Sci-Fi-Autor*in Aiki Mira "Kurt Cobain habe ich nicht als klassisch maskulin, sondern als genderfluid gelesen"
Aiki Mira ist nicht-binär und Science-Fiction Autor*in. Wir sprechen mit Aiki Mira über den dissonanten Sound der Grunge-Band Nirvana und darüber, was es mit einem Teenager machen kann, einen Mann zu sehen, der sich traut, seine feminine Seite zu zeigen.
Aiki Mira ist nicht-binär und Science-Fiction Autor*in. Mit 16 war Aikis Ding Nirvana und Kurt Cobain. Denn der brach schon in den 90ern mit Geschlechterrollen und trug oft Kleider oder Röcke. Prägende Bilder für eine Person, die in einem Körper erwachsen wird, der nicht mit dem übereinstimmt, wie man sich fühlt. Noe Noack und Oliver Buschek sprechen mit Aiki Mira über den dissonanten Sound der Grunge-Band und darüber, was es mit einem Teenager machen kann, einen Mann zu sehen, der sich traut, seine feminine Seite zu zeigen.
Aiki Mira: Ja, mein Ding mit 16 war Nirvana und da besonders Kurt Cobain. Denn mit 16 bin ich so endgültig aus dem tiefen Traum der Kindheit erwacht und der Schock war groß: in einem mutierenden Körper mit Brüsten Erwachsenwerden zu müssen und in dieser Welt, in der alle, ja Held*innen irgendwie tot zu sein scheinen. Und ich war also in Dissonanz mit der Welt. Und diese kreative, dissonante Musik von Nirvana hat mich total angesprochen.
Dissonant und natürlich auch signalisierend: Ich gehöre hier nicht rein, diese Grunge-Haltung, ich habe mich so ein bisschen verirrt in dieser Welt.
Auf jeden Fall, also gerade Kurt Cobain habe ich eben nicht als klassisch maskulin, sondern als „anders“ gelesen. Heute würde ich wahrscheinlich genderfluid sagen, damals dachte ich einfach genau, dass wir, Kurt und ich, diese Dissonanz, diesen fehlenden Einklang mit der Welt teilen.
Wieso hast du ihn nicht als klassisch maskulin gelesen? Was hat dich da an ihm aufmerken lassen?
Also ich erkannte da so eine Sensibilität, fast schon Zartheit und gleichzeitig eine Wut, die ich auch in der Musik gefunden habe, also diese schnellen Passagen und die langsamen, die sich abgewechselt haben. Also dieses, sozusagen das Wütende, das Zärtliche und ich hatte irgendwie das Gefühl, seine Wut, die richtet sich nicht gegen das System oder auch schon gar nicht gegen eine Frau oder gegen einen bestimmten Menschen, sondern so was irgendwie viel näheres körperliches. Und es ist ja auch bekannt, dass Kurt Cobain auf Konzerten zum Beispiel auch weibliche Klamotten angezogen hat, Kleider, Nagellack, feminine Oberteile. Und damit konnte ich mich identifizieren in dem Sinne, dass ich das Gefühl hatte, er versucht, so eine Femininität zu zeigen. Und bei mir war es eben gerade so diese Maskulinität. Ich habe mich dann am liebsten mit der alten Strickjacke von meinem Vater angezogen, die Haare auch so halblangen wie Kurt getragen und sah dann so ein bisschen aus wie er bei dieser Unplugged Session von MTV.
Die Strickjacke ist ja berühmt und es gibt berühmte Fotos, aber auch eben in diesem roten Frauenkleid. Das wurde oft publiziert. Hast du von Anfang an, als du erstmals Kurt Cobains Stimme gehört hast oder den ersten Song, hast du da schon was gespürt?
Auf jeden Fall. Also was mit Schmerz zu tun hat, aber auch so eine tiefe Sensibilität. Und ja, so eine Verlorenheit. Ich glaube, ich habe mich dann einfach mit ihm verwandt gemacht. Und das ist, glaube ich, auch so eine queere Erfahrung, einfach so nach Verwandtschaften zu suchen, in Menschen außerhalb der eigenen Familie.
