Bayern 2 - Die Welt am Morgen


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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Stuttgart 26 statt Stuttgart 21: Es wird ein bisschen später

Viel teurer, viel später fertig: Ahnen Sie, um welches Bauprojekt in Deutschland es geht? Nein, nicht um die Elbphilharmonie in Hamburg, nicht um die 2. Stammstrecke in München, sondern um Stuttgart 21. Was steckt hinter der neuesten Nichtvollzugsmeldung der Bahn? Eine kleine Tour durch unterirdische Gedankengänge. Eine Glosse von Ralf Thume.

Von: Ralf Thume

Stand: 12.06.2024

Vorgestern, aber es fühlt sich an, als wär’s erst gestern gewesen, haben wir erfahren, dass Stuttgart 21, Sie verstehen schon – der Bahnhof, nun doch nicht Ende nächsten Jahres fertig wird, sondern erst ein Jahr später. Also 2026. Ende 2026. Fertig werden soll. Sagt die Bahn.

Für uns ist das erst heute Thema – aber nicht, weil wir’s verpennt hätten. Das ist eine ganz bewusste Entscheidung, weil man, wenn’s um die wichtigen Dinge im Leben geht, zum Beispiel darum, ob man sich mit jemandem duelliert oder ob man sich von jemandem scheiden lässt oder ob man gleich wieder auf die Bahn eindrischt, eine Nacht drüber schlafen sollte. Also: Zurückbleiben, bitte! Schauen wir uns das Ganze genauer an.

Wissen Sie noch, warum Stuttgart 21 Stuttgart 21 heißt? Nein, nicht weil’s 2021 fertig werden sollte. 2019 war ursprünglich mal angedacht, als man mit dem Vorvorplanen begann, im Jahr 1970 nach Christus. Stuttgart 21 heißt so, weil’s ein Jahrhundertprojekt ist, ein Projekt fürs ganze 21. Jahrhundert, um zum Beispiel die Fahrtzeit von Waiblingen nach Reutlingen um sechs auf 55 Minuten einzudampfen.

Durch die unterirdischen Gewölbe von Stuttgart 21 geistert übrigens das Gerücht der Umbenennung

Welch glückliches Händchen die Bahn bei der Wahl der Zahl doch bewiesen hat! Nur Erbsenzähler können sich drüber echauffieren, dass der Bahnhof nun halt nicht mehr Ende des ersten Viertels des 21. Jahrhunderts fertig wird, sondern gleich zu Beginn des zweiten.

Durch die ruhige Hand des Bauherrn steht ein baden-württembergischer Durchgangsbahnhof schon jetzt in einer Reihe mit Bauwerken wie den Pyramiden von Gizeh, dem Kölner Dom, der Sagrada Familia in Barcelona, bei denen’s auch länger gedauert hat oder hoffentlich noch länger dauert. Warum will man unbedingt immer fertig werden? Nur das Unfertige lädt ein zum Träumen - wie wunderbar es hätte werden können. Kein Vergleich mit der schnöden Wirklichkeit. Nur in den Zügen nach Nirgendwo kommt unser Fernweh ans Ziel.

Durch die unterirdischen Gewölbe von Stuttgart 21 geistert übrigens das Gerücht der Umbenennung. In Stuttgart 26. Das entbehrt jeder Grundlage! Denn das würde ja signalisieren, dass man nicht schon im Jahr 26 fertig wird, sondern erst im 26. Jahrhundert! Und das hält doch wirklich niemand für möglich, oder?


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