"Sehnsucht nach Kapitalismus" Wie Mark Fisher aus dem Grab heraus Sarah Wagenknecht widerlegt
Mark Fisher war bis zu seinem Suizid im Jahr 2017 einer der einflussreichsten Pop- und Kapitalismuskritiker unserer Zeit. Ein deutscher Verlag hat seine letzten Vorträge nun auf deutsch in Buchform gegossen – noch immer überrascht Fisher darin mit unerwarteten Umsturz-Anleitungen.
Eine Szene wie aus einem Science Fiction Film und mit einer ungewöhnlichen Hauptheldin: eine Frau in bunter Sportbekleidung. Sie schwingt einen Hammer und dringt hinein in eine Art-Kino-Saal, in dem lauter Herren wie angewurzelt dasitzen. Sie starren alle nach vorne auf eine Leinwand, lauschen der Propaganda, denn es spricht der Big Brother. Alles ist schwarz-weiß, nur die Frau trägt eine rote Sporthose. Und sie wird verfolgt von dutzenden Polizeibeamten. Es wird immer enger, gleich haben die Polizisten die Frau eingeholt, doch dann wirft sie endlich den Hammer, und zerschlägt damit die Leinwand. Es ist der erste Werbespot für Apples Macintosh im Jahr 1984.
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4K Restoration: 1984 Super Bowl APPLE MACINTOSH Ad by Ridley Scott
Dieser Film wurde von Alien-Regisseur Ridley Scott gedreht. Er lief nur ein einziges Mal, beim Superbowl 1984. Es ist sein wichtigster Film, sagt der Pop-Theoretiker Mark Fisher, denn er sagt er viel über den damaligen Zustand der Gesellschaft aus. In seiner letzter Vorlesungsreihe am legendären Goldsmith College in London ist dieser Werbespot das erste, was Mark Fisher seinen Studenten zeigt. Für ihn stehen die bunte Frau für Apple und im Kontrast dazu die spröden Herren für den Sozialismus. Somit suggeriert der Apple-Spot: Begehren kann man eigentlich nur den Kapitalismus.
Ein Rebranding durch die deutsche Übersetzung
Kurz nachdem Mark Fisher das seinen Studenten erzählt hat, hat er sich das Leben genommen. Doch seine letzten fünf Vorträge kann man nun noch einmal nachempfinden. Der Brumaire Verlag hat sie übersetzt und in Buchform gebracht. Titel: „Sehnsucht nach dem Kapitalismus“. Das ist bewusst doppeldeutig gemeint, erklärt Herausgeber Ole Rauch im Interview. Es soll zeigen wie man das Begehren, das im Kapitalismus existiert, in ein postkapitalistisches Begehren weiterentwickeln und somit über den stumpfen Realismus hinaus bringen kann. Die Deutsche Übersetzung hätte im Sinn gehabt „die Befangenheit mit der Gegenwart, das Begehren und andererseits die Verbindung zur Zukunft“ zu übermitteln.
Der Kapitalismus lässt einem keine Wahl
Wie kann man sich eine Zukunft vorstellen, die über ein System hinausgeht, das einem eigentlich beibringt, dass nur Konsum begehrenswert ist? Ganz passend zum Lieblingszitat von Marc Fisher, das von Kulturwissenschaftler Frederic Jameson stammt:
"Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus."
– Frederic Jameson
Auch im Zündfunk haben wir über Mark Fishers Ideen berichtet. Er hat uns zum Beispiel erklärt, wie Menschen durch die Alternativlosigkeit des kapitalistischen Systems langsam depressiv werden. Laut ihm bliebe einem nur die Wahl zwischen exponierter Melancholie oder unterdrückter Depression. Das wäre die einzige Wahl, die man hätte. Denn wenn man gezwungen wird, sich an die unterdrückte Depression anzupassen, dann würde man automatisch melancholisch werden.
Fischer sieht die Lösung in einer Weiterentwicklung des Kapitalismus
Der Kapitalismus macht uns alle depressiv, ja. Aber zum Glück verkauft er uns auch Coaches, die uns sagen, dass wir uns einfach nur ein bisschen mehr anstrengen müssen. Die einzige Lösung für Mark Fisher war deshalb, Wirtschaftssystem und Arbeitswelt weiterzuentwickeln – und das auch mit Hilfe von Widersprüchen.
Seine Idee: Warum nicht das Begehren nach neuen Produkten aus dem Kapitalismus beibehalten? Warum nicht darauf aufbauen in Richtung einer Sehnsucht – nach – dem Kapitalismus. Also das Iphone begehren, aber auch die bessere Welt für alle! Eine Idee, die aktueller nicht sein könnte, trifft er doch genau die Widersprüche, in denen Linke heute stecken. Den Kapitalismus mit dem Iphone überwinden, während man ins Vegane Chicken-Nugget beißt und Gendersternchen setzt. Kritikerinnen wie Sahra Wagenknecht behaupten eigentlich, dass das scheinheilig sei!
"Für mich hat das auch was von Alibi. Also damit tritt man nie irgendeinem Wirtschaftslobbyisten auf die Füße. Die große Unternehmen weltweit sind alle ganz divers. Da wird man immer offene Arme haben. Aber wenn man für einen höheren Mindestlohn ist, für höhere Steuern bei Konzernen, dann wird man massiven Widerstand bekommen."
– Sahra Wagenknecht bei Maischberger
Diversity & Klassenkampf zugleich, warum nicht?
Wagenknecht nennt das Lifestyle-Linke: Sich auf Diversity einschießen, funktioniere nicht, weil auch große Unternehmen mit Diversity werben. Mark Fisher fragt in diesem Buch nun aus dem Grab heraus: Na und? Kann nicht beides gleichzeitig gehen, Diversity und Klassenkampf, ganz egal was die Konzerne tun? Schade, dass Fisher nicht mehr da ist, um diesen Hammer auf die Kritikerinnen der Lifestyle-Linken zu werfen. Der letzte Satz, den Mark Fisher zu seinen Studierenden gesagt hat und mit dem das Buch endet, treibt einem nochmal die Tränen in die Augen: „Ihr könnt mir immer eine E-Mail schreiben.“
"Sehnsucht nach dem Kapitalismus" ist für 24€ beim Brumaire Verlag erschienen.