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Meinung: Pro-Palästina-Camp an der LMU Als Iranerin ist diese Art von Protest für mich besonders schockierend

Unsere Autorin ist im Iran aufgewachsen und schockiert, wie sie Symbole und Parolen autoritärer Regime an westlichen Hochschulen wieder einholen. Jetzt auch in München. Was postkoloniale Schriften wie "Orientalismus" mit dem Protest zu tun haben und warum wir hier besonders genau hinschauen sollten.

Von: Shahrzad Eden Osterer

Stand: 15.05.2024 | Archiv

Pro-Palästina-Protestcamp vor der LMU | Bild: picture alliance / SZ Photo | Stephan Rumpf

Ich wurde 1984 inmitten der Wirren des Iran-Irak-Krieges in Teheran geboren. Die Erinnerungen an meine Kindheit außerhalb des behüteten Familienlebens sind geprägt von Bildern des Krieges, Soldaten, Märtyrern und ihren weinenden Müttern, von antiamerikanischer und antiwestlicher Propaganda im Fernsehen und auf den Stadtmauern, von der Glorifizierung des Dschihad und des Märtyrertums, dem Kampf gegen den Feind, die Kuffar, die Ungläubigen.

Antisemitismus ist ein Grundpfeiler der Islamischen Republik

Als Ruhollah Khomeini 1979 im Zuge der Islamischen Revolution an die Macht kam, war er, der schiitische Ajatollah, in der sunnitisch geprägten Region isoliert und versuchte, durch die offene Feindschaft zu den USA und Israel, Verbündete und Anhänger zu gewinnen. Antisemitismus ist einer der Grundpfeiler der Islamischen Republik und die Vernichtung Israels gehört seit jeher zur offiziellen Rhetorik. 

Jedes Jahr fand in Teheran der Al-Quds-Marsch statt. Schülerinnen und Schüler, Soldaten und Beamte wurden mit Bussen herangekarrt, ob sie wollten oder nicht. Amerikanische und israelische Flaggen wurden auf die Straßen oder vor die Türen der Ämter und Schulen gemalt, damit die Menschen darauf treten konnten. Kinder in der Schule wurden gezwungen, "Tod Amerika" und "Tod Israel" zu rufen.

Judenhass ist auch in westlichen Gesellschaften allgegenwärtig

Aufgewachsen in diesem Umfeld hatte ich eine sehr romantisierte und idealisierte Vorstellung von Deutschland und Europa, bevor ich 2004 von Teheran nach Köln auswanderte. Dass auch hier der Al-Quds-Marsch stattfindet und dass ich auch hier brennende Israelflaggen auf den Straßen sehen würde, konnte ich mir damals nicht vorstellen. 

Schnell stellte ich fest, dass "Antisemitismus hat keinen Platz in Deutschland" nur eine "Nie wieder"-Floskel ist. Judenhass ist in westlichen Gesellschaften allgegenwärtig, sogar in den Kreisen, die sonst jede Mikroaggression und jeden Nanorassismus entlarven und bekämpfen.

Professoren in den USA feiern und rechtfertigen die Massaker vom 7. Oktober

Nach dem bestialischen Massaker, der Entführung und Vergewaltigung der israelischen Zivilbevölkerung durch Hamas-Terroristen, waren es unter anderem Menschen aus sogenannten progressiven Kreisen, die diesen mörderischen Akt als Widerstand gefeiert haben. Menschen, die an wichtigen Kunst- und Kulturinstitutionen arbeiten, Menschen, die an Universitäten unterrichten.

Joseph Massad, Professor an der Columbia University, bezeichnete die Massaker vom 7. Oktober als "großartig". Rashid Khalidi, ebenfalls Professor an der Columbia University, sagte, die Palästinenser hätten "keine andere Wahl", als die Gräueltaten vom 7. Oktober zu begehen. Hundert Columbia-Professoren unterzeichneten eine Petition zur Unterstützung der "militärischen Aktionen" der Hamas. Keine Einzelfälle in der Ivy League. Kein Wunder, dass es bei den Protestcamps an diesen Universitäten schnell zu antisemitischen Taten und Parolen kommt.

Parolen aus der Hamas-Charta und die fragwürdige Pflichtlektüre "Orientalismus" von Edward Said

Parolen der Hamas, wie "From the River to the Sea, Palestine Will be Free", sind heute auf Hunderten Universitätsgeländen zu hören. Diese Rufe, die aus der Hamas-Charta von 1988 stammen und zur Zerstörung Israels aufrufen, werden oft unkritisch übernommen und gefeiert. Jüdische Studierende werden daran gehindert, Universitätsgebäude zu betreten.  

