„Pavements“ Dieser Film ist eine Hommage an die Slacker-Band Pavement – und verbindet Mockumentary mit Musical
Halb Mockumentary, halb Konzertfilm. Für sein Porträt der Slacker-Giganten Pavement sprengt Filmemacher Alex Ross Perry Genregrenzen. Sein Film „Pavements“ ist die vielleicht einzige Möglichkeit, Pavement wirklich ernst zu nehmen.
Wie setzt man einer Band ein Denkmal, die sich jeglichem Heroisieren und Glattbügeln entzieht? „Pavements“ ist die Antwort von Drehbuchautor und Regisseur Alex Ross Perry. Er ist selbst erklärter Fan der Slacker-Truppe rund um Stephen Malkmus, die manche für die beste Band der neunziger Jahre halten. Für Pavement hat Perry bereits vor zwei Jahren ein Musikvideo zu „Harness Your Hopes“ gedreht. Anlass war, dass der ursprünglich nur auf der B-Seite einer EP veröffentlichte und in Vergessenheit geratene Song auf Spotify und TikTok viral ging.
Nun also: Ja, was eigentlich? Ein Biopic, eine Doku, ein Konzertfilm? „Pavements“, der gerade auf den Filmfestspielen in Venedig Premiere feierte, ist all das und mehr.
Unmöglicher Auftrag von Matador Records
Es muss sich in etwa so abgespielt haben. Filmemacher Alex Ross Perry („Her Smell“, „Christopher Robin“) bekommt eine merkwürdige Anfrage. Und zwar von Matador Records, dem Indie-Label, auf dem Pavement seit ihrem Debütalbum veröffentlichen: „Hör zu, wir hätten gern einen Film über Pavement, aber Stephen will keinen Dokumentarfilmer, sondern einen Drehbuchautoren wie dich – du sollst aber kein Drehbuch schreiben.“
Ein Auftrag so unklar wie Kloßbrühe. Perry sollte einen Film machen, der auf keinen Fall echt ist, aber bitte auch nicht erfunden. Und so versuchte er das Unmögliche und steigerte sich dabei von naheliegend bis durchgeknallt.
Zunächst das Naheliegende: Der Film „Pavements“ begleitet Pavement dabei, wie sie sich auf ihre Reunion-Tour im Jahr 2022 vorbereiten. Wie sie also 23 Jahre nach ihrer Auflösung ihre alten Songs aus den hintersten Gehirnwindungen pulen. „Wie ging der nochmal?“, fragt Stephen Malkmus bei einer Probe. Die Haare so lässig zerzaust wie früher. Spätestens im Zusammenschnitt der Bilder von heute mit altem Archivmaterial merkt man aber: Grau ist er geworden. Genau wie seine Bandkollegen Scott „Spiral Stairs“ Kannberg, Mark Ibold, Steve West und Bob Nastanovich. Doch gerade, als man angesichts ihrer gebeugten Rücken, Diabetes und hängenden Mundwinkel melancholisch über alternde Rockstars sinnieren möchte, wechselt der Film die Ebene.
Big-Budget-Hollywood-Produktion über Pavement?
Moment mal, ist das nicht der Teenie mit der Föhnfrisur und dem Baseballschläger aus „Stranger Things“? In his flesh. Joe Keery spielt nun die Hauptrolle in einem Biopic über Pavement. „Range Life“, heißt es und ist angeblich eine Big-Budget-Hollywood-Produktion, bei deren Entstehung wir dabei sind. Größer und besser noch als „Bohemian Rhapsody“ über Freddie Mercury und Queen soll es werden. Keery kniet sich richtig rein.
Anders als der Mercury-Darsteller trägt er zwar keine Zahnprothese. Aber er geht zu einer Sprechtrainerin und besorgt sich ein Foto von Malkmus Zunge, alles für den authentisch kalifornischen Slacker-Sprech. Es ist ein großer Witz auf Kosten bierernst gemeinter Filmbiografien wie jene über Queen, Amy Winehouse oder Elton John. Oder wie Regisseur Perry auf Instagram an Team und Cast gerichtet schreibt: „Danke, dass ihr mit mir das Genre Musiker-Biopic niedergebrannt und auf dem Grab getanzt habt!“
In „Pavements“ sehen wir Proben für das Biopic. Filmszenen daraus. Und wie es bei der Premiere zum Eklat mit der Band kommt, weil die sich falsch dargestellt fühlt. Die Spiellust und der Spaß am Quatsch erinnern an die Mockumentary „Fraktus“ über die Techno-Pioniere, die es nie gab. Zwar gibt es Pavement wirklich, aber der Hollywood-Film über sie existiert nur in dieser Schein-Doku über sie.
„Slanted! Enchanted!“ – Pavement als Musical
Anders das Musical „Slanted! Enchanted!“, dessen Entstehung der Film auch begleitet. Das Musical war tatsächlich an zwei Abenden im Winter 2022 in New York zu sehen. Ein ganzes Musical gestrickt um Songs von Pavement. Und zwar mit all dem Pathos, den Lichteffekten und Tanzeinlagen, die das Musiktheater zu bieten hat. Die ungefälligen Pavement-Songs verwandelten sich so in Pop-Hymnen.
„Totally insane“, urteilte der Rolling Stone. Und forderte zugleich, das Pavement-Musical möge für immer laufen. Doch das Musical wurde (wie übrigens auch eine Ausstellung über Pavement) letztlich nur geschaffen, um die Kamera draufzuhalten.
„Pavements“ – mehrere Filme in einem
Filmregisseur Perry, der auch das Musical inszeniert hat, sagt: „Ich wollte für den Film nicht einzelne Szenen inszenieren, sondern ganze Erlebnisse erschaffen und diese dann dokumentarisch begleiten.“ „Pavements“ sei vier oder fünf Filme in einem. „Ich würde mir nämlich wünschen, alle Biopics und Standarddokus wären höchstens 30 Minuten lang.“
Ehrlicherweise wünscht man sich, Alex Ross Perry hätte seinen eigenen Film um gut 30 Minuten gekürzt und den Bandmitgliedern auch mal eine ernsthafte Frage gestellt. Andererseits ist „Pavements“ umso stärker, je abgedrehter er wird. Dieser Film ist die vielleicht einzige Möglichkeit, Pavement wirklich ernst zu nehmen. Denn er ist genauso vielschichtig, skizzenhaft und ironisch wie ihre Songs.
„Pavements“ (2024, 128 Minuten): Regie: Alex Ross Perry; u. a. mit Stephen Malkmus, Scott „Spiral Stairs“ Kannberg, Mark Ibold, Steve West, Bob Nastanovich und Joe Keery, Jason Schwartzman, Nat Wolff. Feierte am 4.9. auf den Filmfestspielen in Venedig Premiere. Wann startet „Pavements“ in den deutschen Kinos? Noch kein Starttermin.