Gar nicht so leicht. Neue Gebote müssen zeitlos und im Alltag praktisch anwendbar sein. Vorschläge? Jederzeit.
Und logistisch, wer holt die neuen Gebote vom Berg Sinai ab, die dort vom himmlischen 3D-Drucker bereitgestellt werden? Er müsste halt bereit sein zu extremen Touren à la Moses, Bart tragen und im Zweifelsfall auch mal stur 2000 Kilometer durch die Wüste laufen. Da gibt es nur einen: Reinhold Messner, bitte kommen, der Berg Sinai ruft!