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Nach Unions-Anfrage im Bundestag So reagieren Bands und NGOs auf die Drohkulisse von Merz und Dobrindt

Mit einer Kleinen Anfrage im Bundestag will die Union die Gemeinnützigkeit vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen prüfen. Der Vorwurf: zu viel politische Einflussnahme. Musiker:innen und NGO’s sehen darin einen Angriff auf ihre Arbeit.

Von: Johanna Hintermeier

Stand: 28.02.2025 17:01 Uhr

27.08.2024, Berlin: Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender und Unionsfraktionsvorsitzender, gibt eine Pressekonferenz nach dem Treffen mit Bundeskanzler Scholz und zu Konsequenzen nach dem Anschlag von Solingen. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: dpa-Bildfunk/Kay Nietfeld

Die Union erntet seit Tagen für ihre "Kleine Anfrage" zur Finanzierung von zivil-gesellschaftlichen Organisationen bundesweit Kritik. In Nürnberg, Heimat der Punkband Akne Kid Joe, stößt sie auf blankes Entsetzen: „Ich bin wirklich schockiert, wie krass die rechte Propagandamaschinerie am Laufen ist seit Jahren“, erzählt Sängerin Sarah Lohr dem Zündfunk. Sarah Lohr sagt, es sei „so krass, dass die CDU und die CSU jetzt auf diesen Zug aufspringen“. Die Punkband hatte vor fünf Jahren einen ironischen Song komponiert, der sich mit einem solchen Vorgehen ironisch auseinandersetzte - allerdings war damals die AfD gemeint.

Die Band fürchtet, dass die Kulturzentren und Räumlichkeiten in denen sie ihre Shows spielen, auf lange Sicht kaputtgespart werden könnten. Oder, dass sich Menschen erst gar nicht mehr aufraffen, Kulturräume zu schaffen, weil sie politische Repressionen fürchten. Aktuell gibt es noch keine Hinweise auf einen Förderstopp eines Projektes, in dem sich die Band engagiert. Nur die Angst ist im Raum. Es geht Akne Kid Joe und anderen Musikschaffenden um die Drohkulisse, die die Kleine Anfrage der Union verbreite und um die Annahmen, die implizit getroffen werden. Was steht also genau drin:

Die Anfrage unterstellt NGO’s einen Missbrauch der staatlichen Fördermittel

Mit der kleinen Anfrage „Politischen Neutralität staatlich finanzierter Organisationen“, gezeichnet von Friedrich Merz (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU), hatte die Union vergangene Woche zwei Tage vor der Bundestagswahl einen Fragenkatalog an die Bundesregierung gesendet. Der soll in Erfahrung bringen, für was die zivilgesellschafltichen Organisationen staatliche Finanzierungen bekommen. Nach den Groß-Demonstrationen „Gegen rechts“ und explizit gegen das Abstimmungsverhalten der Unionsfraktion im Bundestag mit Stimmen der AfD, kritisiert die Union in der Anfrage, dass Vereine mit Gemeinnützigkeitsstatus sich an den Demos beteiligt, und teilweise sogar mitorganisiert haben. Laut Union wäre das so kurz vor der Wahl eine „gezielte politische Einflussnahme, die nicht mehr vom Gemeinnützigkeitsrecht“ gedeckt wäre. Dass die über 500 Fragen von der Noch-Bundesregierung beantwortet werden, gilt als eher unrealistisch. Politische Beobachter äußern sich teilweise überrascht darüber, dass die Anfrage so prominent von Merz und Dobrindt unterschrieben wurde, denn politischer Usus sei es als Fraktion zu zeichnen.

Verpflichtet Gemeinnützigkeit zu Neutralität?

Friedrich Merz (CDU) in München, wo er Demonstrierende als "linken Spinner" bezeichnete.

Rechtlich ist es nicht ganz eindeutig, wie sich gemeinnützige Vereine politisch äußern dürfen. In der Abgabenordnung Paragraph 52 ist Gemeinnützigkeit definiert. Gemeinnützig ist, „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“. Staatsrechtler Professor Hubertus Gersdorf (Universität Leipzig) verweist dem BR gegenüber auf das Neutralitätsgebot von NGO’s, sollten sie staatlich gefördert sein. Birgit Weitemeyer, von Institut für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen an der Bucerius Law School, sieht das nicht ganz so strikt. Sie sagte der FAZ, der Gemeinnützigkeit widerspreche es zwar, wenn eine Organisation „parteiähnlich sei“ – eine parteipolitische Neutralität, wäre aber nicht notwendig. Der BUND e.V. etwa dürfe sich für Umweltbelange mit ähnlicher Stoßrichtung einsetzen wie die Grünen, so Weitemeyer.

