Auf jedem Kanal Darum boomen Sport-Dokus so
Franz Beckenbauer, Jan Ullrich, Michael Schumacher – sie alle haben schon ihre Hochglanz-Dokus. Dazu kommen Filme über die deutschen Basketball-Weltmeister und jetzt über das Handballnationalteam. Sport, jenseits von Live-Übertragungen, wird so noch dominanter – aber warum boomt das Genre so?
Alles begann mit dem Kaiser, eh klar, mit wem auch sonst. Aber Franz Beckenbauer war eben nicht nur ein begnadeter Fußballer, er war der erste Fußballer, der über den Fußballtellerrand hinauskletterte. Der erste, der die Marketingmaschine für sich zu nutzen wusste, der erste Sportler, der auch Pop war.
Franz Beckenbauer hatte zeitweise bis zu sieben Werbepartner gleichzeitig. Er gab den Suppenkasper für Knorr und warb auch für Mercedes und Mitsubishi. Werbesätze wie Beckenbauers "Ja, is denn heut scho Weihnachten?", entwickelten sich zum geflügelten Wort. Den Ausruf "Da legst di nieda" hat sein Werbepartner "O2" sogar im Münchner Patentamt unter der Marken-Nummer 30246667 eintragen lassen, wie die Kollegen von BR24 recherchiert haben.
Es gab bereits 1973, also ein Jahr, bevor Beckenbauer Weltmeister wurde, eine halbfiktionale Doku im Kino über ihn, selbstverständlich Homestories in Boulevardmedien und dann war da ja auch noch sein Abstecher zur Cosmos New York mit Pele und Besuchen im legendären Studio 54. Der Kaiser, der war halt eine Lichtgestalt. Das konnte man jüngst in der ARD Doku „Beckenbauer“ sehen, die unfreiwillig zum Nachruf wurde.
Aber auch wenn der Kaiser eine Ausnahmegestalt war – und ihm in Sachen Fußball, Marketing und Pop wahrscheinlich erst David Beckham das Wasser reichen konnte – mehrteilige Biopics und Podcasts über Sportler sind es nicht. Im Gegenteil – es ist wirklich schwer, ihnen zu entkommen, so sehr boomt das Genre.
Ullrich, Schumacher, Özil
Auf Amazon Prime konnte man im November in vier Folgen den Aufstieg und Fall von Jan Ullrich nachempfinden, zehn Jahre nach dem schweren Skiunfall beleuchten im Dezember die Dokuserie „Being Michael Schumacher“ und der Podcast „Schumacher“ die Geschichte des Formel-1-Champions, den früher alle nur "Schumi" nannten und der sich mittlerweile aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hat.
Ein weiterer Doku-Podcast erzählt den Aufstieg eines kleinen Jungen vom Bolzplatz in Gelsenkirchen zum nationalen Integrationssymbol: Mesut Özil. Und davon, wie er vom Weltstar, der mit Angela Merkel für Fotos posiert, nur acht Jahre später in Deutschland zur Persona non grata wurde.
Es gibt mehrteilige Dokus, die die Fußballnationalteams der Männer wie der Frauen dabei begleiten, wie sie bei ihren jeweiligen WMs scheitern, es gibt eine Doku darüber, wie das Basketballnationalteam um Dennis Schröder Weltmeister wurde und nun zur Heim-EM gibt es auch eine Doku über die Handballer: Die deutschen Stars – privat wie nie.
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Andreas Wolff: Die Wandlung des Handball-Torwarts I Die deutschen Stars privat wie nie I NDR Doku
Heldengeschichten für junge Zielgruppen
Und das scheint das Versprechen zu sein, das all diese Dokucasts und Biopics eint – die Sportler als Menschen kennenlernen, ihnen näher kommen, dank aufwendig inszenierter und dramatisch arrangierter Handlungsstränge teilhaben an ihren Heldengeschichten. Um so – auch jenseits des eigentlichen Sportereignisses – eine Zielgruppe zu erreichen, die sich bisher gar nicht so sehr dafür interessiert hat. Eine neue und junge Zielgruppe, die auf Streaming-Plattformen heimischer ist als in kalten Stadien und stinkigen Hallen.
Vorreiter war, wie so oft, wieder einmal Netflix mit der Serie „F1: Drive to survive“. In ihrer ersten Staffel von 2019 verfolgte die Serie die Formel-1-Saison 2018 aus der Sicht der Teams und Fahrer der zweiten Reihe in ihrem Kampf um den informellen Titel „Best of the Rest“.
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Formula 1: Drive to Survive | Official Trailer [HD] | Netflix
Mittlerweile geht die Dokuserie in die 6. Staffel und bricht alle Quotenrekorde. Und zwar sowohl die Serie als auch die Live-Übertragungen der Rennen im Fernsehen. Sogar die Besucherzahlen der Rennen vor Ort wurden gesteigert.
Die Neue Zürcher Zeitung schreibt über dieses Erfolgsmodell: „Es gibt wohl keine andere TV-Serie, die einen so großen Einfluss auf die positive Entwicklung einer Sportart hatte wie das Netflix-Drama. Fast könnte man sagen, dass die Storyteller die Formel 1 neu erfunden haben - zum beiderseitigen Wohl.“
Die letzte große Aufstiegserzählung?
Und ja, vielleicht sind Sportler auch wirklich die einzig verbliebenen großen Popstars, hinter denen sich noch viele Menschen weltweit versammeln können. Und bei denen - abseits vom Musikbusiness vielleicht – die Aufstiegserzählung der neoliberalen Welt, das „vom Tellerwäscher zum Millionär“, noch funktioniert. Anders als beim Rest der Gesellschaft. US-Senator Bernie Sanders schreibt im Vorwort zum neusten Oxfam-Ungleichheitsbericht: „Milliardäre werden reicher, die Arbeiterklasse hat zu kämpfen und die Armen leben in Verzweiflung. Das ist der unglückliche Zustand der Weltwirtschaft.“
Tellerwäscher bleiben Tellerwäscher, wer nicht erbt wird auch kein Millionär. Da wächst die Sehnsucht nach Geschichten über Menschen, die in ihrer Jugend Blut, Schweiß und Tränen für ihren Lebenstraum geopfert haben – und damit Erfolg hatten.
Die Netflix-Doku „Beckham“ zeigt uns den kleinen David, der im Vorgarten seine ersten Fußballversuche macht. Wie er von seinem Vater getriezt wird und nach dem Training noch Ecke um Ecke schießen muss, ohne je gelobt zu werden, und dann, wie sich dieser David Beckham mit dem legendären Tor von der Mittellinie für ManU zum Star schießt – das berührt. Denn es ist eine Geschichte aus einer Welt, in der sich Arbeit tatsächlich noch lohnt. Mission Accomplished.