Meinung Greta Gerwig hätte bei den Oscar-Nominierungen nicht übergangen werden dürfen
Die Oscar-Nominierungen für die 96. Academy Awards sind da. Sandra Hüller ist nominiert, "Oppenheimer" sogar 13 Mal, darunter auch Christopher Nolan für die beste Regie. Doch ein Name fehlt in dieser Kategorie. Ein Kommentar.
Diese Nominierungsliste macht verdammt Spaß. Gerade als deutscher Filmfan. Für ihre Rolle in “Anatomie eines Falls” ist die Deutsche Ausnahme-Schauspielerin Sandra Hüller seit gestern Anwärterin für den Oscar als Beste Hauptdarstellerin. Zurecht. So genial, ergreifend und unaufgeregt spielt sie ihre Rolle als Angeklagte in einem Mordfall. Auch nominiert: Die Regisseurin von “Anatomie eines Falls”, Justine Triet. Neben vier männlichen Kollegen: Christopher Nolan für "Oppenheimer", Martin Scorsese für "Killers of the Flower Moon", Jonathan Glazer für "The Zone of Interest" und Yorgos Lanthimos für "Poor Things". Ich möchte keinen der Herren in Frage stellen. Natürlich sollte es bei den Nominierungen nicht um Genderfragen, sondern rein um die Würdigung großer Regiekunst gehen. Trotzdem: Justine Triet ist erst die 8. Frau, die in 95 Jahren der Academy Awards für einen Regie-Oscar nominiert ist. Sehr erfreulich, aber meines Erachtens nach zu wenig in diesem Jahr.
Keine Nominierung für Barbies Schöpferinnen
Mir fehlt ein zweiter weiblicher Name auf der Liste: Greta Gerwig. Die Regisseurin von “Barbie”, dem Kassenschlager und most-talked-about-Movie aus dem Jahr 2023. Ich bin nicht die Einzige, der diese Abwesenheit aufgefallen ist. Seit die Nominierungen raus sind, gibt es Drama im Barbie-Traumhaus oder eher: im Barbie-Internet. Viele User protestieren und fordern eine Nachnominierung von Greta Gerwig. Die Userin @mytecs etwa schreibt auf X (ehemals Twitter):
"Also warte mal, die Academy hat Barbie 8 Nominierungen gegeben für ein Porträt über den weiblichen Struggle in der Gesellschaft. Und - Vorsicht Ironie - sie haben die Frau vergessen, die diese Ironie zum Leben erweckt hat? Stattdessen nominieren sie aber Ken? Klassischer Oscars-Move."
mytecs
Zur Einordnung: Barbie ist unter anderem nominiert für den Besten Film, das Beste adaptierte Drehbuch und America Ferrera ist in der Kategorie Beste Nebendarstellerin aufgestellt. In den wichtigen Kategorien, Beste Regisseurin und Beste Hauptdarstellerin, aber werden gerade die zwei Frauen übergangen, die diesen Film zum größten Teil zu verantworten haben, Margot Robbie als Produzentin und Protagonistin sowie Greta Gerwig als Regisseurin. Zum Vergleich: “Oppenheimer”, der am gleichen Tag wie "Barbie" in die Kinos kam, ist mit 13 Nominierungen der große Abräumer.
Gesellschaftskritik vs. Puppen
Dass es um die Entscheidung Aufregung gibt, kann ich nachvollziehen: Gerade Gerwig hat in meinen Augen Großes und Faszinierendes geschafft: Sie hat sich etwas so oberflächlichem und eindimensionalem wie einer Puppe angenommen und daraus einen Film geschaffen, der uns zum Lachen und zum Weinen bringt. Der das für viele sehr sperrige und komplexe Thema Feminismus auf ein Mainstream-Level herunterbricht und auch Menschen mit dem Patriarchat konfrontiert, die dieses Wort und seine Bedeutung bisher freiwillig oder unfreiwillig gemieden haben.
Sie hat die Barbie-Welt auf Leinwandgröße gebracht, eine Welt, die wohl viele von uns zurück in ihre Kindheit versetzt hat. Und Gerwig hat diese Plastikwelt liebevoll verwoben mit Referenzen aus aktuellen feministischen Debatten und der Filmgeschichte. Es war Gerwig, die die Idee für eine Musicalnummer wie aus Gene Kelly-Filmen hatte und Ryan Gosling mit “I’m Just Ken” in die Charts brachte. Dafür ist Gosling jetzt für einen Oscar nominiert. Aber eben nicht sie, die Ideengeberin.
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Ryan Gosling - I'm Just Ken Exclusive (From Barbie The Album) [Official]
"Barbie" hat auch viel Kritik einstecken müssen. Berechtigterweise. Nie gab es wohl eine teureren und so viel besprochenen Werbeclip für Mattel. Der “Barbie”-Film romantisiert den Spielzeug-Kapitalismus auf der großen pinken Leinwand und serviert Gesellschaftskritik light. Easy zu schlucken und eher oberflächlich gehalten.
Impossible eine Frau zu sein
Aber fast 4 Millionen Zuschauende haben “Barbie” in deutschen Kinos gesehen und sich so zumindest 120 Minuten lang genau mit diesen Themen light beschäftigt. Sie haben miterlebt, wie Barbie geslutshamed, gecatcalled und schließlich von ihrem eigenen Freund vor die Tür gesetzt wird. Sie haben gelernt, wie auch die Männer unter dem Patriarchat leiden. Und sie haben die Rede von America Ferrera in ihrer Rolle als Gloria gehört. Eine Schlüsselszene im Film, die beweist, dass es unmöglich ist, als Frau das eigene Umfeld und die Gesellschaft zufriedenzustellen:
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America Ferrera's Iconic Barbie Speech | Barbie | Max
Am Ende ist Ken nominiert
Wie bitter ist es gerade nach dieser Szene, dass ausgerechnet die Frau, die sich das alles ausgedacht, zusammengeführt und umgesetzt hat, selbst wiederum keine Würdigung bekommt. Das findet übrigens auch America Ferrera selbst, sie kommentiert:
"Greta hat so ziemlich alles gemacht, was eine Regisseurin machen könnte, um die Nominierung zu verdienen. Sie hat diese Welt kreiert und etwas zu einem globalen Phänomen gemacht, das für viele bisher keinen wirklichen Wert hatte. Es fühlt sich enttäuschend an, sie nicht dort zu sehen."
Schauspielerin America Ferrera
Und Ryan Gosling schreibt:
"Ich dachte nie, dass ich das mal sagen würde, aber ich bin sehr stolz, dass ich für meine Rolle als Plastikpuppe namens Ken nominiert bin. Trotzdem: Es gäbe keinen Ken ohne Barbie, es gäbe keinen Barbie-Film ohne Greta Gerwig und Margot Robbie, die zwei Menschen, die am meisten verantwortlich sind für diesen geschichtsträchtigen und weltweit gefeierten Film. Enttäuschung darüber, dass sie nicht nominiert sind, wäre ein Understatement."
Schauspieler Ryan Gosling
Greta Gerwig hat einen mutigen Kompromiss zwischen Mainstream und Tiefe gewagt. Und sie hat es der Academy auch damit nicht recht machen können. Eine Nominierung wäre mehr als verdient gewesen.