Meinung: Oscars 2024 Warum die Oscarverleihung politisch beeindruckend und peinlich zugleich war
Die diesjährige Oscarverleihung war sichtlich darauf ausgelegt, unpolitische Unterhaltung zu liefern. Nur: Die Gewinner waren so politisch, dass sie am Ende sogar das Konzept „Preisverleihung“ an sich in Frage stellten.
Eigentlich gehört das Philosophieren über Modetrends zu einer Oscarverleihung wie die Atombombe zu Robert J. Oppenheimer. Welche Farben sind besonders angesagt? Wer hat sich den größten modischen Ausrutscher geleistet? Und ist das Naked Dress eigentlich noch immer so hip wie vergangenes Jahr? Über das modische It-Peace, das die Oscarverleihung dieses Jahr geprägt hat, wollte aber kaum jemand lange reden. Während der Zeremonie wird der kleine rote Button, den auffällig viele Stars am Kleid oder am Sakko kleben haben, überhaupt nicht erwähnt.
Auch bei ProSieben, der Sender, der die Academy Awards wie jedes Jahr in Deutschland überträgt, geht es nur einmal ganz kurz um den Modetrend. „Im Netz hätten viele gefragt, was es damit auf sich habe“, sagt Moderator Steven Gätjen einmal kurz und erklärt: Das seien Ceasefire-Now-Buttons, ein Statement für einen Waffenstillstand in Gaza. Billie Eilish trägt so einen Button, Mark Ruffalo, Ramy Youssef, Mahershala Ali.
Ceasefire-Buttons sind der Modetrend der Oscars
Irgendwas passt da nicht zusammen: Er fühlt sich ein bisschen unbehaglich an, der Abend, an dem es eigentlich um Stars, Sternchen und um Glamour gehen soll. Zum Beispiel um Sandra Hüller, dem neuen Shooting-Star aus Deutschland: Immer, wenn Hüller eingeblendet wird, springt einem auch die Palästina-Fahne entgegen. Ihr Co-Star aus „Anatomie eines Falls“, der französische Schauspieler Swann Arlaud, trägt sie als Button am Sakko.
Zwischen Cringe und Krieg
Es ist ein komisches Gefühl, das sich da einstellt, beim Anschauen dieser drei Stunden perfekt durchchoreografierten Fernsehunterhaltung. Denn auf der einen Seite wirkte der wichtigste Filmpreis der Welt politisch so relevant wie selten: Der große Gewinner, „Oppenheimer“, handelt von den Konsequenzen von Militarisierung und Blockbildung und könnte damit aktueller nicht sein. Ebenfalls abgeräumt haben „Poor Things“, der feministische Hit, der die Grundfesten der Gesellschaft gehörig ins Wanken bringt, „The Zone of Interest“, das Auschwitz-Drama, das wegen seines erschütternden Klangteppichs in die Filmgeschichte eingehen wird, „Anatomie eines Falls“, der feministische Hit mit Sandra Hüller und „Amerikanische Fiktion“, ein feiner, kleiner Film über Rassismus und Doppelmoral im Kulturbetrieb. Auf der anderen Seite steht jedoch eine Preisverleihung, die diesen politischen Vibe nur selten aufgegriffen hat, ihn stellenweise sogar noch peinlich untergräbt.
Kitsch und Kapitalismus dominieren die Oscars 2024
Denn während der Show dominieren wie immer Kitsch und Kapitalismus. Das zeigt schon die Musik, die die Verleihung begleitet. „Dance The Night“ aus „Barbie“ ist der Song, der in jeder Zwischenpause erklingt und am Ende ebenso wenig aus dem Gehörgang weichen will wie das Kratzen aus dem Hals nach einer ausgestandenen Bronchitis. Draußen also politischer Protest und Krieg, drinnen unbeschwertes Dancen durch die Night.
Und überhaupt: Warum geht es während der Award Show ständig um Barbie? Die Songs aus dem Film werden performt, der Cast darf Preise präsentieren, die Kamera schwingt immer wieder rüber zu Margot Robbie und Ryan Gosling. Das wirkt wie eine plumpe Anbiederung an einen Film, der zwar ein Millionenpublikum erreicht hat, sonst aber eher für Kommerz steht und dem von vielen Kritikern vorgeworfen wird, die feministischen Debatten so viel Energie zu verleihen wie eine ausgelaufene 9-Volt-Batterie. Ganz anders als „Oppenheimer“, „Poor Things“ und Co., die kapitalismus- und staatskritisch sind. „Dance The Night“ stößt da auf, weil es für Lebensfreude, Partys und unbeschwerten Konsum steht. Das beißt sich nicht nur mit den Filmen, die nicht „Barbie“ heißen, aber an diesem Abend die Preise abräumen, sondern auch mit den hochemotionalen und politischen Statements der Preisträgerinnen.
