25 Jahre Sopranos Wie diese Familie das Fernsehen auf den Kopf stellte
"Die Sopranos" gelten als Mutter aller TV-Serien. 86 Episoden in 6 Staffeln über einen Mafia-Boss und seine Panik-Attacken. Vor 25 Jahren wurde die erste Folge ausgestrahlt. Ein Blick zurück - mit Pasta.
Hinweis: Dieser Text enthält kleine Spoiler.
Wenn man nicht weiß, was Tony Soprano beruflich wirklich macht, könnte man meinen, die Sopranos sind ein völlig normale Familie: Hübsche Tochter, die auf die High School geht, pubertierender Sohn mit leichtem Babyspeck und eine top gepflegte, treusorgende und tiefgläubige Mutter. So weit, so normal.
Und dann ist da ein Familienvater mit Panikattacken, von denen niemand in seinem etwas speziellen Arbeitsumfeld wissen darf: Ein Mafioso, der auf der Couch liegt? Ein Mafiaboss, der ohne Filter und sehr wahrhaftig dargestellt wird? Eine Kulturrevolution, die im Fernsehen damals völlig neu war.
Kann das funktionieren? Ja, sagte uns damals die Berliner Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Päffgen: „Das ist ja eigentlich das Wichtigste überhaupt, dass er diese Therapie nötig hat. Dass er ein Chef eines kriminellen Gewerbes ist, aber es nicht mehr leisten kann, dieses durchzuführen, ohne einmal in der Woche in dem Sessel in Doktor Melfis Praxis zu sitzen, das macht eigentlich die Serie überhaupt ganz besonders brisant. Wenn Doktor Melfi nicht wäre, wären die Sopranos nicht so erfolgreich gewesen, dieses darüber reden. Sein Leben zu reflektieren, was er gerade führt und was er mal geführt hat, das ist n ganz zentraler Bestandteil davon.“
"Tony Soprano kann man mit Anna Karenina vergleichen"
Die Sopranos sind natürlich keine normale Familie. Sie sind nicht weniger als die berühmteste Familie der TV-Seriengeschichte. Als ich in den 90er Jahren anfing, die Serie zu schauen, hat es ein paar Folgen lang gedauert, bis ich den Sopranos verfallen war. Aber dann richtig. „Bingen“ habe ich praktisch mit den Sopranos gelernt. Als Adriana ermordet wurde, habe ich eine Woche schlecht geschlafen, als Tony Soprano angeschossen wurde, war ich so besorgt, dass ich schnell zwei Folgen weiter gespult habe, um sicher zu gehen, dass dem Mann nichts ernstes passiert ist. Woran es lag, dass ich ausgerechnet mit Tony Soprano so eng wurde, habe ich viele Jahre lang nicht verstanden. Vielleicht weil er auch Italiener ist? Oder weil er eine tragische Figur ist trotz seines Berufes?
„Tony Soprano ist der einzige Charakter in der Fernsehgeschichte, den man mit Anna Karenina vergleichen kann, ohne aus dem Zimmer gelacht zu werden. Das ist kein übertriebener Vergleich, er mag vielleicht übertrieben klingen, aber Tony Soprano ist der komplexeste Charakter, der jemals in einer Fernsehserie dargestellt wurde und da die Show die ausdrückliche Erlaubnis hat, sich so langsam zu entfalten und weil David Chase wirklich eine sehr enge psychologische Verbindung zu diesem Charakter zu haben scheint, hat Sopranos so viele wundervolle Szenen mit verrückten Träumen, die Tony hat," erklärt Richard Beck, er ist Autor des New Yorker Magazins N Plus One.
Pasta hat eine Funktion in den Sopranos
Ganz klar, Tony Soprano ist das Zentrum dieser Serie. Und sein Zentrum ist seine Familie, seine biologische und seine Mafia-Familie. Getreu dem italienischen „familismo“, also dem Motto, die Familie geht immer vor, lebt und arbeitet Tony sich in seinem Leben ab. Die glücklichsten Momente hat er, wie kann es anders sein, beim Essen.