All das kommt nicht von ungefähr. Seit den späten 1970er Jahren werden postkoloniale Theorien wie zum Beispiel Edward Saids Werk "Orientalismus" an Hunderten von Universitäten in Nordamerika und Europa zur Pflichtlektüre in den Nahoststudien. In diesen Theorien geht es immer um die Diskriminierung von Arabern, selten aber um Islamismus. Sie stehen schon länger in der Kritik, blind dafür zu sein, was beispielsweise im Iran passiert ist. Und Israel, der Zufluchtsort für Millionen Jüdinnen und Juden vor Pogromen und Repression und den Zionismus wird von Said beispielsweise als letzte Bastion des westlichen Kolonialismus dargestellt. Said, der bis zu seinem Tod im Jahr 2003 als bekannteste palästinensische Stimme in Amerika galt, kritisierte die Oslo-Abkommen von 1993 als Verrat der palästinensischen Interessen an die USA und Israel.

Pro-Palästina-Camp an den LMU: Mitorganisatoren lehnen Existenzrecht Israels ab

Obwohl wir in der demokratischen Welt noch nie einen größeren Zugang zu Informationen hatten, scheint es mir, dass wir es mit jungen Generationen zu tun haben, die nicht wissen, wie sie Informationen verarbeiten sollen. Überall, von New York bis nach Berlin, von Kalifornien nach Amsterdam, kommt es zu einer Orthodoxie aller Seiten, die im Israelhass vereint sind: Islamisten, Linke, Rechte und privilegierte junge Menschen, die keine Vorstellung von den Lebensrealitäten im Nahen und Mittleren Osten haben. Sie sitzen vor einer Hisbollah-Flagge und spielen Gitarre, schwenken Hamas-Flaggen, rufen zur Intifada auf und machen Jagd auf jüdische Studierende, während sie sich in ihrem kollektiven Narzissmus als widerständig fühlen.

Hier in München ist das "Protestcamp" bisher ohne Gewalt verlaufen, und dennoch gibt es auch hier Shoah-relativierende Plakate. Es gibt sogar solche, die fordern: "Free Palestine from german guilt" – eine ursprünglich rechte Parole, die jetzt von Links gerufen wird und ein Ende der Auseinandersetzung mit dem Holocaust fordert. Es sind sogar Gruppen an der Organisation beteiligt, die meinen, Zitat: "Das Existenzrecht Israels sollte nicht nur diskutiert werden 'dürfen', es muss konsequent in seiner jetzigen Form abgelehnt werden." Bemerkenswert ist, dass diese Proteste teilweise in iranischen Staatsmedien gefeiert werden. Auch russische Medien haben teilweise Livestreams von solchen Ereignissen gemacht. 

Kritik an der rechtsextremen Regierung Netanjahus geht auch ohne Antisemitismus

Für mich als Iranerin, die fest an das Recht auf friedlichen Protest glaubt und vor der Unterdrückung der Islamischen Republik geflohen ist, ist es besonders schockierend, Gewalt sowie Symbole und Parolen autoritärer Regime an westlichen Hochschulen zu sehen. Es ist unerträglich, weiße privilegierte Studenten zu beobachten, die Hisbollah-Flaggen schwenken oder gegen die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung agitieren, weil sie die "Achse des Widerstands" gegen Israel gefährdet sehen.

Scharfe, legitime Kritik an der rechtsextremen Regierung Netanjahus ist auch ohne Antisemitismus und Terrorverherrlichung möglich. Das hat die Friedensdemo in Köln letzten November gezeigt, bei der Juden und Palästinenser gemeinsam auf die Straße gingen. Und das machen die Israelis vor, die seit einem Jahr gegen die Regierung Netanjahus auf die Straße gehen.

Universitäten sollten Orte des offenen und respektvollen Dialogs bleiben

Wenig triggert Menschen, die vor Repression, Folter und Völkermord geflohen sind, die vor Islamismus geflohen sind, mehr, als zu sehen, dass ihre Unterdrücker in den Ländern, in die sie geflüchtet sind, offen unterstützt und gefeiert werden. Was für ein Schlag ins Gesicht der iranischen, jesidischen und afghanischen Frauen, die seit Jahren gegen die Islamisten kämpfen und mit ihrem Leben und ihrer Freiheit bezahlen.

Diese Entwicklungen verdeutlichen, wie dringend es ist, kritisches Denken und einen informierten Diskurs zu fördern. Es ist höchste Zeit, dass Menschen, die sich als progressiv bezeichnen, sich mit ihren blinden Flecken auseinandersetzen. Der Missbrauch von Freiheitsrechten zur Unterstützung von Terrorismus, Unterdrückung und Antisemitismus untergräbt die Werte der Demokratie und Menschlichkeit. Universitäten sollten Orte des offenen und respektvollen Dialogs bleiben und nicht zu Brutstätten von Hass und Hetze werden.