Black Country Wie Beyoncé den Country zurückerobert
Mit ihrem neuen Album „Cowboy Carter“ scheint Beyoncé sich ihren Platz im Country erobern zu wollen. Denn was heute oft als weiße Cowboymusik daherkommt, war lange die Musik der Black People in den USA. Und ihre Rückeroberung gefällt längst nicht allen.
„Heute ist ein guter Tag,“ schrieb Rhiannon Giddens auf Instagram, als sie am nach dem 58. Superbowl aufwachte, denn Beyonce hatte gerade ihr neuen Song „Texas Hold 'Em“ veröffentlicht - und Giddens Banjo und Viola sind darauf zu hören. Giddens ist eine renommierte Country-Sängerin, Songwriterin und Aktivistin. Sie setzt sich seit Jahren dafür ein, BIPOC in der US-amerikanischen Roots-Szene sichtbarer zu machen. Viele sind der Auffassung, dass Country ein rein weißes Genre ist, die Geschichte des Musikstils ist aber eng verwoben mit der Geschichte von Schwarzen Menschen in den USA. Und damit auch mit Rassismus und kultureller Enteignung.
Black Country: Geschichte eng mit Enteignung verbunden
Nehmen wir beispielsweise das Banjo, Giddens Hauptinstrument. Bis 1840 waren die Menschen der afro-amerikanischen Diaspora die einzigen, die das Banjo spielten. Wie viele andere Saiteninstrumente stammt es eigentlich aus Westafrika. Versklavte haben das Banjo von Afrika nach Amerika gebracht und damit hunderte Jahre lang auf den Plantagen Musik gespielt. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die sogenannten Minstrel Shows an Popularität gewannen, zutiefst rassistische Theaterstücke, die das Leben der Versklavten auf den Baumwollplantagen aufs Korn nahm.
Die Musik, die in diesen Shows entstand, war die Grundlage für Unterhaltungsmusik, zum Beispiel in Broadway Shows. Und das Banjo fand schließlich seinen Weg in Musikgruppen, die frühe Formen von Bluegrass und Country spielten. Schon bald war das Instrument danach auf Konzerten in den USA, aber auch in England zu sehen. Die Musizierenden, die aber am Ende auf den Bühnen standen und Erfolge einfahren konnten, waren überwiegend weiß.
Schwarzen Menschen war es um 1840 noch lange verboten, öffentlich aufzutreten, sogar nach Abschaffung der Sklaverei 1865. Die einzige Möglichkeit für Afromaerikaner*innen und vor allem Musiker*innen, ein bisschen Geld zu verdienen, waren tragischerweise oft die Minstrel-Shows. Also nahmen sie sich - trotz der rassistischen Konnotation - teilweise selbst aufs Korn, um zu überleben. Während es bei den einen ums Überleben ging, verdienten andere richtig gut Geld. Dabei gingen die Melodien vieler früher Country Hits auf Lieder zurück, die Schwarze Pfarrer im Süden gesungen haben. Und es gibt noch mehr Beispiele.
Schwarze Pioniere des Country
Während von Hank Williams schon viele gehört haben, dem großen Country Star mit dem einzigartigen Stil-Mix aus Hillbilly, Folk und Blues, ist der Name seines Mentors recht unbekannt: Der Schwarze Blues-Musiker Rufus „Tee Tot“ Payne, der seinen Mentee Hank Williams zum Blues führte. Ähnlich wie Blues-Kollege Gus Cannon, ebenfalls Schwarz, der den jungen Johnny Cash unterrichtete, als dieser noch als Haushaltswarenvertreter in Memphis arbeitete. Und wir sollten uns auch an Lesley „Esley“ Riddle erinnern, ein Pionier der Gitarren-Finger-Picking-Techniken, von dem sich Maybelle Carter (Teil der frühen Country-Star-Band „Carter Family“) einiges abschaute und bei sich implementierte. Auch Jimmy Rodgers, der erste Country-“Popstar“ überhaupt, hat sich bei Schwarzer Musik, bei Jazz und Blues bedient.