Ich kenne die ganzen Pasta-Gerichte, die Tonys Mutter immer kocht. Auch die berühmten Ziti al Forno. Oder Baked Ziti, wie sie dort heißen. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine andere Serie gibt, in der Essen eine so große Rolle spielt, wie bei den Sopranos. Die BBQ-Abende ziehen sich über sechs Staffeln und 86 blutige Episoden hinweg und gefühlt ein Drittel aller Szenen spielt im Restaurant Nuovo Vesuvio von Artie Bucco. Das Essen, sagt die Literaturwissenschaftlerin, Elisabeth Päffgen hat einen dramaturgischen Sinn bei dieser Serie: „Unter anderem dient es, um zu verdrängen, was sie eigentlich für Schandtaten permanent getan haben. Es hat auch immer diesen ideologischen Hintergrund, Italien damit aufrechtzuerhalten. Es hat auch die Funktion ein Zusammensein vorzugaukeln, das so ja gar nicht existiert. Man ist ja sofort bereit, wenn die anderen weg sind, über sie herzufallen, egal ob in der Familie oder ob in der Mafia-Familie, aber man sitzt am Tisch zusammen und tut so, als genieße man das Zusammensein."
Interessanterweise wird bei den Sopranos immer und ständig gegessen, aber nie gekocht. Das Ziti-Rezept gab es dann Jahre später in einem Kochbuch über die Serie. Was ich als Italienerin auch sehr mochte bei den Sopranos waren die Namen der Mafiabosse. Zum Beispiel: "Big Pussy" Bonpensiero, ein "bon pensiero" ist ein guter Gedanke, also hieß der Typ: Große Miezekatze Gutergedanke. Ist das nicht großartig? Oder der Mafiaboss, Bobby Baccalieri, genannt Bobby Bacala. Der Bacala ist ein italienischer Stockfisch und auch ein Ausdruck für Dummköpfe.
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The Sopranos - Trailer (1999)
Aber es gab auch etwas Dunkles an dem Serienstoff, das mich fasziniert hat. Das Zwielichtige und das Doppeldeutige. Tony Soprano ist ein Mafiaboss. Einer von den Bösen. Er tötet immer wieder Menschen oder lässt sie ermorden. Ausknipsen, auslöschen nennt er das dann. Er ist ein Monster – aber ich mochte ihn. Jeder mochte ihn in seiner ganzen Mafia-Bösartigkeit. „In Toni läuft eigentlich die ganze Palette des menschlichen Daseins zusammen. Sie haben das irgendwie hingekriegt in dieser Figur und in diesen Geschichten über die sechs Staffeln hinweg. So eine Palette der menschlichen Abgründe und ja auch der Leistungen der Menschlichkeit zu zeigen, und das ist mir jetzt doch auch noch mal ganz, ganz stark aufgefallen, dass er wirklich ganz, ganz vieles ist. Ja, ich kann da eigentlich kaum eine Figur nennen, von meiner Seherfahrung her, bei der ich das so finde wie bei Tony Soprano," sagte zum Ende der Serie Elisabeth Päffgen.
Porträt einer Gesellschaft in der Identitätskrise
Bei den Sopranos war nichts so, wie man es aus Serien davor kannte. Statt strahlender Helden gab es einen Haufen dysfunktionaler Kerle, die Depressionen hatten, zu viel Alkohol tranken und Schlafprobleme hatten. Der Plot war wahrhaftig, die Figuren handelten nicht wie klassische Fernsehfiguren, die immer sagen, was sie auch meinen, sondern wie echte Menschen, die natürlich fast nie sagen, was sie eigentlich meinen. Es ging nur vordergründig um eine Mafia-Familie. Eigentlich sind die Sopranos die Geschichte eines Mannes in einer schweren Lebenskrise, der mit seiner Männlichkeit hadert. Diese Serie ist ein Porträt einer ganzen Gesellschaft in der Identitätskrise. Man sieht Tony Soprano in der Serie 86 Folgen lang dabei zu, wie er fällt. Seine Ehe in den Sand setzt. Sein Geschäft vernachlässigt. Seine Mafia-Familie enttäuscht. Aber vielleicht mag man ihn genau deswegen.
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