Bayern genießen Bayern genießen im Oktober - Brot
Das Bier und das Brot stehen ganz am Anfang der menschlichen Kultur. Schon allein deswegen ist Brot nicht irgendein Lebensmittel, Brot ist der Anfang von allem. Und es lohnt, sich das immer wieder ins Bewusstsein zu rufen.
Brrrr. Das kann alles heißen. Brr – so kalt ist es, dass es mich schüttelt oder brrr – es brodelt. Dieses Wort Brodeln fängt auch nicht von ungefähr mit Brr an. Alles, was sich schüttelt, was zum Gären anfängt, was kocht, kurz alles, was in Bewegung gerät, sich rührt, haben die allerersten Bauern mit dem lautmalerischen Brr bezeichnet. Das Prasseln des Regens, das Brausen des Windes, das Sprudeln des Brunnens, das Brennen des Feuers, schließlich auch das Brauen des Biers, dessen Malz-Brühe ja tatsächlich gären, brodeln muss – und natürlich gehört auch das Brot in diese Kategorie. Auch hier muss der Sauerteig gären, wirft Blasen, brodelt eben.
Die einzelnen Themen
- Vielfalt: Frankens Brotkosmos in Nürnberg
- Fundament: Die Brotsuppe oder Wasserschnoizn in Oberbayern.
- Ursprung: Das Biertrebernbrot aus dem niederbayerischen Oberndorf
- Grundlage: Die Hostienbäckerei im unterfränkischen Kloster Rödelmaier
- Fleiß: Die neuen Ideen eines Bäckers aus Augsburg.
- Ruhe: Woran man handwerkliches Brot erkennt.
Franken: Brotkosmos in Nürnberg
Die Wurzel Brr macht es deutlich: Eigentlich ist nur das Brot aus vergorenem Sauerteig wirkliches Brot. Das einfache ungesäuerte Brot hat deswegen ursprünglich anders geheißen: Chlab oder Chlaib, wovon unser Wort Laib genauso stammt wie das englische Loaf oder das russische Chleb. Drin steckt die gleiche Wurzel wie in Leben – Brot ist also das Lebensmittel schlechthin.
Heute bezeichnet Laib vor allem eine Brotform. Eine Form unter vielen. Alles was die Form eines Brotes hat, kann mit Laib bezeichnet werden – vom Lebkuchen bis zum Leberkäs. Daneben gibt’s aber noch unzählige andere Brotformen, Wecken, die so nach ihrer Keilform heißen, Stangen, Schuberl, also zusammengeschobene kleine Teigformen, dazu Zöpfe oder Brezen – die Vielfalt ist groß. Und fast nirgends auf der Welt ist sie größer als bei uns in Bayern. Und innerhalb Bayerns wiederum ist Franken das vielfältigste Brotland. Franken ist ein regelrechter Brotkosmos. Und dessen Zentrum liegt seit fast hundert Jahren mitten in Nürnberg.
Brot aufbewahren:
Hier der Tipp von Helmut Schwarz, wie man Natursauerteig-Brot aufbewahrt: Frisches Holzofenbrot am besten in der Papiertüte in der es verkauft wurde im Brotkasten aufbewahren. Nach 2-3 Tagen ist es durchgezogen und hat sein Aroma entfaltet, dann schmeckt es am besten.
Oberbayern: Die Brotsuppe oder Wasserschnoizn
Brot ist Grundnahrungsmittel – selbst in Gegenden wie Oberbayern, wo eigentlich die Viehzucht und die Milchwirtschaft im Vordergrund stehen. Den Duft von frisch gebackenem Brot finden wahrscheinlich die Menschen überall auf der Welt verlockend. Was aber nichts an der Tatsache ändert, dass gutes Brot bestimmte Geschmacksnuancen erst entfaltet, wenn es schon etwas älter ist. Bekömmlicher ist älteres Brot mit Sicherheit, denn frischgebackenes Brot kann nachgären und dadurch Blähungen verursachen.
In ärmeren Zeiten – die ja bekanntlich gar nicht so lang her sind, hat man deswegen frisches Brot für ungesund gehalten – für den Bauch und für den Geldbeutel, weil halt vom frischen Brot gern ein bisserl mehr gegessen worden ist. „Altes Brot macht Wangen rot“ lautet der hergebrachte Spruch. Wer einmal richtig Hunger gehabt und erlebt hat, wie herrlich gut gekautes trockenes Brot schmeckt, möchte eh nicht drauf verzichten.
