Akne Kid Joe "In Nürnberg haben die 18- bis 24-jährigen Frauen zu 47 Prozent die Linke gewählt – das macht mich glücklich"
Der Hype um Die Linke hat auch Sarah und Sebastian von Akne Kid Joe überrascht. Die Nürnberger Punkband hatte sich vor der Wahl für links ausgesprochen. Hier erklären sie, warum junge Menschen sich ihrer Ansicht nach wieder nach links politisieren. Und warum eine unionsgeführte Bundesregierung Kulturschaffende in ihrer Existenz bedroht.

Wo wart Ihr am Wahlsonntag um 18 Uhr?
Sarah: Ich habe mich mit meinen ganzen Nachbarinnen getroffen, zum gemeinsamen Weinen und Schreien und Pizza-Essen. Wir hatten uns vorher vorgenommen, uns vor allem über die kleinen Dinge zu freuen, und das war, falls die Linke über 7 Prozent kommt und die FDP rausfliegt. (Lacht.) Und das fühlt sich an wie ein Wahlsieg! Es fühlt sich immer noch gut an.
Sebastian: Ich habe als Wahlhelfer Briefwahlstimmen ausgezählt und deshalb nur am Handy nebenbei gucken können. Beim ersten Ergebnis war ich schon vor allem froh, weil Die Linke einfach stark war!
Bei Jungwähler*innen ist Die Linke stärkste Partei. Wie erklärt ihr Euch das, wenn Ihr auch auf Euer Publikum guckt? Was hat junge Menschen Eurer Ansicht nach angesprochen?
Sarah: Ich glaube, es gibt total viele Themen, die da mitreingespielt haben. Die gesellschaftlichen Zusammenhänge haben sich so krass zugespitzt, dass es eigentlich fast gar keine andere Wahl mehr gab als so eine neu erstarkte „linke Einheitsfront“, die ein Gefühl von: Okay, nur zusammen können wir diesem massiven Rechtsruck begegnen.
Was waren aus Eurer Sicht die Themen, die überzeugt haben? Der Antifaschismus von Heidi Reichinnek? Oder dass die Partei wie Jan van Aken auf die soziale Frage und Mieten gesetzt hat? Oder war es einfach ein TikTok-Hype?
Sebastian: Ne, ich glaube, ein TikTok-Hype war es nicht. Was mich an dem Wahlergebnis hoffnungsvoll stimmt, ist, dass Themen wie Miete, Gesundheitsversorgung, Schulen etc. die Menschen berühren. Ich glaube, da ist jetzt auch durch die Wahl ein bisschen das Bewusstsein gewachsen. Die wachsende Ungerechtigkeit, die nicht nur bei uns in Deutschland zutage tritt, sondern weltweit – mit Auswüchsen, dass Tech-Milliardäre in den US-Wahlkampf oder auch unseren Wahlkampf eingreifen wollen. Das ist einfach spürbar für die Leute. Ich glaube, da sind sich auch viele Leute einfach mittlerweile sehr stark bewusst, dass das eine Entwicklung ist, die am Ende uns allen schadet. Das ist schon, denke ich, ein großer Baustein für den Erfolg jetzt gewesen.
Ihr habt euch online diesmal zur Wahl positioniert.
Sebastian: Ja, wir haben gesagt, für uns ist dieses Mal die Wahl eindeutig links. Nicht explizit für Die Linke, der Post hatte einfach den Wortlaut „Wir wählen dieses Mal links“ oder so, er hat also schon Raum zur Interpretation gelassen. Aber es war schon eine eindeutige Message. Und der Austausch zu dem Post war interessant. Da haben wir festgestellt, wie unterschiedlich soziale Medien in ihrer Nutzer*innenschaft ticken. Auf Instagram hat unser Beitrag - ich glaube, ausschließlich - positives Feedback erfahren, wohingegen auf Facebook dann vermutlich die rechte Internet-Bubble mitbekommen hat, dass sich eine Band positioniert, und wir letzten Endes die Kommentarspalte abgeschaltet haben. Weil dort haben sich nahezu im Minutentakt Personen versammelt, die mit Kommentaren oder diesen Lachreaktionen ihre Abneigung gegenüber dem Post ausgedrückt haben. Unsere Conclusion daraus war, der Raum Facebook ist anscheinend größtenteils von Personen besetzt, die eher dem rechten Spektrum zuzuordnen sind.
Sarah: Vor allem sind sie organisiert. Das hat man ganz klar gemerkt. Die ersten 24 Stunden waren auch dort positive Rückmeldungen und dann ist es gekippt. Das heißt, irgendwo ist unser Beitrag als Link in eine Gruppe gepostet worden, mit dem Aufruf „Hey, jetzt alle da kommentieren!“. Wir haben das im letzten Moment gemerkt und konnten die Kommentarspalte dichtmachen. Das ist eine Dynamik, wo du nicht argumentieren kannst. Weil man diskutiert ja nur noch mit Fake-Profilen. Das sind keine echten Menschen, das sind nur Trolle. Das hat wieder mal verdeutlicht, wie diese politische Meinungsmache im Internet funktioniert.
