Barbie-Soundtrack Warum der Song "I’m Just Ken" seinen Hype verdient hat
In "Barbie" spielt und singt Ryan Gosling die Leiden des Ken. Ironisch, überdreht, spaßig. Der Song „I’m just Ken“ geht im Netz viral – und der Text trifft viele Männer ins Herz. In den Kommentarspalten auf Youtube werden tausende User ganz unironisch und ernst. Was ist da los?
Ken, der von Barbie und Ken, ist unglücklich. In der Parallelwelt „Barbieland“ ist er immer nur „…und Ken“. Er weiß gar nicht so richtig, wer er ist. Gesehen fühlt er sich nur, wenn Barbie ihn anschaut. Nur sie kann bestätigen. Aber sie tut es nicht. Obwohl er doch immer! so nett war. Trauer und Wut zerreißen ihn. Also singt er: I have feelings that I can't explain. Drivin' me insane. All my life, been so polite. But I'll sleep alone tonight.
"'Cause I'm just Ken..."
Im Film „Barbie“ machen Ken und Barbie ihre eigenen Identitätskrisen durch. Für beide wird es schmerzhaft. Ryan Gosling spielt und singt die Leiden des Ken. Überdreht, ironisch, eindringlich. Die Schwere seines Konflikts kann nur in einer Musical-Nummer gelöst werden: „I’m Just Ken“ beginnt als Lonely-Boy-Ballade, steigert sich in eine Incel-Hymne und endet in einer Katharsis. Im Männerchor legen die anderen Kens ihre Konkurrenz ab und solidarisieren sich. Sie klingen jetzt nach Meat Loaf und erinnern den armen Leidenden an seine (K)energy und dass er doch (K)enough sei: Du bist genug. Du bist dein eigener Mensch. Dein Selbstwert hängt nicht von anderen ab.
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Ryan Gosling - I'm Just Ken Exclusive (From Barbie The Album) [Official]
Die knallbunte Optik und überdrehte Inszenierung laden ein, sich erstmal ironisch zu feiern und anzukuscheln. Der spaßig bombastische Eighties-Sound tut sein Übriges. Im Netz geht’s ab: Die Klickzahlen für Teaser, Videoclip, Audioversion, Reaction Videos, von Fans geloopte Ein-Stunden-Versionen, sowie eine Version nur des geloopten Refrains allein namens „Kenergy For One Hour“ übertreffen zusammen den zweistelligen Millionenbereich. „You are (k)enough“ trendet.
"Can you feel the Kenergy...?"
Und da Ryan Gosling sich im Film ja auch nicht zu ernst nimmt, ist die Hemmschwelle zur Verletzlichkeit nicht so hoch. Und unter den Videos und Audios posten tausende User absolut nicht ironische Kommentare: „Spaß beiseite, ich wünschte, ich hätte das vor zehn Jahren schon gecheckt, dass ich kenough bin ohne Barbie. Das war ne harte Lektion, aber ich freu mich, dass die Botschaft die Runde macht.“ – „Ich fühl mit dir. Hab die letzten zehn Jahre meines Lebens damit verschwendet, mich als Mann nicht gut genug zu fühlen." – "'I'm just Ken and I'm enough. And I'm a great at doing stuff!‘ ist doch die absolute Bestätigung für alle, die denken, sie hätten keine Liebe verdient." – "Ich hatte noch nie eine Beziehung und dachte lange, ich wär nicht okay." heißt es da.
Und dann passiert das, was ich am Internet mag - wenn es mal wieder menschelt. Denn es gibt ja nicht nur Hass im Netz. Liebe ist auch da. In den Kommentarspalten versichern sich die Männer gegenseitig, dass sie (K)enough sind. Wohlwollend, augenzwinkernd, unironisch: „Feel and share the kenergy“ – "You are kenough“ – „We are all "everything" and "enough" – „I love your kenergy!“
Denn es - ist - traurig, ungewollt allein zu sein. Aber es wird tragisch, ungewollt allein zu sein in einer Gesellschaft, die dich darüber definiert. Ob du „gewinnst“. Ob du der „Loser“ bist. Die deine Selbstbestätigung von anderen abhängig macht. In der Liebe. Im Leben. Das macht Druck. Aber wir können die unerfüllte Bestätigung nicht einfordern. Das führt zu Gewalt. Das sehen wir an den jährlichen Statistiken zur Selbstmordrate unter Männern, sowie an den Statistiken zur Partnerschaftsgewalt.
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Just Ken Exclusive
Die Revolution muss also vorher ansetzen. Bevor wir uns selbst oder andere verletzen. Bislang ist es ja so: Ohne Incels keine Alphas. Ohne Mauerblümchen keine Powerfrauen. Die Verlierer haben Angst, niemals zu gewinnen. Und die Gewinner haben Angst, zu verlieren. Denn auch für sie gilt in diesem System: Du wirst niemals genug sein. Dieses System, das läuft ja wie geschmiert. Es verkauft uns alles und macht unglücklich.
In den Kommentarspalten sammeln sich nicht nur Männer. Auch viele Frauen kommentieren „Ich bin eine 65-jährige Frau und ich fühle diesen Song“ oder „My name ist Melissa and I am (k)enough“. Augenzwinkernd. Erleichtert. Ernst.
"I'm just Ken (and I'm enough)..."
„I’m just Ken“ geht viral, weil hier im trojanischen Musical-Ironie-Pferd die Umarmung kommt, die dir sagt: Du bist okay!
Und wenn Männer wie Frauen den Text feiern und sich in den Kommentarspalten ausweinen und trösten, dann weil die Message „Du bist genug“ ein Prinzip berührt, das tiefer liegt als Geschlecht. Dass wir als Menschen per se „gut“ sind und uns selbst gehören, ist eine humanistische Revolution. Es ist Emanzipation Deluxe.
Ob nun all das vom Marketing-Team von Mattel vorausgeplant wurde (dann Hut ab!) oder sich die Kenergy verselbstständigt hat: Ich kaufe meinem Neffen doch lieber ein „You are kenough“-Shirt, als den Alpha-Kurs von Kollegah.