Feministische Klassiker im Zündfunk Mit "Farbe bekennen" machten May Ayim und Katharina Oguntoye die Lebensrealität afrodeutscher Frauen zum Thema
Erhebt euch und schweigt nicht mehr! Als "Farbe bekennen" in den 80er Jahren erschien und die Lebensrealität afrodeutscher Frauen zum Thema machte, war das Buch seiner Zeit weit voraus. Heute ist es ein Klassiker, alle paar Jahre neu aufgelegt und sofort wieder vergriffen.
West-Berlin, 1984. Die afroamerikanische Schriftstellerin Audre Lorde hat sich bereits international einen Namen gemacht: als Poetin, Feministin, Kämpferin für die Rechte von LGBTQ. In ihrem Seminar fordert sie ihre schwarzen Studentinnen auf, sich über ihre Lebensgeschichten auszutauschen, zum Leben von schwarzen Menschen in Deutschland zu forschen. Hier lernen sich May Ayim, geboren in Hamburg und Katharina Oguntoye, geboren in Leipzig kennen. Beide Frauen sind Anfang zwanzig, Deutsche - und schwarz. Mit Unterstützung durch den feministischen Orlanda-Verlag und der Herausgeberin Dagmar Schultz erstellen sie den“[ersten gemeinsamen] Versuch afrodeutscher Frauen, ihre Lebensrealität mit weißen Deutschen und anderen zu teilen”, wie Audre Lorde im Vorwort schreibt.
Zur Fremden gemacht werden
“Farbe bekennen - Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte” ist ein Buch, das zwischen Formen wechselt: Zwei Schwestern erzählen zum Beispiel im Dialog, wie sie als Töchter eines schwarzen Kaufmanns und seiner weißen Frau in Danzig die Nazi-Zeit überlebt haben. Dann gibt es viele autobiografische Kurzporträts von Frauen, die sich als Deutsche wahrnehmen - und doch immer zur “Anderen”, zur “Fremden” gemacht werden, weil Weiß-sein die Norm ist. Das Buch enthält auch Diskussionen über Fremd- und Selbstbezeichnungen wie “Mischling” oder “Mulattin”. Und immer wieder Gedichte - auch von May Ayim selbst.
Den wissenschaftlichen Teil bilden Kapitel aus May Ayims Diplomarbeit, in der sie zu Deutschlands Kolonialgeschichte geforscht hat und unter anderem zeigt, dass auch weißen Frauen in den Kolonien bei der Ausbeutung und Unterdrückung eine wichtige Rolle zukam.
Erhebt euch und schweigt nicht mehr!
Eine Anekdote zu May Ayims Dimplomarbeit zeigt, in welchem gesellschaftlichen Klima dieses Buch entstanden ist. Als sie nämlich ihrem betreuenden Professor in Regensburg das Thema vorstellt, lehnt der ab, mit dem Hinweis, dass es in Deutschland, anders als zum Beispiel in Südafrika, doch gar keinen Rassismus gäbe. Audre Lorde schreibt im Vorwort von “Farbe bekennen”: “Dieses Buch ist auch als Aufforderung der hier schreibenden Frauen an alle Bürgerinnen und Bürger ihres Landes gedacht, sich einem neuen Aspekt des deutschen Bewusstseins zuzuwenden, über den die meisten weißen Deutschen noch nicht nachgedacht haben. Ihre Worte dokumentieren ihre Weigerung, die Verzweiflung lediglich mit Blindheit oder Stillschweigen abzuwehren. Solange wir unsere Unterdrückung nicht artikulieren, können wir sie nicht bekämpfen. Deshalb: Erhebt euch und schweigt nicht mehr!”
In den 80er Jahren findet das Buch wenig Widerhall
Mitte der 80er Jahre hatte die Arbeit von Katharina Oguntoye und May Ayim vor allem eine starke Wirkung für schwarze Menschen und People of Colour in Deutschland. Im gleichen Jahr in dem “Farbe bekennen” veröffentlicht wurde, gründete sich auch die “Initiative Schwarze Menschen in Deutschland”. May Ayim wurde später als Spoken Word-Künstlerin und Dichterin bekannt, ist aber viel zu jung verstorben. Die Historikerin Katharina Oguntoye publiziert und engagiert sich bis heute. Damals, in den 80er Jahren finden die Themen aus “Farbe bekennen” in den weißen gesellschaftlichen Debatten, nur wenig Widerhall - auch nicht in weißen feministischen Kreisen.
Heute sollte „Farbe bekennen“ Pflichtlektüre sein
Und heute? Sollte dieses Buch Pflichtlektüre an Schulen sein. Weil es ein wichtiges Dokument jüngerer deutscher Geschichte ist. Es erinnert daran, dass es nicht erst seit den 50er Jahren Schwarze Menschen in Deutschland gibt. Und ein heutiger Blick auf May Ayims Kapitel zu Kolonialismus und Rassismus macht deutlich, wie wenig Deutschlands Rolle im Kolonialismus seitdem aufgearbeitet wurde!
Erfreulicherweise haben Katharina Oguntoye und May Ayim viele jüngere Schwestern im Geiste, deren Stimmen mittlerweile auch eine Öffentlichkeit bekommen - sei es als Autor*innen, Journalist*innen, Musiker*innen oder Podcaster*innen, wie Alice Hasters, Natasha A. Kelly, Leila Akinyi - und viele mehr.
“Farbe bekennen” wird vom Orlanda Verlag alle paar Jahre neu aufgelegt - und ist dann schnell wieder vergriffen. In seiner Mischung aus Porträts, Diskussionen, Gedichten und wissenschaftlicher Analyse ist das Buch immer noch einzigartig.
Zündfunk-Kollegin Laura Freisberg moderiert seit sechs Jahren einen feministischen Leseclub in München. Weil gerade jetzt Zeit zu lesen ist, hat sie für uns eine total subjektive Best-Of-Auswahl getroffen und stellt ihre feministischen Lieblingsklassiker vor.