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Das Corona-Tagebuch Gestrandet in der Karibik – eine Robinsonade

Unsere Autorin Marlene Halser ist in Nicaragua auf einer Karibik-Insel gestrandet. Ihr Flug wurde Corona-bedingt gestrichen. Ob, wie und wann sie es nach Deutschland schafft, ist immer noch nicht ganz klar.

Von: Marlene Halser

Stand: 26.03.2020 | Archiv

Marlene Halser | Bild: Marlene Halser

Geräuschlos gleitet das schmale Kanu durchs klare Wasser. Um uns herum dichter Regenwald. Uralte Bäume ragen meterhoch in den Himmel. Jeder Ast ist bewachsen von wieder anderen Pflanzen. Moose, Ranken, Orchideen. Alles hier ist Symbiose und Koexistenz. Hoch über uns in den Baumwipfeln schreien die Aras. Von Fern ist der kehlige Gesang der Brüllaffen zu hören. Verzaubert betrachten wir die Natur, die hier so greifbar und lebendig ist. Alejandro ist einer unserer Guides. Er steht am Bug und stakt das Boot gemächlich mit einem langen Stab flussaufwärts. Plötzlich dreht er sich um und sagt: "Hey, wisst ihr, was ich gestern in den Nachrichten gehört habe? Trump hat angekündigt, ab morgen keine Europäer mehr ins Land zu lassen. Wegen Corona."

Mitten im Regenwald ohne Netz

Es ist Donnerstag, der 12. März. Wir sind in einem der abgelegendsten Teile von Nicaragua in einem Camp mitten im Regenwald. Und wir haben kein Netz. Sofort beginnen sich in unseren Köpfen die Gedanken zu drehen: Ich habe im Anschluss an unsere Reise einen Recherchetrip in die USA geplant. Was wenn wahr ist, was Alejandro sagt?

Entwarnung. Irgendwie...

Zwei Tage später sind wir zurück in der Zivilisation: Entwarnung! Die Nachricht stimmt. Sie gilt aber nur für Menschen, die in den 14 Tagen zuvor in Europa waren. Dafür sind wir schon zu lange weg. Puh. Trotzdem: Von Freunden und Verwandten rattern Nachrichten von zuhause ein: Hamsterkäufe, Veranstaltungsabsagen, geschlossene Schulen und Kitas, Panik, Angst vor dem Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung, Social Distancing. "Wollt Ihr nicht doch schon früher zurück?", fragen die Ängstlichen. "Bleibt bloß weg. Hier ist es schrecklich", schreiben die anderen. Den Urlaub vorzeitig abzubrechen, klingt wie eine absolut lächerliche Idee. Wir fühlen uns mutig, frei und am richtigen Ort. In Nicaragua ist bislang kein einziger Corona-Fall bekannt.

Ruhelos im Paradies

Wir machen uns auf zur letzten Etappe unserer Reise: Little Corn Island, eine Insel im karibischen Meer, 70 Kilometer von der Küste von Nicaragua entfernt. Was uns da erwartet, sind drei Quadratkilometer Paradies: türkisblaues Meer, Sandstrand, Palmen. Knapp 700 Menschen leben hier. Wir beziehen einen Bungalow am Strand – und haben doch kaum Zeit, das Paradies zu genießen, weil wir permanent am Telefon hängen.

Frust auf der Insel

Sprachnachrichten von Freunden und Familie. Nachrichten und Eilmeldungen. Emails von meinen Interviewpartnerinnen in den USA. 'Ich weiß nicht, ob ich Sie treffen kann, wir haben eine Krise hier.' Ich bin frustriert. Nach Hause will ich nicht. Mein ganzes Jahr war auf diese Recherche ausgelegt. Aufträge, die damit verbunden sind. Ich bin freie Autorin. Ein festes Einkommen habe ich nicht. Ob ich irgendwo in Mittelamerika warten kann, bis die Krise vorüber ist?

Kein Heimflug, also weiter?

Dann eine Mail von meiner Fluggesellschaft: Mein Heimflug von San Francisco nach Berlin wurde gestrichen. Ersatzlos. Immerhin: das Angebot, ihn gegen einen Gutschein zu tauschen, den ich für ein ganzes Jahr einlösen kann. Meine Stimmung bessert sich. Wie wäre es mit einer Zwischenstation in Mexiko? Die Idee heitert mich auf.

"Nur unter Wasser vergessen wir, was oben passiert."