Hast du damals Nirvana und Kurt Cobain allein gehört? Oder konntest du das, warst du da gehört und rausgelesen hast mit Freundinnen und Freunden teilen?
Eher nicht, das ist mir auch bewusst geworden, jetzt wo ich darüber nachdenke. Ich habe auch schon, wenn Nirvana gespielt hat, immer getanzt. Dieses Pogen mit anderen zusammen auf jeden Fall. Das war sozusagen schon so eine kollektive Erfahrung. Aber über diese Sachen zu sprechen, also ich glaube, da haben mir die Worte gefehlt. Also das zu bezeichnen, auch non-Binarität, das Wortes gab es in meinem Vokabular nicht. Brustabbinder gab es in meinem Vokabular nicht. Also das waren einfach nur so diffuse Gefühle und so eine Dissonanz. Und da habe ich irgendwie mit Kurt resoniert. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass es da eben noch andere gab, die genauso denken oder das so ähnlich fühlen. Also, ich hab mich da eher so allein gefühlt, weil es eben nicht der öffentliche Diskurs war. Weil es dafür keine Worte gab, konnte ich das nicht ausdrücken. Und ich weiß noch, dass es nach dem Tod von Kurt Cobain für mich echt schwer war. Als es dann plötzlich ebenso Mainstream wurde, so einen Riesending einfach auch mit der ganzen Kommerzialität, mit den ganzen Büchern und dem Merchandise, was dann rauskam. Also ich habe mich da auch immer distanziert so als ein Fanboy gesehen zu werden.
Aber dieser Tod muss dich doch massiv getroffen haben?
Also es hat mich wütend gemacht, komischerweise. Also ich war nicht traurig, sondern ich war einfach wütend nach dem Motto „Wieso hast du da nicht durchgehalten?“.
Jetzt hast du gesagt, das Wort non-Binarität kanntest du damals gar nicht, gab es wahrscheinlich auch noch gar nicht. Oder wenn, dann nur in sehr kleinen Zirkeln. Wie lange hast du denn dann gebraucht von diesem diffusen Unbehagen, diesem Unwohlsein in deinem mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen ausgestatteten Körper hin zu der Haltung zu sagen „Okay, ich bin non-binär, und das ist meine Identität“?
Es war wirklich ein weiter Weg. Und tatsächlich war das eigentlich mit der Veröffentlichung in der Science-Fiction, also mit meinem non-binären Pseudonym Aiki Mira. Dass ich dann auch natürlich eine Kurzbio als Autor*in geschrieben habe und da eben die Pronomen weggelassen habe, dass es mir wichtig war, ein non-binäres Pseudonym zu haben. Und da dann auch schnell eben die Frage von der Szene dann kam und ich dann gesagt habe ja, ich bin non-binär. Und das war sozusagen, wo ich es veröffentlicht habe, und genau da ist es dann auch wirklich klar formuliert und zum ersten Mal konkret geworden.
Ich stelle mir das vor wie eine große Erleichterung, dass man endlich sagen kann: Ja, das ist das Wort, was mich bezeichnet. Damit kann ich mich identifizieren.
Auf jeden Fall. Also ich glaube, Worte machen Wirklichkeit. Die sind sehr, sehr wichtig.
Du bist, glaube ich, ein Paradebeispiel dafür, wie Kultur, sei sie nun geschrieben, sei sie gesungen, wie auch immer, wie Kultur helfen kann, gerade so in diesen Jahren zu sich selbst zu finden.
Ja, auf jeden Fall, also ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich eben mit Leuten so in meinem Alter nicht darüber reden konnte und habe unglaublich viele Antworten, Bedeutung, Sinn in Literatur, Philosophie gefunden. Auch im Existenzialismus. Ich habe mehrmals Referate über Existenzialismus gehalten. Mein Reli-Lehrer hat es geliebt. Ich hatte das Gefühl, er mag Sartre auch so wie ich. Und es waren dann eben so wenig Momente, wo ich dann mit Leuten über sowas sprechen konnte. Genau das stimmt, ja.