#MeToo Der Roman "Fun" von Bela B gibt Frauen keine Stimme – sondern raubt sie ihnen
"Fun" von Bela B gießt #MeToo und die Vorwürfe gegen Rammstein und Till Lindemann in Romanform. Der Musiker der Ärzte will mit seinem Roman aufrütteln. Das Buch ist aber nicht Teil der Lösung, sondern des Problems.
![Autor und Musiker Bela B von den Ärzten | Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres Autor und Musiker Bela B von den Ärzten | Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres](/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/bela-b-die-aerzte-100~_v-img__16__9__l_-1dc0e8f74459dd04c91a0d45af4972b9069f1135.jpg?version=1d8f0)
Hinweis: Dieser Text thematisiert sexualisierte Gewalt. Anlaufstellen für Betroffene sind u. a. das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" und musicmetoo.de.
"Fun" zu lesen ist kein Fun. Der neue Roman von Ärzte-Musiker Bela B handelt von Row-Zero-Recruiting und von Sex zwischen alternden Rockstars und jungen Fans. Also von Begegnungen, die bereits mit einem Machtgefälle beginnen, das sich dann durch Drogen, Druck und Gewalt so sehr steigert, dass wir bereits auf den ersten Seiten des Buches bei einer Doppelvergewaltigung landen. Die ausführlich beschrieben wird.
Das zu lesen ist kaum zu ertragen. Die Szene wird hier nicht zitiert und schon gar nicht (wie im Buch) ohne Vorwarnung, z. B. in Form eines Content-Hinweises am Anfang. Denn diese Szene verfolgt einen in Alpträumen – oder, schlimmer noch: Vielleicht gefällt sie sogar dem ein oder anderen.
Blickt Bela B mit voyeuristischer Lust auf Gewalt gegen Frauen?
Mit voyeuristischer Lust auf Gewalt gegen Frauen blicken – Bela B kann zumindest glaubhaft versichern, dass das nicht seine Absicht war. Mit seinem Buch "Fun" will er ein System entlarven, sagte er dem ZDF. Männer kämen in Machtpositionen, etwa als Rockstar oder Firmenchef, und glaubten dann, es sei okay, sich übgriffig zu verhalten. "Ich glaube, dass wir insgesamt ein patriarchales toxisch-männliches Problem haben."
Stimmt. Nur leider ist sein Buch "Fun" Teil dieses Problems – und nicht der Lösung. Und zwar aus mehreren Gründen. Grund eins: der Medienrummel. Dafür kann Bela B zwar nichts, er profitiert aber dennoch davon. Er gab bereits Interviews zum Roman in allen großen Medien, inklusive dem heute journal, und sein Buch kletterte erwartungsgemäß schnell in die oberen Ränge der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Die Aufmerksamkeit ist eben immer noch größer, wenn ein Mann, und noch dazu Rockstar oder Popliterat, seinen Senf zum Thema #MeToo dazugibt, als wenn eine Autorin und/ oder betroffene Frau das tut. Das war vor zwei Jahren bei Benjamin von Stuckrad-Barres Roman "Noch wach?" so, als sich etwa die FAZ zu der These verstieg, es handle sich um den ersten deutschsprachigen Roman, der die Widersprüche und Grauzonen verhandele, die sich mit #MeToo verbinden. Und das wiederholt sich nun: Es stößt auf, wenn ein Rezensent (also Mann) frohlockt, dank Bela B (einem Mann) verständen nun viele (Männer) endlich "die weibliche Perspektive".
Woher Bela B die weibliche Perspektive nimmt
Was uns zu Problem zwei führt. Es gibt mehrere Stellen im Buch aus eben jener "weiblichen Perspektive", die einen berühren. Nur leider wirken sie abgekupfert. Bei Frauen, die ihre Stimme erhoben haben, und zwar gegen Rammstein. Jene Band, die das Vorbild zu sein scheint für die fiktive Band im Buch (auch wenn Bela B, wohl auch aus juristischen Gründen, sagt, die Parallelen von Row Zero über Backstage-Castings bis zum mutmaßlichen Drogen- und sexuellen Missbrauch bei Konzerten seien Zufall).
Eine solche problematische Stelle findet sich gleich am Anfang des Buches. Die Figur Alara möchte da ihre Idole kennenlernen:
"Sie macht sich über dieses 'kennenlernen' nichts vor, sie ist schließlich keine sechzehn mehr. Natürlich wird er mehr wollen. Na und? Sie vielleicht ja auch. Who knows?"
aus Fun von Bela B
Sie merkt dann aber, dass sie das auf keinen Fall will. Der Schlagzeuger kann sich nicht mal ihren Namen merken.
Bela B leiht sich hier in leicht abgewandelter Form die Berichte von Frauen wie Cynthia A. aus, die im Podcast "Rammstein – Row Zero" von NDR und Süddeutscher Zeitung erzählt, sie sei Backstage eingeladen worden:
"Ich war nicht so naiv zu glauben, dass wir da nur ein nettes Meet & Greet kostenlos bekommen. Mir war schon bewusst, dass wir alle junge Frauen waren, die ein Viertel so alt sind wie er und auf bestimmte Art angezogen sein sollten. Ich dachte, wir sind dann vielleicht ein bisschen als Party-Girls da in der Garderobe, dass wir ein bisschen mit ihm quatschen. Was genau wir noch vor dem Konzert dort sollen, das wusste ich in dem Moment nicht so wirklich."
Cynthia A. im Podcast 'Rammstein: Row Zero'
Sie habe Sex dann mit Till Lindemann gehabt, erzählt Cynthia – und dass der sie nicht mal nach ihrem Namen gefragt habe.
Betroffene haben das Schweigen längst gebrochen – aber viele hören lieber Männern zu
Bela B will mit seinem Buch Frauen, die von sexueller Gewalt und Machtmissbrauch betroffen sind, eine Stimme geben. Raubt sie ihnen aber. Denn Betroffene haben das Schweigen längst gebrochen – nur leider hören viele lieber den Männern zu, die ihre Worte kopieren und kapitalisieren. Und was besonders ärgerlich ist: Bela B dankt am Ende von "Fun" allerlei Menschen, bei denen er sich für das Buch informiert hat, zum Beispiel wie Bibliotheken oder Hausbootreisen funktionieren. Aber keine einzige Betroffene erhält Credits.
Nun kann der Schutzmantel der Fiktionalisierung und Kunstfreiheit einem erlauben, mächtigen Männern gewaltiger ans Bein zu pissen als das investigative Recherchen und Berichte Betroffener können. Bei "Noch wach?" ist das gelungen, Stuckrad-Barre plauderte darin allerlei Dinge aus, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Interna aus dem Springer-Universum sind. In "Fun" erfahren wir dagegen nichts, was nicht längst gesagt wäre.
Eine Sache, die macht "Fun" dann aber doch funny. Denn da zeigt die Fiktion ihren Trumpf gegenüber dem Tatsachenbericht: Anders als in der Realität, in der Täter oft davonkommen, beginnt auf den letzten Seiten ein kathartischer Rachefeldzug. All die armseligen, vergewaltigenden Männerfiguren, bekommen in Splatter-Manier ihre Strafe, direkt zwischen die Beine. Allerdings würde man auch das Buch selbst nach der Lektüre gern kleinhacken.
Der Roman "Fun" von Bela B ist im Heyne-Verlag erschienen. 368 Seiten kosten 24 Euro.