Die Tage vergehen. Deutschland kündigt ein Rückholprogramm für gestrandete Urlauber an. Uns wird mulmig. Die Freundin, mit der ich unterwegs bin, überprüft ihren Rückflug. Etwas stimmt nicht. Die Ankunfts- und Abflugzeiten, die in der App angezeigt werden, passen nicht mehr zusammen. Die Telefonhotline der Airline ist besetzt. Man soll erst 72 Stunden vor Abflug anrufen, sagt die Stimme vom Band. Wir legen uns an den Strand. Entspannen können wir uns nicht. Nur unter Wasser, beim Tauchen, vergessen wir, was oben passiert.

Die Ökologie von Krankheiten

Ich lese einen Artikel der New York Times aus dem Jahr 2012. Er heißt "The Ecology of Desease", die Ökologie von Krankheiten. Darin steht: Dass uns neue Viren befallen, auf die unser Immunsystem nicht vorbereitet ist, liegt daran, dass wir immer weiter gewaltsam und zerstörerisch in geschlossene Ökosystem vordringen – und damit auch in die Lebensräume von Tieren, die zuvor kaum Kontakt zu Menschen hatten. So springen die Viren über, zum Beispiel von Fledermäusen. Anders als die Tiere, die das Virus seit Generationen kennen, haben wir Menschen keine Antikörper dagegen gebildet und sterben unter Umständen daran. So war es auch bei Covid, vermutet die Wissenschaft.

Ich denke an den Regenwald, in dem wir gerade noch waren. Wie atemberaubend schön es dort war, wie perfekt. Gerade weil wir dort Besucherinnen waren, respektvolle Gäste in einer Welt, die uns nicht gehört. Wir Menschen machen die Erde kaputt. Fast scheint es so, als würde die Natur nun jeden einzelnen von uns auf sein Zimmer schicken, um darüber nachzudenken, was wir angestellt haben.

Langsam wird es ernst

Die deutsche Botschaft in Managua verschickt "Landsleutebriefe" per Mail. Die Rückholung aus Nicaragua habe keine Priorität, heißt es dort. Andere Orte seien schlimmer dran. Man solle sich aber dringend um die selbstorganisierte Rückreise bemühen. Sei Corona hier erst mal ausgebrochen, könne man nicht für die Sicherheit garantieren. Ok, denke ich. Langsam wird es ernst.

Ich kann sie nicht alleine lassen

Es ist Freitag und ich hänge in der Warteschleife. Fahrstuhlmusik dudelt. Nach einer Stunde nicke ich ein. Als ich hochschrecke, läuft die Musik noch immer. Meine Freundin hat schon umgebucht. Ein Flug für den 28. März. Sie ist mit einer anderen Fluggesellschaft unterwegs als ich. Nach anderthalb Stunden geht auch bei mir jemand in der Warteschleife ans Telefon. Eine freundliche Frau, mit müder Stimme. Ich kann am 23. März über Miami und London nach Berlin fliegen, bietet sie an. Ich zögere. Meine Freundin fliegt erst fünf Tage später. In Coronazeiten ist das eine lange Zeit. Ich kann sie nicht alleine lassen, sage ich und schlucke. Ich verstehe, sagt die Frau und bucht auch mir einen Flug für den 28. März. 'Ich kann aber nicht garantieren, dass unsere Fluggesellschaft dann noch fliegt.' Okay, antworte ich.

Jetzt heißt es warten

Dann gibt es auch in Nicaragua den ersten Coronafall. Sofort schließen auf der Insel die ersten Restaurants. Auch die Tauchschule macht zu. Ein Gerücht macht die Runde: Die Insel soll abgeriegelt werden, heißt es, damit niemand den Virus bringt. Die Boote würden eingestellt. Wir hetzten zum Pier und fragen uns durch. Das Gerücht stellt sich als falsch heraus. Die Boote haben einen staatlichen Auftrag und müssen fahren, sagt man uns. Wir legen uns an den Strand – und warten. Mehr können wir jetzt nicht tun. Meine Freundin tritt einer WhatsApp-Gruppe von gestrandeten deutschen Urlaubern in Nicaragua bei. American Airlines stellt am 27. März den Flugverkehr komplett ein, heißt es dort. Das wäre ein Tag, bevor wir reisen sollen. Bestimmt nur ein Gerücht, denke ich und gucke aufs Meer hinaus. Ich sehe zu, wie die Wellen eine ins Wasser gefallene Kokosnuss anspülen. Die Airline anrufen kann ich nicht. Das geht erst 72 Stunden vor Abflug.

Marlene Halser ist freie Autorin. Sie arbeitete bei der taz und hat den Karl-Buchrucker- sowie den Deutschen Reporterpreis bekommen.


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