Bayern 2 - Die Welt am Morgen


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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Wahrheit in der Werbung

Ausgerechnet in der Werbung dürfen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs Begriffe nur noch verwendet werden, wenn gleichzeitig erklärt wird, was dahintersteckt. Was das für andere Begriffsfelder bedeutet, ist gar nicht abzusehen. Eine Glosse von Georg Bayerle.

Von: Georg Bayerle

Stand: 01.07.2024

In unserer von der Lüge getränkten Realität naht die Orientierung ausgerechnet durch die Werbung: nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs darf der Begriff „klimaneutral“ in der Werbung nur noch benutzt werden, wenn gleichzeitig erklärt wird, was dahintersteckt.

Man muss sich nur die jüngsten Talkshowauftritte von Politikern oder Regierungserklärungen anhören, um zu ermessen, was so eine Verpflichtung auf wahrheitsgemäße Sprache bedeutet! Galt doch bisher die Regel der Zigarrenproduzenten, die ihre qualmenden Produkte mit Namen wie „Paradiso“ oder „Magicos“, also Paradies oder Magie bewerben. Wenn sie ab jetzt erklären müssen, was das für ein Paradies sein soll?

Oder denken wir an ähnlichlautende Hotelnamen, die uns alle Jahre wieder auch in diesem Sommer in typische Touristenfallen locken werden, wenn hinter dem Hotel „Paradiso“ statt der Strandnähe die Schnellstraße liegt. Tausende Klagen wegen entgangener Urlaubsfreuden werden im September davon Zeugnis ablegen und von Neuem die Gerichte zu sprachphilosophischen Urteilen veranlassen.

Für Sprachfans ist die Werbung immer schon eine Quelle der Freude: voller Lug und Trug und Sprachverrenkungen. Beim Kleiderkauf etwa: „slim fit“ galt ja jahrelang als non plus ultra, also der figurbetonte, enge Schnitt. Da der aber immer weniger zur gesellschaftlichen Realität passt, wurden Formen wie Begriffe gedehnt: „Slimmy tapered“ sind Hosen, die oben komfortabel und weit und nur noch unten eng sind. Das ist dann eben das „modern slim“, also zu deutsch: das „neue Schlank“. Wenn sich jetzt nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs Heerscharen von Sprachwissenschaftlern über die Werbung hermachen und ihr die Wahrheit einbleuen, dann dürfen wir gespannt sein.

Wer möchte denn des „Pudels Kern“ wie weiland Doktor Faustus wirklich kennen?

Aber ist es nicht eigentlich Sinn der Werbung wie der Politik, uns durch trügerische Einbildungen und Sonntagsreden von der Begriffe wahrer Bedeutung abzulenken? Wer möchte denn des „Pudels Kern“ wie weiland Doktor Faustus wirklich kennen?

Dazu passt die heutige „Fachtagung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung“: Sie widmet sich der Frage, ob die Atomkraftwerke als Denkmäler taugen. Der daneben lagernde Müll am besten gleich mit dazu. So wird aus der Entsorgung ein „Erinnerungsort und Wissensspeicher“ mit garantierter ‚Ausstrahlung‘. Mal schauen, ob die höchstrichterliche Wahrheitsinitiative in der Werbung auch auf andere Begriffsfelder abfärbt; wie neulich die neuen Jeans, ‚vintage stone washed‘, versteht sich; total modern.


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