Von Dorfen bis Kircheim Warum (autonome) Jugendzentren Keimzellen der Subkultur auf dem bayerischen Land sind
Hier haben weder Pädagog:innen noch andere Autoritäten das Sagen – und das macht sie für Subkultur auf dem Land so wichtig: eine Würdigung der autonomen Jugendzentren.
Das ist der Moment, auf den das Jugendzentrum Rülps monatelang hingearbeitet hat. Zum 25. Jubiläum des Punkkulturvereins kommen gleich drei Bands ins kleine Kirchheim bei München. 160 Leute haben Tickets vorab gekauft. Die Zahl kommt hin: Der Raum vor der Bühne des Jugendzentrums ist so voll, dass auch ohne Pogo Körperkontakt da ist. Sie warten auf den Main Act: Fahnenflucht, eine Band, die gleich mehrfach auf dem Punk-Sampler "Schlachtrufe BRD" vertreten war. Diese Punkband in einer bayerischen Kleinstadt wie Kirchheim zu sehen – eine Seltenheit.
So wahrscheinlich wie ein CSU-Politiker im Moshpit
Springen wir ein paar Stunden zurück. Denn dass Bands wie Fahnenflucht in Kirchheim auftauchen, war lange so wahrscheinlich wie ein CSU-Politiker im Moshpit. In seinen 25 Jahren musste sich das autonome Jugendzentrum Rülps erst ein Standing in der Punkszene erarbeiten – und stand immer wieder vor der Schließung. Kaum zu glauben bei der Menschtraube vor dem Jugendzentrum. Was die Leute herzieht? Vor allem, Freunde, die Musik, die Stimmung oder, wie eine Besucherin es zusammenfasst: "Ein bisschen Moshpit, ein bisschen Bier, ein bisschen Menschen."
Über den Anklang freut sich auch Altmitglied Chris Zenner, Mitte dreißig. Als Jugendlicher ging er selbst ins Rülps, jetzt hat er das Jubiläums-Konzert organisiert. Das Rülps wird als autonomes Jugendzentrum von Jugendlichen selbstverwaltet – hier haben weder Pädagogen noch andere Autoritäten das Sagen. Ein Konzept, das Chris feiert: "Denn so entfalten sich die Jugendlichen ganz anders, weil sie lernen, selber Verantwortung zu übernehmen!" Auch er selbst habe im Rülps gelernt, dass man mit wenig Manpower viel schaffen kann. Einfach dadurch, dass man Hand anlegt.
"Dann hat er Flaschen geworfen, auch auf uns"
Das Rülps fing klein an. Man traf sich in der Nähe des Kirchheimer Spielplatzes, baute eine erste Hütte, lebte Punkkultur und nannte sich "Neuer Treff". Dort musste man aber bald weichen, und so kam die Idee, einen Verein zu gründen. Nur so gab es auch feste Vereinsräume. Die im Laufe der Zeit wechselten. Was blieb: eine selbstverwaltete Gruppe ohne festen Vereinsvorstand.
Was, als Chris jugendlich ist, zu einem Eklat führt. Eines der älteren Gründungsmitglieder ist frustriert darüber, dass die jüngere Generation mal wieder nicht aufgeräumt hatte. Und dann zu den Flaschen greift: "Dann hat er angefangen, die herumzuwerfen und auch auf uns geworfen", erinnert sich Chris. "Am Ende lagen überall Scherben." Dass sie etwas falsch gemacht hatten, konnten sie schon erahnen, aber einordnen konnte es zunächst keiner. Dann habe das alte Mitglied ihnen mitgegeben: "Leute, macht halt was daraus! Wirklich! Macht was aus dem Laden. Das ist so wichtig!"
Bands schätzen Jugendzentren wie das Rülps
Auch Bands schätzen das Rülps. Marcel von der Band Frustkiller ist extra aus Hannover angereist, um für das Rülps-Jubiläum zu spielen. Der Auftritt ist auch nicht sein erstes Mal dort. Mit großen Clubs hat er eher Probleme. Da komme man als kleinere Band gar nicht rein. Anders sieht es Marcel bei den autonomen Zentren. "Da ist die Willkommenskultur eine andere." Jeder dürfe sich dort wohlfühlen, wodurch man sich auch als Band automatisch wohlfühle, so Marcel. Er sei schon mit verschiedenen Bands im Rülps aufgetreten – alle seien angetan gewesen: "Man kennt das Rülps auch in Hannover."
Jugendzentren wie das Rülps sind Keimzellen lokaler Subkultur. Laut Chris Zenner vom Rülps entwickeln sich in Jugendzentren alternative Musikstränge, wie Punk, Metal oder Hip Hop weiter.
50 Jahre autonomes Jugendzentrum Dorfen – gegen alle Widerstände
Mehrere Dutzend Kilometer weiter, in Dorfen, feiert ein weiteres autonomes Jugendzentrum bald Jubiläum und bietet lokalen Acts eine Bühne. Im Juli werden im JZ sogar 50 Jahre gefeiert. Auch hier verwalten Jugendliche das Zentrum selbst. Eine positive Entwicklung für das in die Jahre gekommene Gebäude, findet Myriam Birkholtz, Beisitzerin im Vereinsvorstand: "Das Gebäude war früher Teil der Hitlerjugend – heute ist hier ein linkes, autonom verwaltetes Jugendzentrum, das sich seit 50 Jahren hält. Das finde ich sehr schön."
Dabei wurde das Jugendzentrum in seiner langjährigen Geschichte immer wieder kritisch beäugt. Anfang der 70er, bei der Gründung, stießen "die Langhaarigen vom Jugendzentrum" bei konservativen Anwohnern auf wenig Gegenliebe: "Es gab einen ehemaligen Pfarrer, der unzufrieden mit dem Jugendzentrum war", erzählt "Juggi"-Schriftführer Bernhard Roth. Der Pfarrer habe "marxistische Tendenzen" im Jugendzentrum gesehen.
Aber als Dorfens autonomes Jugendzentrum um die Jahrtausendwende schließen sollte, auch weil die NPD Stimmung dagegen machte, konnte sich das "Juggi" auf die mehrheitliche Solidarität der Dorfner verlassen.
Pogen, schreien, happy sein
Zurück beim Jubiläumskonzert, zurück im Rülps: Die Menge pogt. Es ist der letzte Song. Jetzt geben alle nochmal alles! Auch Chris ist mehr als happy. Er habe viel positives Feedback bekommen. Leute seien zu ihm gekommen, hätten ihn umarmt und gesagt: "Hey Chris, das hast du geil organisiert heute! Richtig cool!" Während die Menschenmenge aus dem Rülps in die Kleinstadt Kirchheim strömt, freut sich Chris, die Stimme schon ganz heiser: "Das gibt mir ein gutes Gefühl, das Richtige zu machen und auch weiterzumachen."