Ende der Welt - Die tägliche Glosse Guilty Pleasure Wiesn
Es gibt Vergnügen, denen wir zwar nachgeben, die allerdings ein gewisses Schuldgefühl bei uns hinterlassen: guilty pleasure nennt man das und wenn dieses auf das Oktoberfest trifft, dann steht Perfektion und Performance einem Hendl und einer Mass gegenüber. Und wer als Sieger hervorgeht ist klar… . Eine Glosse von Johannes Marchl.
Was zeichnet den Menschen aus? Das Streben nach Erkenntnis? Mhhmmm… Oder doch eher das Streben nach Vergnügen?! Wenn man seit Samstag Mittag auf eine berühmte Wiese im Herzen Münchens schaut, bleibt kein Zweifel, zu dieser Erkenntnis ist nicht viel erforderlich.
Und trotzdem sollten wir die Wiesn an dieser Stelle einmal in den Kontext von Lust und Laster, von Vergnügen und Tugend setzen. Kein geringerer als Aristoteles war es nämlich der Lust und Vergnügen sowohl in Verbindung mit Laster, als auch mit Tugend sah. Was bedeutet das? Mit einer ehrenhaften Tat verbunden – sagt Aristoteles – kann Lust Tugend sein. Aber ist die Lust mit einer bösen Tat verbunden, dann Laster!
Auf die Wiesn bezogen würde das heißen: Laster auf alle Fälle, wenn man „Who the … is Alice“ grölt oder in der Hitze des Gefechts Bierkrüge auf Körperteile knallen lässt – zum Beispiel auf Köpfe. Wenn jedoch der ganze Tisch auf eine achte oder zehnte Runde Massen eingeladen wird, fällt das wohl eher unter die Rubrik „ehrenhafte Tat“ – schon allein wegen des Bierpreises - und damit: Tugend.
Über das Schöne freut man sich, so Kant, das Gute wird in höchster Wertschätzung gehalten, während das Angenehme lediglich befriedigt
Der Philosoph Immanuel Kant führt das weiter aus und unterscheidet zwischen dem Angenehmen, dem Schönen und dem Guten. Über das Schöne freut man sich, so Kant, das Gute wird in höchster Wertschätzung gehalten, während das Angenehme lediglich befriedigt.
Jetzt werden viele Wiesngängerinnen und Gänger sagen: Die Wiesn ist so unendlich herrlich und schön, das Bier erfährt unsere höchste Wertschätzung, und befriedigt wanken wir dann hinterher heim, was kann es Besseres geben, als das Schöne, das Gute und das Angenehme zu verbinden?! Aber halt! So einfach macht uns das der alte Kant jetzt auch wieder nicht! Denn in den Gehirnzellen Kants ist das Vergnügen nur die Befriedigung eines Bedürfnisses, ein schuldiges Vergnügen also. Ein guilty pleasure.
Womit wir im hier und heute angekommen sind. Denn in der vergangenen Woche hat eine Kollegin im größeren Kreis gestanden: Sie habe ein guilty pleasure, nämlich das Oktoberfest. Sie liebe Volksfeste im Allgemeinen und die Wiesn im Besonderen. Ich gestehe: ich musste sofort an meine guilty pleasures, an meine schuldigen Vergnügen denken, die ich im allgemeinen eher in unseren vier Wänden auslebe: zum Beispiel jeden noch so schwachsinnigen Sportfilm dieser Welt zu schauen. Meine Frau liebt es übrigens, Prospekte vor dem Schlafengehen durchzublätter, aber das nur am Rande…
Aber vielleicht ist das öffentlich machen des guilty pleasure ja die richtige Methode: rauszugehen, zu gestehen, und damit das Vergnügen schon viel, viel weniger guilty zu machen. Ein Hendl in Ehren, gepaart mit einer Mass lässt uns Perfektionismus und Performance vergessen, peinlich war gestern, mach einfach, du bist in bester Gesellschaft, zum Beispiel eines Ministerpräsidenten: Henriquatre-Bart und kurze Lederbuchsn, alles geht, Hauptsache du hast Freude daran. Auch wenn du tief drin in dir weißt, dass du es eigentlich nicht tun solltest…