Ende der Welt - Die tägliche Glosse Faszination Steine
In Südkorea und China finden immer mehr Jugendliche Trost in verzierten Steinen. Diese mit Knopfaugen und Accessoires geschmückten Steine sollen bei Burnout und emotionaler Überforderung helfen. Machen wir uns also nicht lustig über diesen Trend! Eine Glosse von Peter Jungblut.
Wo die Liebe hinfällt, ist manchmal schwer nachzuvollziehen, in diesem Fall besonders schwer: In Südkorea und China entdecken angeblich immer mehr Jugendliche ihr Herz für Steine. Sie bekleben sie mit zwei niedlichen Knopfaugen und verpassen ihnen Strohhüte, Schleifen, Miniaturbrillen oder Lätzchen. Das soll helfen, und zwar bei Burnout und überhaupt jeglicher Art emotionaler Überforderung, wie Teenager im Netz behaupten.
Seien wir ehrlich: In unserer Pubertät war so ziemlich jedes Problem zum Steinerweichen, sogar der Führerschein, und im Geldbeutel war eigentlich nie genug Schotter. Es soll Leute geben, die den Stein, der ihnen nach dem Vorstellungsgespräch vom Herzen fiel, bis heute aufbewahren. Manchem Exemplar ist sogar noch anzusehen, wo es der stete Schweißtropfen gehöhlt hat. Machen wir uns also nicht lustig über den Trend aus Ostasien!
Wer darüber lacht, hatte vermutlich noch nie einen Stein im Brett und weiß gar nicht, wie er sein Leben ins Rollen bringt. So ein Stein vermittle ein Gefühl der Ruhe, behaupten ostasiatische Jugendliche, die einen bei sich zu Hause verhätscheln – schließlich habe der Stein im Laufe der Zeit viel durchgemacht, um zu dem zu werden, was er heute sei. Dem ist schwer zu widersprechen, schließlich müssen wir uns alle durch den Zwiespalt zwischen Evolution und Erosion quetschen und darauf hoffen, dass wir dabei nicht vorzeitig versanden.
So ein Stein war ja in der Regel mal ein Fels, womöglich sogar in der Brandung, und nicht selten ist sein Schicksal geradezu erschütternd, vor allem dann, wenn er nicht in einem Kinderzimmer in China, sondern im Gleisbett landet. Dort kann so sein Stein schon mal Selbstzweifel bekommen, wenn er Tag für Tag die Züge abfedert und trotzdem nichts zur Pünktlichkeit beiträgt.
Steine im politischen Getriebe
Von da bis zum Burnout ist es tatsächlich nicht mehr weit. Ähnlich muss es all den Steinen des Anstoßes ergehen, die im Berliner Regierungsviertel herumliegen. Kein Tag vergeht, an dem sie nicht in die Kugelmühle irgendeines Leitartiklers geraten, und statt danach als dekorative Murmeln herauszukommen, liegen sie der FDP im Magen, übrigens ganz ohne Knopfaugen. Wer weiß, ob Christian Lindner nicht auch mal heimlich auf Granit beißt, um sich emotional zu stabilisieren?
Er muss ja nicht unbedingt chinesische Teenager fragen, wie das genau geht: Friedrich Merz zum Beispiel hatte einen dermaßen steinigen Aufstieg, dass er mit dem ganzen Kies ein Privatflugzeug mit Wunschkennzeichen anschaffen konnte, und wenn ihm Angela Merkel noch ein paar Steine zusätzlich in den Weg legt, könnte es für eine eigene Fossiliensammlung reichen. Markus Söder steuert sicher gern ein paar steingewordene Koalitionsaussagen bei und Olaf Scholz dürfte vom letzten Vulkanausbruch der SPD noch genug erkaltete Solidaritätsbekundungen haben, um ein paar davon als Dauerleihgabe entbehren zu können.
So, wie die Steine gerade in Mode kommen, würde es nicht wundern, wenn die Fernsehsender in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs überhaupt nur noch Lava-Zungen einladen. Hoffentlich fangen die Wahlzettel kein Feuer! Bis dahin empfiehlt sich ein Herz aus Stein, mit und ohne Lätzchen.