Rhiannon Giddens sind diese Beispiele alle sehr bewusst. Als Schwarze Frau arbeitet sie aktiv für Aufklärung. Und jetzt ist ihr eigener Banjo-Riff auf einer Single der wohl größten Schwarzen Künstlerin unserer Zeit zu finden. Auftritt: Beyoncé. Nach ihrem riesigen Erfolg mit dem „Renaissance“ Album und einer ausverkauften Welt-Tournee, hat die Künstlerin ihr nächstes Werk angekündigt. „TEXAS HOLD’ EM“ und „16 CARRIAGES“ heißen die neuen Songs - alle beide kommen wie immer bei Beyoncé opulent produziert und aalglatt radiotauglich daher, nur das Genre der Songs hat dann doch viele überrascht.
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Zumindest für die, die nicht Teil der Fan-Community, des „Bee-Hive“ sind. Der Hive hat schon lange vermutet, dass der zweite Akt von Beyoncés Projekt voll Honky-Tonky und Hillbilly wird. Schließlich will sie eine zusammenhängende Trilogie veröffentlichen. Auf Tour gab es schon mehrere Hinweise: Cowboy-Hut, Pferde oder Sporen waren in den Visuals und Outfits zur „Renaissance“-Tour wichtige Elemente.
Negative Reaktionen aus der Country-Szene
Und auch musikalisch gab es schon mal eine Annäherung an Country, 2016 auf Beyoncés Album „Lemonade“. Im Song „Daddy Lessons“ singt die Künstlerin in astreiner Country-Manier mit einem Banjo um die Wette. Die Folge: ein Auftritt bei den Country-Music-Awards - ein umstrittener Auftritt, denn erstens: Beyoncé nahm damals die Dixie Chicks mit auf die Bühne. Eine Country-Girl-Group, die für ihre rassismuskritischen Aussagen gegenüber der Country-Szene zu personas non gratas wurden. Und zweitens: Große Teile der Country-Szene sahen Beyoncé und ihren Song nicht als authentisch genug an. Als die CMA’s die Performance auf Facebook posten, schreibt ein User: „Beyoncé ist nicht das, was Country ausmacht“. Andere kommentierten sexistischen und rassistischen Mist. Der Auftritt ist mittlerweile nicht mehr zu sehen. Die CMA’s haben das Video gelöscht.
Jetzt, nachdem Beyoncé die Songs veröffentlicht hat, riecht der Bee-Hive Böses. User Andre3002 schreibt etwa: „Beyoncé is making a country album, We are about to see generational, hall of fame worthy racism.“ Und User Swigglyco gibt zu bedenken: „The entire reason why country isn't more mainstream is because of racism, because it's a huge genre. They don't want POC, especially Black people, to have access to it. Because i know we would dominate.“
Und tatsächlich, in einem Country-Subreddit schreibt z.B. User Rich-Log472: „She can fuck right off and stop appropriating white culture…..Am I doing it right??“. In einem Anderen schreibt User Alpine-SherbetSunset etwa: „It is not country. It is terrible. She is definitely not taking over the country music genre.“ und CamelProfessional847: „I love her but this isn’t her lane to be honest.“
Was macht Country aus?
Nicht nur auf Social Media ist der Song ein Politikum: Ein Country-Radiosender in Oklahoma hat sich dagegen entschieden, die neuen Singles zu spielen. Beyonce gehöre nicht in ihr Programm. Da hat der Bee-Hive mit mächtig Verve den Sender darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um Country-Singles handelt. Damit hätten sie nicht gerechnet, jetzt laufen die beiden Tracks auf Rotation. Ähnlich ging es da auch Lil Nas X.
Der Rapper hatte 2018 einen riesen Hit mit „Old Town Road“, doch das Billboard-Magazin nahm den Song, nachdem er bereits Platz 19 erreicht hatte, aus den Country-Charts. Begründung: Er verfüge nicht über genug Country-Elemente. Die Aktion wurde kritisiert, viele warfen Billboard Rassismus vor. Den Hit konnte da aber sowieso nichts mehr aufhalten, „Old Town Road“ wurde zum Nummer Eins-Hit - nicht nur in den Country-Charts. Die Frage: Was ist denn jetzt aber der Country-Lifestyle? Rurales, einfaches Leben? Jodelnde Bauern auf den Bergen? Chauvinismus? Und wodurch unterscheidet er sich jetzt vom Lifestyle von Schwarzen Menschen, die Rassismuserfahrung machen?