Kenergy torpediert Botschaften zum Nahost- und Ukrainekrieg
Da ist zum Beispiel der britische Regisseur Jonathan Glazer. Als er mit „The Zone of Interest“ den Oscar für den besten internationalen Film gewinnt, nutzt er seine Rede für ein ergreifendes politisches Statement. Mit zitternder Stimme sagt Glazer: „Wir haben den Film nicht gemacht, um uns damit zu konfrontieren, was man damals gemacht hat, sondern was heute geschieht. Unser Film zeigt, wohin die Entmenschlichung in ihrer schlimmsten Form führt.“ Glazer bezieht sich auf den Krieg im Nahen Osten, verurteilt den Terroranschlag der Hamas des siebten Oktobers, aber auch Israels Offensive in Gaza. Sandra Hüller treibt er damit Tränen in die Augen.
Da ist auch Cilian Murphy, der Oppenheimer spielt und seinen Oscar für den besten Hauptdarsteller allen Menschen widmet, die sich weltweit für Frieden einsetzen. Und da ist der ukrainische Regisseur Mstyslaw Tschernow, der mit seinem Film „20 Tage in Mariupol“ den Oscar für den besten Dokumentarfilm gewinnt. Bei seiner Rede sorgt er für Gänsehaut. Sagt, er sei wohl der einzige Oscar-Gewinner, der seinen Film niemals drehen wollte. „Ich wünschte, ich könnte den Oscar dagegen eintauschen, dass Russland nie die Ukraine angegriffen, nicht unsere Städte besetzt hätte.“ Doch als Tschernow und sein Team die Bühne verlassen, schlägt das Oscar-Orchester plötzlich wieder ganz andere Töne ein. Es erklingt ein Instrumental von „I’m Just Ken“.
Die Gewinnerfilme haben viel mehr zu sagen
Nicht falsch verstehen: In vielen Fällen war die Oscar-Verleihung ausgezeichnete Unterhaltung. Bleiben wir bei „I’m Just Ken“. Da gab es den unglaublich unterhaltsamen Auftritt von Ryan Gosling, mit einem Überraschungs-Stint von Slash. Oscar-Host Jimmy Kimmel sorgte für ausgezeichnete, aber unpolitische Witze, dann kam auch noch John Cena, der nackt über die Bühne watschelte. Auch Arnold Schwarzenegger, Danny DeVito und Michael Keaton, durften die Herzen der Filmfans mit einer kleinen Batman-Einlage höherschlagen lassen. Und hey, es gab sogar oscarreifen Animal-Content. Zwischendurch wurde immer wieder der Hund „Messi“ aus „Anatomie eines Falls“ eingeblendet. Kultstatus im Netz vorprogrammiert.
Die Preisverleihung leidet seit Jahren an Quotenverlust, verständlich, dass man da auf People-Pleaser setzt. Wenn ein Filmjahr allerdings reich ist an Meisterwerken wie “Oppenheimer”, “Poor Things”, “The Zone of Interest” und Co., sollte sich die Academy fragen, ob es auch bei der Zeremonie nicht um mehr gehen sollte als um Kitsch, Kapitalismus und das Philosophieren über Naked Dresses!
Jimmy Kimmel vs. Donald Trump
Und so trifft eine politisierte Gesellschaft auf eine Oscarnacht, die eigentlich auf Oberflächlichkeit und Glamour ausgerichtet ist. Die sich bemüht, unpolitische Unterhaltung zu liefern, deren Gewinner aber so politisch sind, dass sie am Ende sogar das Konzept „Preisverleihung“ an sich in Frage stellen. Der Kapitalismus und seine Aufmerksamkeitsindustrie brauchen Wettbewerb, brauchen Gewinner, Verlierer und Heldengeschichten. Nur eine will nicht mitmachen: Bella Baxter, bzw. Emma Stone. Als sie den Oscar für ihre „Poor-Things“-Rolle entgegennimmt, weist sie – der politischen Vision ihrer Rolle entsprechend – darauf hin, dass Bella Baxter ein Gemeinschaftswerk sei und deshalb nicht so gut geeignet für eine Individualauszeichnung.
Da kapituliert am Ende sogar Host Jimmy Kimmel. Hatte er anfangs noch mit unpolitischen Barbenheimer-Gags durch die Veranstaltung geführt, musste auch er sich am Ende doch noch mit Politik auseinandersetzen. In den sozialen Netzwerken nämlich hatte ihn jemand als den schlechtesten Oscar-Host aller Zeiten kritisiert. Dieser jemand beendete seine Kritik mit den Worten „Make America Great Again“. „Danke, Präsident Trump, danke fürs Zuschauen“, entgegnet Kimmel. Und fügt süffisant hinzu: „Isn’t it past your jail time?“