Junge Menschen politisieren sich also wieder nach links. Wir hatten ja nach Fridays for Future eher eine längere Lethargie.
Sebastian: Ja, ich denke, weil viele Leute mit der Reduktion des Wahlkampfs auf das Thema Migration zuletzt unzufrieden sind. Ich glaube, das spielt eine entscheidende Rolle. Und ich hoffe und glaube auch, dass das jetzt das Bewusstsein von vielen Personen nachhaltig verändert hat und viele Leute auch sehen: Es gibt schon eine parlamentarische Verlängerung meiner Peergroup, die fortschrittlich ist und progressiv - und links.
Sarah: Ich würde mich anschließen. Ich muss wirklich sagen, mich macht es glücklich zu sehen: In Nürnberg haben die 18- bis 24-jährigen Frauen zu 47 Prozent die Linke gewählt. Das ist natürlich ein wahnsinniges Ergebnis.
Das ist viel.
Sarah: Und ich sehe das auch bei Demos hier. In letzter Zeit konnte man ja gefühlt alle zwei Tage demonstrieren, weil auch in Nürnberg gibt es gerade ein ganz großes Nazi-Problem, was jeden Montag auf der Straße stattfindet. Und ich sehe schon, dass die Menschen, die dagegen demonstrieren, wahnsinnig jung teilweise sind und auch zum ersten Mal auf Demos gehen. Das macht mich schon sehr zuversichtlich auf jeden Fall!
In Eurem Song „What AfD thinks we are doing“ von 2020 greift ihr ein rechtsextremes Narrativ auf: die staatlich finanzierte Antifa. In den letzten Tagen erweckte die Union in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung den Eindruck, dass NGOs staatlich finanziert die Willensbildung angreifen. Müsste Euer Song jetzt heißen: „What CDU thinks we are doing"?
Sarah: Zuallererst muss ich mal sagen, dass ich dachte, dieser Song von 2020 war damals ja ein dummer Witz über diese Verschwörungstheorie, die es innerhalb der radikalen Rechten gab. Ich bin schockiert, dass wir im Jahr 2025 tatsächlich über dieses Thema reden.
Euer Witz ist jetzt im Bundestag angekommen. Die Union bezieht sich in der Anfrage auf einen Artikel von der „Welt“, der das Narrativ und das Wording „Deep State“ aufnimmt, also die Vorstellung, dass der Staat unterwandert sei.
Sarah: Ja, ich bin wirklich schockiert, wie krass diese rechte Propagandamaschine seit Jahren am Laufen ist. Das ist ja eine weltweite Bewegung, mit Donald Trump und dass die Wahlen geklaut seien und alles staatlich finanziert werde, was gegen die Rechte geht. Das ist alles so krass. Dass die CDU/CSU da jetzt so auf diesen Zug aufspringt, ist wirklich moralisch so krass verwerflich, dass die sich alle einfach nur schämen sollten.
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Akne Kid Joe - What AfD thinks we do… (Official Video)
Wie blickt ihr in die Zukunft? Was heißt diese Anfrage und eine mögliche zukünftige Regierung unter Merz für Kulturräume und NGOs?
Sebastian: Das jetzt war es erst mal „nur“ eine Kleine Anfrage, aber leider muss man das realistisch betrachten und die Agenda dahinter sehen, die sich jetzt möglicherweise auftut. Und da sehe ich uns als Kulturschaffende - nicht nur als Band, sondern insgesamt als Kulturschaffende und vernetzte Leute - schon zum Teil in der Existenz bedroht. Ich glaube, dass es sehr schwierig wird oder werden kann. Weil wir uns auch als Band in Räumen bewegen, die zum Teil Förderungen erfahren, und die ja auch nicht nur Bands veranstalten, sondern auch Jugendtreffs sind oder andere Angebote in der Art haben. Deshalb glaube ich, da ist der Ausspruch „Wehret den Anfängen“ schon angebracht.
Sarah: Ja, letztlich reiht sich das in ganz viele kleine Aktionen ein, die sich immer mehr zuspitzen. Vor dem Rechtsdruck muss nicht mehr gewarnt werden, der ist da. Wichtig ist, glaube ich, dass wir jetzt einfach ins Handeln kommen. Dass alle Menschen, die es sich leisten können, sehen: Okay, ich habe hier eine große Rolle zu erledigen und wenn ich es nicht mache, dann macht es niemand! Ich bin eine weiße Frau, ich bin nicht die erste Person, der es krass an den Kragen geht. Sondern es trifft jetzt erst mal vor allem geflüchtete Menschen. Menschen, die generell nicht von hier kommen. Menschen, die einfach nicht viel Lobby haben. Und so weiter. Und für diese Menschen müssen wir mitdenken. Wenn man es positiv formulieren will, gibt es jetzt gerade viele Möglichkeiten für jedes Individuum, sich aktiv zu engagieren. Und die gute Nachricht daran ist: Man kann was machen!
Sebastian: Ja, darum geht es. Zusammen bleiben, im Austausch bleiben, sich vernetzen. Und daraus Kraft zu schöpfen.
Danke für das Gespräch.