Ende der Welt - Die tägliche Glosse Kein Schnee auf dem Fuji-San
In Japan zeigt sich das Nationalheiligtum, der Fuji-San, zum erstenmal seit Beginn der Aufzeichnungen vor 130 Jahren zu Anfang November ohne Schnee. Sie könnten von den durchs winterliche Schmuddelwetter abgehärteten Berlinern lernen, wo an diesem Wochenende der erste Weihnachtsmarkt eröffnet wurde. Eine Glosse von Georg Bayerle.
Wahrscheinlich hätten Viele eine ungeahnte Begeisterung für das Schulfach Physik entwickelt, wenn wir uns damals eingehend mit Schnee beschäftigt hätten: dieses Naturphänomen, das Wasser um die null Grad an Kristallisationskeimen gefrieren lässt, erzeugt immer sechseckige Strukturen: Flocken, Plättchen oder gar Kristalle, so feinziseliert, dass auch im größten Schneegestöber keines dem anderen gleicht. Wahrscheinlich wäre ich heute noch dabei, die Unendlichkeit der Erscheinungsformen des Schnees zu durchstreifen – sofern…, ja, sofern es schneit.
Während sich die Supermarktregale zuverlässig seit Ende der Sommerferien mit Schoko-Weihnachtsmännern gefüllt haben und die entsprechende Industrie längst zur Produktion von Ostereiern und -hasen übergegangen ist, stellt sich spätestens heute die Frage nach weißen Weihnachten. Die Enttäuschung ist praktisch vorprogrammiert, denn alle Jahre wieder kommt zwar das Christkind, aber wo bleibt der Schnee.
Das fragen sie sich gerade vor allem in Japan, wo sich das Nationalheiligtum, der Fuji-San, zum erstenmal seit Beginn der Aufzeichnungen vor 130 Jahren zu Anfang November ohne Schnee zeigt. Was wären die Bilder von Hokusai und anderen ohne die weiße Kappe auf dem knapp 3800 Meter hohen Bilderbuchvulkan. Eben noch im Mai hatte die Stadt Fujikawaguchiko einen Foto-Spot auf den Zauberberg mit schwarzen Matten verhängen lassen, weil der Ansturm samt der Hinterlassenschaften wie Essensresten und sonstigem Müll, nicht zu bändigen war. Auch der Eintrittspreis für die Besteigung wurde erhöht.
Glühwein am Fujiyama könnte auch die Japaner über manche Klimaveränderung hinwegtrösten
Jetzt aber ist der japanische Götterberg sozusagen defekt. In Japan zählt die bildhafte Romantik von Kirschblüten-Hanami bis zum schneeweißen Fuji noch viel. Hierzulande pflegen Berliner, durchs winterliche Schmuddelwetter abgehärtet, längst eine pragmatische Einstellung zu derlei romantischer Verklärung, die wir den Japanern dringend ans Herz legen möchten.
In unserer deutschen Hauptstadt hat, Schnee hin oder her, an diesem Wochenende der erste Weihnachtsmarkt geöffnet; desgleichen auch in den weiteren Schmuddelwetterstädten Hamburg und Essen. Der Budenzauber kompensiert den fehlenden Schnee und zwar am besten so frühzeitig, dass erst gar keine weiteren Fragen auftauchen.
Glühwein am Fujiyama könnte auch die Japaner über manche Klimaveränderung hinwegtrösten. Ansonsten hätten wir aus den Alpen natürlich noch die Weltmarktführer für Schneekanonen zu bieten. Mit der neuesten Technologie wäre die Gipfelkappe des Fuji-San in cirka 48 Stunden grundbeschneit. Der Maschinenschnee ist zwar kristalltechnisch eine Enttäuschung, aber wen stört’s, wenn es nur weiß ausschaut.