Groove Magazin "Die Szene leidet extrem unter den Mechanismen des Kapitalismus"
Seit 35 Jahren berichtet "die Groove" über elektronische Musik und stand nun kurz vor dem Aus. Warum es gerade in Zeiten von Clubsterben und Kommerzialisierungsdruck wichtig ist, weiterzumachen und wie das konkret funktionieren soll.
Seit 35 Jahren berichtet das Magazin Groove über elektronische Musik und Clubkultur. Aber weil es rote Zahlen schrieb, hat der Verlag Piranha Media es eingestellt. Die Redaktion macht trotzdem weiter – als "Verein für Technojournalismus". Unter dem Motto "Groove On" wirbt der nun um neue Mitglieder und veranstalten eine Fundraising-Party im Berliner Technoclub Tresor: Von Mittwoch auf Donnerstag wird gefeiert. 17 Stunden am Stück. Die Einnahmen fließen ins Online-Magazin. Kurz vor Partystart hat der Zündfunk mit Groove-Redakteur Maximilian Fritz über die Zukunft des Technojournalismus und die Probleme der Clubkultur gesprochen.
Zündfunk: Wie war der Moment, in dem ihr erfahren habt, dass der Verlag euer Magazin Groove einstellt?
Maximilian Fritz: Es war kurz vor Ostern. Wir saßen in unserer Redaktion und bekamen plötzlich eine Mail vom Verlag mit der Einladung zu einem Call mit dem Titel "The Future of Groove". Da wurden wir schon stutzig. In dem Call wurde uns mitgeteilt, dass das Magazin nicht mehr fortgeführt werden kann, weil es sich kommerziell nicht rechnet. Zuerst waren wir geschockt.
Ihr habt aber entschieden, weiterzumachen und einen Verein gegründet: "Verein für Technojournalismus". Was steckt dahinter?
Die Idee war schnell geboren, weil wir dachten: Das kann es nicht gewesen sein. Im Musikjournalismus, sowohl gedruckt als auch online, gab es in den letzten Jahren ein stetiges Magazinsterben. Ich habe im Piranha Media Verlag Tür an Tür mit den Leuten von der Spex gearbeitet. Und von Juice. Oder von Rap.de. Alles Magazine, die es nicht mehr gibt. Deshalb wollten wir was Neues im Musikjournalismus versuchen, indem wir eine Community aufbauen. Musikjournalismus muss fortbestehen, es braucht nur andere Finanzierungsmodelle. Wir sollten uns nicht auf Werbeeinnahmen verlassen oder hoffen, dass wir irgendwelche Gönner finden. Unser Ansatz ist jetzt: von der Szene für die Szene. Deshalb der Verein.
Man kann dann also eintreten in diesen Verein, wie in einen Sportverein. Man zahlt einen Mitgliedsbeitrag und bekommt statt Sportkursen Musikjournalismus.
Genau. Die Leute zahlen einen jährlichen Mitgliedsbeitrag, der variiert je nach Geldbeutel zwischen 50 und 100 Euro. Unser Ansatz ist auch, zukünftig mehr zu schauen: Was interessiert die Leser:innen? Welche Missstände gibt es in der Szene? Wir wollen uns vom Dienst nach Vorschrift verabschieden. Also nicht die ganze Zeit irgendwelche Künstlerporträts online bringen, die vielleicht interessant sein mögen, sondern lieber schauen: Wo ist Bedarf für kritische Berichterstattung?
In welche Abgründe der Technokultur wollt ihr in Zukunft schauen?
Die Szene leidet extrem unter den Mechanismen des Kapitalismus. Das merkt man daran, wie viel Eintritt manche Clubs inzwischen kosten. Wie unfassbar teuer Festivals geworden sind, sodass sich viele vielleicht noch gerade so den Eintritt für ihr Lieblingsfestival leisten können, aber nicht mehr auf mehrere fahren können. Oder daran, wie viel mehr Aufmerksamkeit Player kriegen, die sich und ihre Partys gut vermarkten, im Vergleich zu jenen, die wirklich mit Herzblut dabei sind. Während es den großen Künstler*innen gut geht, bricht der Mittelbau in den letzten Jahren weg. Festivals ohne große Headliner haben spätestens seit der Pandemie Probleme, ihre Tickets loszukriegen. Wir als Groove-Redaktion sehen uns in diesem Gefüge als Idealisten, die zumindest versuchen wollen, Techno- und House-Music oder Dance-Music zurück zu ihren Wurzeln zu führen.
In den sozialen Medien habt ihr kürzlich einen Post geteilt: Eine kleine Geschichte des Niedergangs, denn die darin erwähnten Läden gibt es in der Form nicht mehr.
Traurig, oder? Insbesondere vor der Pandemie gab es deutlich mehr Euphorie in den Clubs. Die Clublandschaft war auch diverser aufgestellt – während es heute zwar bei großen Clubs wie dem Tresor oder Berghain relativ gut läuft, kleinere aber darben. Die Fälle der Berliner Clubs Renate und Watergate sind Negativbeispiele dafür, was passiert, wenn Immobilieninvestoren die Mieten so hochsetzen, dass sie sich kaum einer mehr leisten kann – und die Politik zuschaut.
Das schlägt sich dann natürlich auch in den Eintrittspreisen und möglicherweise sinkenden Gagen für DJs nieder, das hängt alles zusammen. Dieser Post ist hochnostalgisch. Aber so schön es ist, an diese Zeit zurückzudenken, sollten wir jetzt auch schauen, wie es anders weitergehen kann. Da sehe ich auch uns als Verein für Technojournalismus in der Pflicht, diese Entwicklung kritisch und journalistisch zu begleiten.
Wie kann es denn weitergehen? Wie kriegt man eine neue, aufregende Zeit hin?
Clubkultur und Kultur insgesamt hat nie davon profitiert, alte Geister wieder beschwören zu wollen und sich in nostalgischer Vergangenheitsverklärung zu üben. Was ich mir für die Zukunft wünsche, ist eine stärkere Betonung auf einzelne Partyreihen. Und mehr Gemeinschaftlichkeit statt Kommerz. Das wird auch schon von einzelnen Kollektiven umgesetzt.
Es gibt zwei Welten: Den krassen Superstar-DJ-Jetset, also Leute, die Wochenende für Wochenende um die Welt touren. Das sei ihnen auch gegönnt. Trotzdem darf Clubkultur nicht als Ganzes in kapitalistischen Fängen landen, sondern du kannst auch eine Nacht zu vernünftigen Preisen gestalten, ohne die krassesten Headliner zu buchen. Aber natürlich brauchst du auch das Publikum dafür. Und ich merke in den letzten Monaten, dass dahin der Weg wieder geht. Auch da war die Pandemie sicherlich ein Faktor. Weil die Clubs so lange geschlossen waren und junge Leute eigene Raves veranstaltet haben, sagen sie jetzt: Wieso brauchen wir eigentlich Clubs? Wieso machen wir nicht unsere eigenen Partys?
Was sind eure nächsten Schritte als Groove, als neuer Verein für Technojournalismus? Wie viele Mitglieder fehlen euch noch?
Ich habe aus Aberglauben länger nicht auf die Zahlen geschaut. Aber um die 200 bis 300 Mitglieder mehr würden uns auf jeden Fall sehr guttun.