Band-Bankrott Nein, Claudia Roth hat Ton Steine Scherben nicht auf dem Gewissen
Kulturstaatsministerin Claudia Roth war vor ihrer Polit-Karriere Bandmanagerin von “Ton Steine Scherben” – bis zu deren Auflösung. Facebook-Trolle behaupten immer wieder, dass sie daran Schuld sei. Dabei spricht alles dagegen.
Beleidigungen, Vergewaltigungsdrohungen, Mordfantasien: Grünen-Politikerin Claudia Roth ist seit Jahren dem Hass im Netz ausgesetzt. Aber politische Reizfigur war sie schon vor dem Internet-Zeitalter, zu Beginn ihrer Polit-Laufbahn. Dafür sorgten nicht nur ihre unkonventionellen bunten Outfits, sondern auch ihr vorheriger Job.: Bevor sie im Jahr 1985 Pressesprecherin der Grünen und später selbst Abgeordnete wurde, war sie drei Jahre lang Managerin von Ton Steine Scherben – bis die Band hochverschuldet ihre Auflösung bekanntgab. Roth war damals Ende 20.
Für das Band-Aus machen Internet-User immer wieder Roth verantwortlich, entsprechende Kommentare finden sich unter Facebook-Posts schneller, als man “Tonsteinescherben” sagen kann.
Der Vorwurf lautet in etwa so: Eine inkompetente Roth habe eine erfolgreiche Band heruntergewirtschaftet und sie somit in den Ruin und die Auflösung getrieben. Doch diese Behauptung ist so wenig wahr wie Rio Reisers Traum einer gerechten Gesellschaft.
Die Band war schon vor Claudia Roth dauerpleite
„Ton Steine Scherben“ haben sich 1970 gegründet – also lange vor Roths Einstieg als Managerin. Von Anfang an hatte die Band Geldprobleme. Eine Chance auf einen Plattenvertrag hätte die Band in den Anfangsjahren nicht gehabt – gegen die Regierung anzusingen und zu Hausbesetzung anzustiften, das wollte im Deutschland der 70er keine Plattenfirma finanzieren. Der Band war das wumpe, sie wollten vor allem Musik machen und ihre politische Botschaft verbreiten – und schätzten ihre Unabhängigkeit mehr als alles andere. Die Credits bei den Fans dafür waren groß – diejenigen in der Bandkasse allerdings klein. Bei Konzerten verdiente die Band kaum einen Pfennig – weil die Fans ihre systemkritischen Idole gerne live sehen, aber nicht bezahlen wollten.
Und nicht nur die Bandkasse war leer, auch oft die Mägen der Musiker und später auch der Managerin waren es. Man habe „oft kaum etwas zu essen“ gehabt, sagte Roth gegenüber der Süddeutschen Zeitung über diese Zeit. Das Geld sei so knapp gewesen, die Band und Roth mussten „Leergut sammeln, um durchzukommen“. Diese Erinnerung mag man verklärend oder dramatisiert finden, Fakt ist: Ton Steine Scherben waren im finanziellen Sinne keine erfolgreiche Band, und das war schon lange vor Claudia Roth so.
Ton Steine Scherben wehrten sich von Beginn an gegen den Ausverkauf
Hätte Roth dem als Managerin dann nicht ein Ende bereiten und der Band einen lukrativen Plattenvertrag bescheren müssen?
So ein Gedanke übersieht völlig, dass die Band das überhaupt nicht wollte. Von Beginn an hat sich die Band gegen kapitalistische Vermarktung gewehrt, stand als musikgewordenes „Nein“ zum System auf den Bühnen; Unabhängigkeit und künstlerische Freiheit waren der Band wichtiger als Geld. Als sich Rio Reiser nach der Auflösung doch zu einer Solokarriere bei einem Major-Label hinreißen ließ – um die Bandschulden abzubezahlen – bezeichnete er das als „auf den musikalischen Strich“ gehen.
Und auch die Fans hätten einen Ausverkauf niemals akzeptiert. Roth zufolge wurden Ton Steine Scherben allein dafür schon kritisiert, bei den Konzerten Eintritt zu verlangen.
...und kein Major-Plattenvertrag für Ton Steine Scherben, niemals!
Laut Rio Reisers Bruder Gert Möbius, der selbst zeitweise als Manager der Band fungierte, habe es Roth besser als ihre Vorgänger geschafft, halbwegs schuldenfreie Tourneen zu organisieren. “Die Band war mit Claudia Roth besser organisiert als vorher”, sagt er im Telefongespräch mit dem Zündfunk.
Als ehrliche Revoluzzer überleben – für Ton Steine Scherben nicht möglich
Am Ende schaffte es die Band nicht, authentisch die Revolution zu verkörpern und trotzdem innerhalb des Systems ihr finanzielles Überleben zu sichern. Ausgebrannt und auf einem Schuldenhaufen von mehreren Hunderttausend Mark beriet sich die Band schließlich über die Zukunft – und, so ist es überliefert, stimmte demokratisch für ihre Auflösung. Claudia Roth, so erzählt sie es heute, war gegen die Entscheidung der Band.