In München wurde vor der Bundestagswahl gegen den Rechtsruck demonstriert.

Ein von der Amadeu Antonio unterstütztes und von der Cellex Stiftung beauftragtes Gutachten zum Neutralitätsgebot vom Staatrechtsprofessor Friedhelm Huflen (Universität Mainz) hebt hervor, dass das zivil-gesellschaftliche Engagement für die Demokratie per se nie neutral sein könne. Es bestehe „ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Demokratie, Menschenwürde, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit“, der von staatlichen finanzierten Organisationen bewahrt werden müsse. Sprich: sich zum Beispiel Rechtsextremismus aussprechen, verletze kein Neutralitätsgebot, sondern schützt die Demokratie. Die Unionsfraktion verweist in einer schriftlichen Antwort auf eine Zündfunkanfrage auf Gerichtsurteile, die eine Parteipolitische Neutralität unterstrichen. So hatte etwa attac 2021 die Gemeinnützigkeit aberkannt bekommen.

Werden in der Anfrage genannt: Campact und die Amadeu-Antonio Stiftung

Wen listet die Union auf? Der Fragenkatalog in der Anfrage nennt einen bunten Blumenstrauß an Organisationen und Vereinen: Foodwatch e.V. und Greenpeace zum Beispiel, aber auch den Thinktank Agora Energiewende, die Omas gegen Rechts und die Kampagnenorganisation Campact. Nicht alle Organisationen sind wie in der Anfrage suggeriert an die Gemeinnützigkeit gebunden. So unterliegen die Medien Correctiv und Neue Deutsche Medienmacherinnen keinem Neutralitätsgebot, sondern sind von der Pressefreiheit geschützt. Und: Campact und Greenpeace erhalten überhaupt keine staatliche Förderung. Der Campact Co-Geschäftsführer Felix Kolb zeigt sich daher irritiert über die Auflistung. „Das einzige Muster, was ich erkennen kann, ist dass das alles Organisationen sind, die mal Dinge vorgeschlagen haben, die die Union blöd findet“.

Campact: „Ungleichbehandlung“ von konservativen und liberalen Vereinen

Fragt sich, warum nicht auch andere Organisationen in der Anfrage vorkommen: Der Bund der Steuerzahler e.V., zum Beispiel.

Kolb kritisiert, dass andere gemeinnützigen Vereinen wiederum gar nicht auftauchen: „Es gibt eine Reihe von rechten und konservativen gemeinnützigen Vereinen wie dem „Bund der Steuerzahler“, die sich regelmäßig in die Politik einmischen –ich finde das total gut, dass es die gibt“. Was Kolb aber störe sei „die Ungleichbehandlung“ zwischen konservativen und liberaleren Vereinen. Für ihn erwecke die Anfrage den Eindruck, dass sie Organisationen, die mit der Union politisch nicht übereinstünden, sich künftig zügeln sollten in ihrer Kritik an der Union. Das sei: „einfach falsch“. Man dürfe als gemeinnütziger Verein keine Parteien direkt oder indirekt fördern, aber „natürlich haben wir die Möglichkeit, zu ihren Themen Position zu beziehen und Kritik zu äußern“, so Kolb.

Amadeu-Antonio-Stiftung: „Wir können keine Anti-Merz Plakate von dem Geld drucken“

Amadeu-Antonio Stiftung versichert: Keine staatliche Finanzierung von Demo Plakaten.

