Das Corona-Tagebuch Auf Trump und Pence - mein Albtraum-Team - ist kein Verlass
Auch in New York sind die Schulen dicht. Deutsch, Englisch und Mathe, zweite und fünfte Klasse: Unser Autor Matthias Röckl ist neuerdings Aushilfslehrer bei seinen Kindern und ist mit seiner Familie nach Woodstock "geflohen".
Stundenplan fürs Home-Schooling
Home Schooling: Das schwierigste dabei ist, eine Struktur reinzubekommen. Die Motivation meiner Kids schwankt von Stunde zu Stunde. Plötzlich haben sie Hunger, lenken sich gegenseitig ab, wollen Serien auf Netflix oder Hulu schauen oder die Cousine auf Facetime sprechen. Oder sie starren einfach nur mich an. Ich halte mich ja auch nicht an die neuen Schulregeln und dann ertappen sie mich dabei, wie ich schon wieder Nachrichten auf dem Handy lese. "Ab jetzt Corona-Ferien in Bayern", lese ich. Von wegen Ferien! Wir hier in New York machen Schulunterricht ... zumindest versuchen wir es.
Rückblick – better save than sorry
Vor drei Wochen herrscht noch die alte Welt, in Brooklyn zumindest. Die Corona-Zeitverschiebung nach Europa beträgt mindestens zwei Wochen. Das, was sich dort abspielt, ist hier noch nicht angekommen, vor allem nicht in den Köpfen der Leute. Es ist Sonntag. Heute arbeite ich meine monatliche Arbeitsschicht im Food-Coop ab, einem Supermarkt nur für Mitglieder.
Ich scanne Lebensmittel an der Kasse und quatsche mit den Käufern. Einer fragt mich: "Wo kommst du eigentlich her?" "Germany," sage ich. "Ach ja", meint er, "ich habe eine gute Freundin in Berlin, die mit einem bedeutenden Virologen befreundet ist. Es wird ernst werden: 150.000 Tote in Deutschland und in den USA könnten es bis zu fünf Millionen sein". Dann bezahlt er und geht nach Hause und irgendwann gehe auch ich nach Hause und sage zu meiner Frau: "Lass uns Essen auf Vorrat besorgen. Ich habe kein gutes Gefühl". Am nächsten Tag werden 350 Dollar in Bio-Dosensuppe, gefrorenen Kale-Salat und jede Menge Reis und sonstiges, und ein Snack-Arsenal für die Kinder investiert. "Better save than sorry", nennen das die US-Amerikaner.
Rückblick – Aus der Epidemie wird eine Pandemie
Zwei Wochen später: Laut WHO ist das Virus jetzt eine Pandemie – doch hier in NYC immer noch kein Grund zur Beunruhigung. Zumindest ist selbst Bürgermeister Bill DeBlasio noch zuversichtlich bei seinem wöchentlichen Interview im Public Radio.
"God forbid anyone of us has to deal with Corona Virus – but if you have to experience it, there is no place better on earth to be, then in NYC right now. With more doctors and nurses and medical professionals and the strongest health apparatus in the nation by far. Huge number of Hospital beds."
(Bill DeBlasio)
New York ist die beste Stadt auf dieser Welt in der ich diesen Virus bekommen könnte – alles klar. Corona hat inzwischen meine Auftragslage infiziert: Am Wochenende wird ein großer Freelance-Job abgesagt, ein weiterer verschiebt sich auf unbestimmte Dauer. (DAMN!) Ich bleib zu Hause, bin jetzt ja der Ersatzlehrer für meine Kids.
Rückblick – Corona kommt an
In New York City ändert sich ab jetzt die Lage täglich. Was heute noch kein Problem ist, wird morgen zum Problem. Auf Trump und Pence, mein Albtraum-Team, ist kein Verlass. Ein schnelles Auffangnetz wie Merkel es ausrollt, das gibt es hier nicht.
Einer Bekannten von mir, die zwei Restaurants in Brooklyn betreibt, bleibt nichts Anderes übrig, als 40 Leute zu feuern.
17. März – Happy Birthday
Heute ist der Geburtstag meiner Frau – doch zum ersten Mal feiern wir ihn nicht. Home-Schooling ist angesagt. Außerdem: Unsere "Self-Quarantine" hat begonnen. In 48 Stunden soll die "Shelter in Place"-Verordnung in Kraft treten, die New Yorker sollen ab dann zu Hause zu bleiben. Zu Hause fangen wir zu diskutieren an: Wie lange wird die U-Bahn noch fahren, was, wenn sie die Parks schließen. Werden bald schon die Brücken und Tunnel dichtgemacht, so wie damals bei Sturm Sandy. Dann stecken wir hier fest.
Meine Frau sagt: "Ich wünsche mir zum Geburtstag, dass wir die Stadt verlassen." Zum Glück ist das Ferienhaus frei, das wir immer im Sommer mieten. Jetzt nichts wie raus aus der kleinen 2-Zimmerwohnung. Die Kids sind schon im Schlafanzug, die Dosensuppen im Auto und wir tuckern nach Woodstock, Upstate. Normalerweise brauchen wir mindestens eine Stunde von Brooklyn, durch Manhattan zur George Washington Bridge. Wir schaffen es in rekordverdächtigen 28 Minuten. Die Straßen in Manhattan sind gespenstisch leer.
Exodus nach Woodstock
Der Exodus nach Woodstock Upstate, war die beste Entscheidung. Seit wir hier oben in dem kleinen Haus im Wald auf dem Berg sind, ist alles ein wenig entspannter. In New York City spitzt sich seitdem die Lage jeden Tag zu. Es sind ähnliche Meldungen wie aus Deutschland – Ärzte sind besorgt, das Equipment wird knapp, Trump will schon bald wieder die Leute zum Arbeiten schicken, das könnte schlimm enden.
Wechsel in ein Social-Media- und Internet-Zeitalter
Ich bin fasziniert, wie wir innerhalb kürzester Zeit in ein aufregendes und neues Social-Media und Internet-Zeitalter übergewechselt sind. Jeder sendet Content von zu Hause. Ich sehe, wie meine Schwester ihr Landshuter Yogastudio jetzt auf YouTube streamt, amüsiere mich über die Rap-Performance von Common, der sich aus seiner Wohnung in Chicago meldet und ich bin froh, dass meine Frau auch vom Berg in Woodstock aus weiterarbeiten kann.
Sie gibt jetzt ihre Therapiestunden über Facetime und viele Leute buchen ihren neuesten Service "Reiki übers Telefon – Bezahlung per Spendenbasis". Die Leute sind gestresst, sie brauchen etwas für die Seele.
Ein Leben "Day by Day ..."
Das Leben geht jetzt "Day by Day" weiter. Vieles ist ungewiss. Wann kommen wieder Freelance-Jobs rein? Wann geht das Geld aus? Werden die US-amerikanischen Wahlen verschoben? Wieso verliert gerade jetzt Bernie Sanders das Vertrauen der Leute, wir brauchen doch eine gute Versicherung, um den 100.000 Dollar Corona-Krankenhausaufenthalt zu bezahlen? (FUCK IT) Ich kümmere mich jetzt erst mal um die Mathe-Hausaufgabe meines Sohnes. Wetten, wir schaffen ne 2 Plus!