Bayern 2 - Zündfunk


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Das Corona-Tagebuch Danke, Internet!

Christian Schiffer und das Internet hatten in den letzten Jahren so ihre Differenzen. In der Corona-Krise aber läuft das Netz zur Hochform auf. Zeit, endlich mal Danke zu sagen.

Von: Christian Schiffer

Stand: 21.03.2020 | Archiv

Letztens, da habe ich gut achtzig Stunden damit verbracht, Pakete hin- und herzutragen. Denn genau das tut man in "Death Stranding", dem neuesten Videospiel des gefeierten Gamedesigners Hideo Kojima. Die Welt in "Death Stranding" ist deprimierender als eine leere Packung Toffifee. Der Tod ist in ihr gestrandet, ich schleppe meine Pakete durch ein trostloses Nichts, das aussieht wie eine extra-karge Version des kargsten Teils von Grönland. Die Menschen vegetieren isoliert, einsam und asexuell vor sich hin, social distancing in Extremform. Oft wird in diesen Tagen über "Death Stranding" gesprochen und über die Parallelen dieser digitalen Welt zur realen Corona-Welt. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die Menschen in "Death Stranding" haben kein Internet. Oder das Internet ist sehr schlecht. Schlechter sogar als in Deutschland. Nicht umsonst besteht das Hauptziel meiner Tätigkeit als Hightech-DHL-Bote in Death Stranding darin, die verschiedenen Bunker zu verbinden.

In der realen Welt ist das anders

In der realen Welt haben wir Dich, liebes Internet. Ganz ehrlich: Ich will mir die jetzige Krise ohne Dich nicht vorstellen müssen. Dank Dir weiß ich, wie sich Supermarkt-Angestellte fühlen und Menschen, die in der Krankenpflege arbeiten. Dank Dir weiß ich, wie ich mir richtig die Hände wasche und wie es den Menschen in Norditalien geht. Dank Dir beruhigt mich jeden Tag der Virologe Prof. Drosten. Dank Dir schließen sich Nachbarn auf Facebook, Whatsapp und Telegram zusammen.

Bleiben wir realistisch!

Dank Dir kann ich Kontakt halten zu meinen Eltern in Spanien, von denen ich jetzt weiß, dass sie offenbar in den cooleren Whatsapp-Gruppen sind, wenn es um Corona-Memes geht. Dank Dir könnt' ich sogar die Zeit damit verbringen, eine Sprache zu lernen oder Klavier-Konzerten von Igor Levit lauschen... Aber okay, bleiben wir realistisch: Das wird nicht passieren, weil es ja so viele Katzenvideos gibt. Auch dank Dir. Sogar an einen Klo-Papier-Rechner hast Du gedacht, sogar an eine Facebook-Gruppe zur Corona-Nachbarschaftshilfe Waltenhofen (Schwaben) hast Du gedacht. Sogar an die Möglichkeit, online Schafkopf zu spielen hast Du gedacht.

Durchaus Differenzen

Dabei hatten wir in der Vergangenheit durchaus unsere Differenzen. Deine sozialen Medien versprühten Hass und Fake News, auf Youtube hast Du mir dauernd Verschwörungsvideos aufgedrückt, auf Instagram Influencer-Quatsch und auf Twitter waren eh immer alle verrückt. Klar, das ist auch jetzt noch so, liebes Internet. Und dennoch: Deine sozialen Netzwerke zeigen endlich auch ihre soziale Seite. Die Verrückten auf Twitter helfen sich, auf Instagram fordern Influencer ihre Follower auf, zu Hause zu bleiben, auf Youtube gehen die hottesten Corona-Infos, nun ja, viral. Und das wichtigste: Dank Dir sind wir zusammen, auch während Corona, weniger alleine.

Teil der Daseinsvorsorge

Auch deswegen wünsche ich mir, dass man sich nach Corona besser um Dich kümmert. Dass Du endlich als das wahrgenommen wirst, was Du bist: ein Teil der Daseinsvorsorge, so wie Wasser und Strom. Dass man Dich auch in Deutschland endlich überall durch Glasfaserleistungen sausen lässt, dass man Dich nicht durchkommerzialisiert und überwacht und dass Dich Kulturfuzzis nicht mehr belächeln. Es heißt ja immer, dass Du nichts vergisst, liebes Internet. Wir sollten Dich auch nicht vergessen.

Christian Schiffer ist Autor, Moderator und Games-Experte bei Bayern 2 und BR24.


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