Jeder Feinschmecker weiß, dass die besten Gerichte oft den aus der blanken Not geborenen kulinarischen Erfindungen vergangener Tage zu verdanken sind. Und tatsächlich: Was täten wir ohne altes Brot? Es gäb keine Semmel- oder Brotknödel, keinen Semmelschmarrn und natürlich auch keine Brotsuppe. Deren einfachste Variante, die Wasserschnalzen, heißt nach Johann Andreas Schmeller vielleicht so, weil dafür in heißem Fett angebratene Zwiebeln einfach mit Wasser aufgegossen werden, was ein schnalzendes Geräusch verursacht.
In dieser einfachsten – nicht unbedingt schlechtesten – Form macht die Brotsuppe kaum jemand mehr. Aber es gibt sie schon noch, die Wasserschnalzen-Köchinnen. Eine davon ist die Erna Eberwein aus Dellnhausen in der Hallertau, deren Schwiegervater, der Josef Eberwein, sogar einen Zwiefachen auf die Wasserschnalzen komponiert hat. Die Erna Eberwein jedenfalls weiß, was sie für die Komposition der Wasserschnalzen braucht, Zwiebeln, Fett, Wasser natürlich…
Schwaben: Die neuen Ideen des Bäckers in Augsburg
Die Breze, das Zunftzeichen der bayerischen Bäcker, ist ein uraltes Gebildbrot. Sie symbolisiert die zum Gebet vor dem Körper verschlungenen Arme. Die Römer haben sie deswegen „bracchiatellum = Ärmlein“ genannt. Spätlateinisch hat man das braziatellum ausgesprochen – daraus ist dann unser Wort Breze oder Brezel geworden. Als „Bayerische Brezn“ ist sie übrigens von der europäischen Kommission geschützt mit dem Signet „Geschützte Herkunftsbezeichnung“.
Dabei handelt es sich natürlich um die klassische „Laugenbrezel“ – wobei man sagen muss: heutzutage klassisch. Im Mittelalter beispielsweis hat man die Natronlauge, mit der aus einem normalen Semmelgebäck, einem Weißbrot also, ein braunes Laugengebäck wird, noch gar nicht gekannt. Die Lauge ist eine Innovation des bayerischen Bäckerhandwerks, die sich inzwischen weit über Bayerns Grenzen hinaus verbreitet hat. Das zeigt, wie ideenreich die bayerischen Bäcker immer schon waren, deren große Zeit ja erst am Ende des 19. Jahrhunderts begonnen hat.
Bis dahin waren auf dem Land Backöfen und Hausbäckerei die Regel und die handwerklichen Bäcker vor allem dazu da Weizen- oder Weißbrot auf die Tische bessergestellter Herrschaften zu bringen.
Das 20. Jahrhundert schließlich erlebte den Siegeszug der Bäckereien überall im Land und gleichzeitig den Beginn des Niedergangs, der eingeleitet wurde, durch die großen Backfabriken, deren Filialen – oft genug getarnt als kleine Bäckereien – mittlerweile überall zu finden sind. Viele der handwerklichen Bäcker versuchen längst, mit Hilfe von industriellen Backmischungen mit der Effizienz dieser Industriebetriebe mitzuhalten. Die Folge ist ein überall spür- und schmeckbarer.
Oberpfalz und Niederbayern: Biertreberbrot aus Oberndorf
Noch einmal zur Wurzel Brr. Es spricht einiges dafür, dass die Jäger und Sammler der Steinzeit sesshaft wurden, weil sie draufgekommen sind, dass man aus Gräsersamen ein berauschendes Getränk vergären konnte – das Bier.
Schon im babylonischenen Gilgamesch-Epos heißt es „Er trank Bier – sieben Becher. Sein Geist entspannte sich, er wurde ausgelassen. Sein Herz war froh und sein Gesicht strahlte.“ Erst später ist man dann drauf gekommen, dass man aus dem gleichen Material, mit dem man gebraut hat, auch Brot machen kann. So wie Bier also flüssiges Brot, ist Brot nix anderes als gebackenes Bier.
Ganz deutlich wird das in einer kleinen Brauerei mit Wirtshaus in Oberndorf, einem im Donautal zwischen Kelheim und Regensburg versteckten Ortsteil von Bad Abbach. Dort backt die Wirtin „Biertreberbrot“. Das bedeutet: Sie nimmt die in der Brauerei anfallenden Reste des Malzes und verbackt es in ihr Bauernbrot. Womit sich gewissermaßen der Kreis zu den allerersten Anfängen der menschlichen Kultur schließt.
Treberbrot nachbacken:
Und wer das Biertreberbrot nachmachen will, aber keine Biertreber hat, der kann einfach beim Bräu von Oberndorf vorbeischauen. Johann Berghammer ist mit den Resten des Bierbrauens freigiebig. Einen halben Eimer des malzhaltigen Rohstoffs gibt es immer umsonst. Die Brauerei Berghammer liegt in Oberndorf, das ist ein kleiner Ort an der Donau in der Nähe von Bad Abbach im Landkreis Kelheim. Die Adresse der Brauerei ist Donaustraße 55.