Ja, Country-Music ist auch weiß. Aber als das New Yorker Plattenlabel RCA Record dem Fiedler A.C „Eck“ Robertson 1922 einen Vertrag für die erste Country-Single gab, war die Entwicklung des Genres bereits 100 Jahre alt. Im Süden der USA, insbesondere in den Bergen der Appalachen, haben sich bereits viele regionale Stilarten entwickelt, die als Vorformen von Country gelten. Damals trafen Appalachenbauern auf Einwanderer verschiedener europäischer Länder auf afro-amerikanische Nachfahren der einst versklavten Menschen aus Afrika. So stieß Folk auf den afro-amerikanischen Blues und dann auf die sogenannte „Old Timey“ oder „Mountain Music“ mit Instrumenten wie dem der Fiedel, importiert aus Irland, einem Waschbrett als Rhythmusbringer und natürlich dem Banjo.
Support für Black Country Artists
Der britische Medienwissenschaftler John Fiske schrieb in seinem Buch "Understanding Popular Culture":
"Popularkultur wird von verschiedenen Formationen unterdrückter oder entmachteter Menschen aus den sowohl diskursiven wie materiellen Ressourcen hergestellt, die von jenem sozialen System geliefert werden, das sie entmachtet. Sie ist daher bis in ihr tiefstes Inneres widersprüchlich und konfliktgeladen."
John Fiske
Und damit zurück zu Beyoncé und der These: Die Künstlerin will uns allen eine Lehrstunde geben. Als Schwarze Frau will sie sich genau die Genres zu eigen machen, die mit Rassismus, Ausgrenzung und Ausbeutung eng verbandelt sind: Erst House/Ballroom, jetzt Country. Natürlich macht sie das aus einer sehr privilegierten Situation heraus, als stinkreiche Frau, die unter den Kapitalismus nutzt und für eine breite Masse und noch mehr Profit produziert. Aber: Mit diesem zweiten Akt könnte sie eine Generation an Schwarzen Musiker*innen unterstützen, die sich Country und ihren Teil der Geschichte sichtbar machen wollen.
Musikerinnen, wie Rhiannon Giddens zum Beispiel. Sie erscheint bald auf der Compilation „My Black Country“, auf der viele Schwarze Folk- und Country-Musikerinnen die Songs von Alice Randall covern. Randall war eine der wenigen weiblichen Schwarzen Songwriterinnen damals in Nashville, als Country richtig groß wurde - und sie war die erste Afro-Amerikanerin die 1994 einen Nr. 1 Country-Hit schrieb.
Neue Country-Ära bricht an
Oder Mickey Guyton, die texanisch-afro-amerikanische Country-Sängerin, die sich ebenfalls seit geraumer Zeit gegen Sexismus und über den Kampf Schwarzer Artists in der Musikindustrie ausspricht. Ihr Song „Black Like Me“ war sehr wichtig für die Black-Lives-Matter-Bewegung - so wichtig, dass sie beim Superbowl 2021 sogar die Nationalhymne singen durfte. Eine Vermutung: Es werden vor allem Schwarze Frauen und Männer sein, deren Geschichte Beyoncé mit diesem Album erzählen wird. Und es werden Schwarze Frauen und Männer sein, die zu diesem Album beitragen und dadurch hoffentlich Sichtbarkeit und finanzielle Würdigung bekommen. Genau wie bei beim Vorgängeralbum „Renaissance“.
Chet Flippo, langjähriger Country und Western-Experte des Rolling Stone hat einmal gesagt: „Countrymusik ist mal mehr, mal weniger simpel, bigott, gefühlsduselig, rührselig, bauernschlau, provinziell und durch und durch chauvinistisch.“ Ich bezweifle stark, dass Attribute wie 'bigott' und 'chauvinistisch' in der kommenden Country-Ära Platz haben werden. Jetzt kommt erstmal Beyoncés Album - und dann? Vielleicht eine Jazz-Platte? Oder ein Rock-Album? Letzteres vermutet zumindest der Beehive. Aber: Alles ist möglich.