Lorenz Blumenthaler arbeitet für die Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus einsetzt. Auch sie taucht in der Liste der Anfrage auf. Bei der Frage, wie viel staatliche Mittel den an die Stiftung flössen, seufzt Blumenthaler erschöpft, denn: Die Summen seien alle aufgelistet im Transparenzregister des Deutschen Bundestages. Theoretisch könnte die Union dort jederzeit nachlesen und müsse keine Anfrage stellen. „Wir bekommen unter anderem Geld für die Aktionswoche gegen Antisemitismus – das bundesweit größte Kampagneneprojekt gegen Antisemitismus“, sagt Blumenthaler. Die Stiftung bewerbe sich auf diese Fördergelder und müsse in Projektanträgen minuziös begründen, welche Mittel für was ausgegeben werden. „Wie könnten keine Anti-Merz Plakate von dem Geld drucken, - daran haben wir sowieso kein politisches Interesse, aber genau das suggeriert die Anfrage der Union“, so Blumenthaler.

Klima der Unsicherheit wird geschürt

Eines bereitet Blumentaler und Kolb Kopfschmerzen. Sowohl Campact, als auch die Amadeu-Antonio-Stiftung seien gegen mögliche Diffamierungen und juristische Schritte gewappnet. „Meine größte Sorge ist, dass kleine Organisationen jetzt bei einem Demo-Aufruf gegen Rassismus nicht mehr mitmachen, weil sie vorausseilend Ärger verhindern wollen“. Kolb sagt: „Das fände ich wirklich fatal und in einer Demokratie wirklich komplett unwürdig“. Lorenz Blumenthaler betont: „Demokratische Zivilgesellschaft ist extrem wichtig für Demokratie. Wir bilden im besten Fall eine Brücke zwischen Politik und den Bürgerinnen und ihrem Engagement. Wenn das jetzt in Deutschland nicht mehr gewünscht sein soll oder zumindest der wahrscheinlich zukünftige Kanzler der Bundesrepublik das suggeriert mit solchen Anfragen, die ja sogar das namentlich zeichnet, dann kriegen wir doch ein richtig großes Problem hier!“

Mathias Middelberg, stellvertretender Fraktionsvorsitzder der Unions-Fraktion im Bundestag wiederum argumentiert in einer schriftlichen Stellungnahme: „Zivilgesellschaftliches Engagement ist unverzichtbar und förderungswürdig. Allerdings darf öffentlich gefördertes Engagement nicht zu parteipolitischen Zwecken eingesetzt werden […] Die Prüfung der rechtmäßigen Verwendung von Steuermitteln der Allgemeinheit ist eine Kernaufgabe des Parlaments. Dieser Verantwortung kommen wir selbstverständlich nach.“

„Ich sehe uns als Kulturschaffende teilweise in unserer Existenz bedroht“

Der festangestellte Linksextremist in Arbeitskleidung. Natürlich vermummt.

Zurück in den kleinen Bandraum nach Nürnberg.  „Ich sehe uns als Kulturschaffende, nicht nur als Band – und teilweise in unserer Existenz bedroht“, sagt Schlagzeuger Sebastian Stößnerder. „Es ist nur eine kleine Anfrage, aber leider muss man realistisch beobachten und die Agenda dahinterstehen, die sich nun möglicherweise auftut“. Die Band kann nicht so richtig fassen, dass ihr erfolgreichster Song „What AfD think’s we’re doing“, jetzt schon fast auf die Union zutreffen könnte. In dem Hit von 2020 singen sie in Punkmanier ironisch davon, dass die AfD behauptet, die Antifa würde staatlich finanziert wird und dass sie für ihre Präsenz auf Demos bezahlt würden. „Das war damals dieser Witz, diese Verschwörungstheorie, die es innerhalb der radikalen Rechten immer wieder gab“, sagt Sarah von Akne Kid Joe. „Ich bin wirklich schockiert, dass wir 2025 über dieses Thema reden“.

"Seit meinem Abitur steh ich im Schwarzen Block
Die Bezahlung ist ok und die Arbeit macht mir Bock
Meistens hab ich zwar an den Wochenenden Schicht
Aber meistens bin ich eh bei der Arbeit dicht
Doch das Image unserer Firma ist leider nicht so prall
Denn es hält sich das Gerücht, wir stünden auf Krawall Doch ich bin mega happy mit meiner Jobauswahl
Malochen gegen AfD und das Kapital
Hauptsache nicht Banker oder Polizist
Ich bin festangestellter Linksextremist Ich hab einen Antifa-Tarifvertrag"

- Akne Kid Joe, sinnieren über Festanstellungen für Demogänger:innen

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