Mainfranken: Die Hostienbäckerei im unterfränkischen Kloster Rödelmaier
Bier und Brot sind Geschwister – das eine, das berauschende Bier dient dem Über-Leben, dem Kontakt mit den Göttern im Himmel. Das nahrhafte Brot, der Laib ist das Leben auf der Erde, das Leben schlechthin. Heilig sind beide.
Gemeinsam in einer Runde zu sitzen und miteinander Brot zu teilen und zu essen, gehört seit Jahrtausenden zu den grundlegenden Erfahrungen, die das menschliche Sozialleben zu bieten hat. Eine entsprechend große Rolle spielt das Brot noch in den heutigen Weltreligionen. Im Islam zum Beispiel genießt das Brot als „Geschenk Allahs“ eine besondere Anerkennung unter den Lebensmitteln - und es gilt das Verschwendungsverbot von Brotresten bis zum letzten Krümel. Beim jüdischen Sedermahl gehört unbedingt „Matze" auf den Tisch: ungesäuertes Brot als Symbol für die Eile, in der die Juden aus Ägypten fliehen mussten.
Und in der katholischen Eucharistiefeier vergegenwärtigt sich der Leib Christi nach der Wandlung in der Gestalt von Wein und Brot. Einst brachten die Gläubigen dazu Alltagsbrot von zu Hause in die Messe mit, aber so etwa im 8. Jahrhundert kamen die ersten Hostien auf: kleine Oblaten aus Wasser und Weizenmehl, die dann durch die Wandlung konsekriert, also in etwas Heiliges überführt werden. Zweieinhalb Millionen solcher millimeterdünnen Oblaten verlassen jedes Jahr das Dorf Rödelmaier im unterfränkischen Landkreis Rhön-Grabfeld. Im dortigen Karmel-Kloster gibt es eine Hostienbäckerei und einmal in der Woche gebacken.
Jochen Wobser hat den Schwestern beim Backen zugeschaut:
München: Woran man handwerkliches Brot erkennt.
Auch die Semmel ist übrigens eine typisch bayerische Spezialität – und ganz was anderes als ein Brötchen. Auch sie ist ein Erbe der römischen Vergangenheit Bayerns. Simila haben die Römer feistes Weizenbrot genannt. Daraus wurde bei uns im Mittelalter „semala“, kurz unsere heutige Semmel.
Im kalten Germanien ist bloß der grobe graue Roggen gewachsen – Weißbrot war dort also unmöglich. Die Kostbarkeit Weizenbrot drückt sich auch in der Form aus: Man hat das Weißbrot, anders als das Roggenbrot, zu kleineren Laiben oder Wecken geformt und oft noch verziert, woraus unsere Semmel oder Semmelwecken oder Semmelstangen entstanden sind. Erst später hat man das in Norddeutschland nachgemacht und als Bezeichnung einfach die dortige Verkleinerungsform von Brot, das Brötchen eingeführt. Mittlerweile droht aber dieses vergleichsweise junge und, mit Verlaub, kulturlose Brötchen, den einheimischen Semmeln auch hierzulande den Rang abzulaufen.
Denn die Werbung der Industriebetriebe kennt oft genug keine Semmel mehr. Und daher kommen mittlerweile immerhin 70% des bei uns verzehrten Brotes.In den 60ger Jahren gab es in München beispielsweis noch 300 Bäckereien, heute sinds noch 80. Ludwig Neulinger, in dessen Kellerbackstube seit 1898 Brot gebacken wird, ist darunter einer der wenigen Bio- und Handwerksbäcker, der noch wirklich weiß, wie eine gute handwerklich gemachte Semmel ausschaut.
Unser tägliches Brot gib uns heute. Aber man muss gar nicht religiös argumentieren, um zu wissen, welchen Stellenwert das Brot bei uns einmal genossen hat und, wennman ehrlich ist, immer noch genießen sollte. Selbstverständlich wirft man davon nichts weg – nicht nur deswegen, weil damit das Brot verdirbt, sondern vielmehr, weil damit der Wegwerfer zeigt, wie verdirbt, sagt man in Altbayern, also verdorben, er ist. Und selbstverständlich wurden immer schon die allerletzten Reste und Brosamen verwendet und wiederverwendet.
Bei unseren Kollegen vom Fernsehen ist das heute Thema. In Zwischen Spessart und Karwendel geht’s nämlich um die Schoarnbladl, Eine Spezialität, bei der aus Restbrotteig Fleckbrote gemacht werden. In zwei Stunden um 15 Uhr auf BR alpha. Wir vom Radio wünschen Ihnen derweil einen schönen Sonntag.