Meinung Warum Berliner Techno in einer Kulturerbe-Liste nichts verloren hat
Die Berliner Technokultur ist immaterielles Kulturerbe. Während sich viele Deutsche darüber freuen, ist im Ausland eine Debatte um strukturellen Rassismus entbrannt, die zeigt: Die UNESCO hätte es einfach lassen sollen.
Viele waren in Feierlaune, als vor einigen Tagen die frohe Botschaft verkündet wurde: Die Berliner Techno-Kultur ist immaterielles Kulturerbe. Neben einem traditionellen Obstwein, Sangestraditionen aus Finsterwalde und Bergsteigen in Sachsen zählt der Berliner Techno laut der deutschen UNESCO-Kommission und der Kultusministerkonferenz der Länder nun also zur „Vielfalt des kulturellen Lebens“. Die UNESCO begründet: Bei der Techno-Szene handele es sich „nicht nur um eine spezifische Musikrichtung, sondern auch um einen gelebten Gegenentwurf zu klassischen Praktiken des Musikhörens.“
Kritik: UNESCO-Entscheidung ist strukturell rassistisch
Während sich deutsche Techno-Fans freuen, wird die Kritik im Ausland jedoch lauter. Auf der Plattform Resident Advisor merkt man an: Techno wurde gar nicht in Berlin erfunden, sondern in Detroit. Von Schwarzen. Mitte der 80er haben Jugendliche dort erstmals mit Elektro-Funk und Housemusik experimentiert – und sind so zu Wegbereiter geworden für den Techno, der in den 1990er Jahren die Welt und auch Berlin erobert hat. Dass die deutsche UNESCO-Kommission das in ihrer Ehrung weglasse, und Berlin zum Techno-Erbe mache, sei grenzwertig und strukturell rassistisch, heißt es dort.
Tatsächlich ist das in Europa weitgehend unbekannt, aber: Das schwarze Amerika hat sich Ende der 1970er Jahre stark für Synthesizer-Musik begeistert und mit Samples experimentiert. In Chicago entstanden so die ersten Hip-Hop-Beats – doch in Detroit haben Künstler*innen die bestehende Musik schneller und düsterer gemacht. Motor-City wurde so zum Geburtsort des Techno. Der bekannteste Techno-Pionier ist Derrick May. Der erklärt: „Die Musik ist genauso wie Detroit – ein kompletter Fehler.“ Denn Detroit hatte damals einen schlechten Ruf und die Techno-Pioniere wollten auch gegen den Motown-Optimismus musizieren, gegen den „bürgerlichen Konformismus“, wie Derrick May gesagt hat. Der Gegenentwurf zu klassischen Praktiken des Musikhörens, den die UNESCO nun Berlin zuschreiben will, ist also eigentlich den Techno-Pionieren aus Detroit zu verdanken.
Debatte um fehlende Wertschätzung afroamerikanischer Kultur
Und wieder sind wir mittendrin in einer Debatte um die fehlende Wertschätzung afroamerikanischer Kultur. Die in vielen Genres gerade ähnlich geführt wird. Im Punk zum Beispiel, existiert schon lange die Kritik, dass Musikfans bei den Ursprüngen des Genres gerne an weiße Bands wie die Ramones oder die Sex Pistols denken, dabei aber den Afro-Punk vergessen, der zu einer ähnlichen Zeit populär wurde und das Genre stilgebend geprägt hat. Auch bei Country-Musik versucht Beyoncé gerade, an die schwarzen Ursprünge der als weiß geltenden Musik zu erinnern, das Genre zu Reclaimen.
In Sachen Techno funktioniert die Argumentation aus dem Resident Advisor aber nur so halb. Denn die Inspiration der Pioniere aus Detroit waren wiederum weiße Bands. Kraftwerk, Yello, Heaven 17 oder New Order hat man in Detroit geliebt. Die Beats dieser Bands waren es dann auch, die Derrick May und co. verfremdet und so zu Techno gemacht haben. Auch Kraftwerk werden sich an Vorbildern orientiert haben, als sie ihren elektronischen Sound entwickelt haben – die gesamte Geschichte der Popmusik basiert auf solchen Aneignungen.
Muss ein deutsches Gremium an Detroit denken?
Außerdem ist es schwierig, ein Gremium, dass sich aus dem Bundesrat und der deutschen UNESCO-Kommission zusammensetzt dafür zu kritisieren, dass es sich mit popkulturellem Phänomen aus Deutschland auseinandersetzt, aber nicht mit Detroit. In den 90ern war der Techno in Berlin nun mal ein verbindendes Element für die Wiedervereinigung. Und viele Clubs haben bis heute Kultstatus. Zumal Claudia Roth die Sensibilität der Szene für solche Themen in ihrer Laudatio noch explizit hervorhebt. „Die Berliner Technokultur steht seit vielen Jahren für Werte wie Vielfalt, Respekt und Weltoffenheit“, wird Roth bei der UNESCO zitiert.
Warum die Techno-Kultur in so einer Liste trotzdem nichts verloren hat
Stellt sich trotzdem die Frage, ob eine solche Auszeichnung für die Techno-Kultur erstrebenswert ist. Gerade, wenn man sich das zu Herzen nimmt, was die Techno-Pioniere in Detroit eigentlich im Sinn hatten. Die wollten schließlich ein Gegenentwurf zu dem zu sein, was Institutionen wie der Bundesrat oder die UNESCO als kulturell erstrebenswert betrachten. Techno-Pionier Derrick May hat sich aus genau diesem Grund irgendwann vom Techno abgewandt. Immer wieder kritisierte er die fortschreitende Kommerzialisierung des Genres.
Und in einer Reihe stehen mit Finsterwalder Sangestraditionen oder Bergsteigen in Sachsen – das dürfte sich auch für viele deutsche Techno-Pioniere so cool anfühlen wie ein Finanzminister, der von „Bubatz“ redet. Wenn die UNESCO Berlin für sein Kulturerbe unbedingt auszeichnen will, hätte man vielleicht lieber die Schnauze genommen. Wo sonst wird man im Restaurant vom Kellner angepöbelt, wenn man seine Bestellung aufgibt? Oder die Hundekacke auf dem Gehweg, die wäre auch mal ein gutes Kulturerbe. Dieser einzigartige Geruch und das Gefühl wie auf Wolken zu laufen, wenn man dann doch mal aus Versehen in den Haufen steigt… das gibt es selbst in Detroit nicht.