Bayern 2 - Zündfunk

Roberto Saviano „Ich habe Angst, dass die Angst mich dominiert"

Roberto Saviano hat zusammen mit dem Zeichner Assaf Hanuka eine Graphic Novel veröffentlicht, in der das Leben des italienischen Autors nacherzählt wird. Nach seinem Roman "Gomorrha" lebt Saviano in ständiger Verfolgung - durch die Mafia.

Von: Sandra Limoncini

Stand: 19.09.2023

Ausschnitt aus Roberto Savianos "I't still alive" | Bild: Cross Cult Entertainment

2006 hat der Italiener Roberto Saviano sein Buch "Gomorrha" geschrieben, in dem er über die Machenschaften der Camorra in Neapel und der wirtschaftlichen Verflechtungen mit der Politik aufklärt. Seitdem wird er von der Mafia gejagt. Nie ist er länger als zwei Tage am selben Ort, hat kaum Möglichkeit eine Familie zu gründen und lebt in ständiger Angst. Dieses Leben hat er jetzt in einer Grafic Novel mit dem Titel „I’m Still Alive“ zusammen mit dem preisgekrönten israelischen Comiczeichner Assaf Hanuka erzählt.

Zündfunk: Wie kam die Zusammenarbeit mit Asaf Hanuka zustande?

Roberto Saviano: Die Zusammenarbeit kam spontan zu Stande. Ich habe seine Bücher gesehen und dann habe ich ihm geschrieben. Er ist ein jüdisch-stämmiger Kurde, der in Israel lebt. Ich hab gesagt, hey, Asaf, ich mag deine Kunst. Was sagst du, ich würde gerne meine Geschichte als Graphic Novel veröffentlichen!“ Und er sagte sofort „Hey klar, das machen wir! Ich will aber vorbeikommen und dich kennen lernen“. So einfach war das.

Wie habt ihr euch organisiert? Facetime oder Telefon?

Nein, nein, er ist mehrere Male zu mir gekommen. Er hat mich in Italien getroffen und wir haben ein paar Tage zusammen verbracht. Am Anfang war es für ihn schwierig, weil er Angst hatte um seine Familie. Als er nach Italien aufgebrochen ist, da haben seine Kinder sich von ihm verabschiedet, als würde er in den Krieg ziehen. Und dann war es aber alles sehr entspannt. Er war wie gesagt, einige Tage da und ich habe ihm mein ganzes gesamtes Leben erzählt. Wir haben dazu natürlich auch noch per Skype und Telefon kommuniziert. Und er hat mir viele, viele Fragen gestellt. Ich hab ihm auch Fotos von mir und meiner Familie geschickt.

Dein Leben als Graphic Novel - warum gerade diese Form?

Asaf Hanuka und Roberto Saviano

Ich wollte ein Abenteuer erzählen. Hey, mein Leben ist doch ja irgendwie tragisch, dramatisch, teilweise grotesk und manchmal sogar ein bisschen fröhlich. Und ich dachte, das man das in Bildern am besten erzählen kann. Der Ort, an dem ich mich jetzt gerade befinde, das ist wie eine Art Labyrinth voll mit Büchern und ich bin wie Minotaurus, eingeschlossen in seinem eigenen Labyrinth. So ein Bild Beispiel passt natürlich gut zu einer Graphic Novel. Die kann sowohl das Metaphysische daran einfangen, aber mit ihren Bildern auch das Fantastische, das fast Surreale dieses Abenteuers. Mit einem Film oder einer Dokumentation oder einem Roman hätte man das nie so hingekriegt.

Ich habe dein Buch gelesen: Es ist traurig. Ist das Ende „Ich lebe noch“ ein trotziges oder eine Nachricht an jemanden?

Das ist schon eine Nachricht. Ihr habt es probiert, mich zu töten. Und Ihr werdet es weiter versuchen, aber ich gebe nicht auf. Ich lebe immer noch und ich werde auch damit weitermachen. Sehr wichtig ist für mich die allererste Seite der Graphic Novel, wo ich sage: Mein Leben ist ein bisschen wie ein Soldatenleben, wenn die Soldaten an die Front fahren, stellen sie sich immer zwei Möglichkeiten vor, wie sie zurückkehren. Lebendig oder tot, aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit: nämlich verwundet, traumatisiert und gezeichnet, daran denkt man irgendwie nie! Und ich dachte, so lebe ich nun! Als ich angefangen habe zu schreiben und die ersten Probleme mit dem Buch aufkamen, da dachte ich: Wenn ich das auch noch überlebe, dann bringen sie mich erst recht um, aber das ist nicht so. Sie haben mich in einer Zwischenwelt zurückgelassen. Nicht lebendig und nicht tot.

Kann man sich an die Angst gewöhnen? Wird sie weniger?

Ich hab keine Angst vor dem Tod, weil ich so oft darüber rede und so oft davon geschrieben habe. Der Tod ist Teil meines Lebens geworden. Angst habe ich nur vor einer Sache. Ich habe Angst, dass die Angst mich dominiert, mich besetzt und dass mein Leben einfach immer so weitergeht. Das ich diese Angst niemals loswerde, dass mich diese Angst auffrisst und das vor allem in einem Land, wo die Hälfte der Menschen mich hasst. Dieses  Grundgerüst macht es mir sehr, sehr schwer zu überleben. Und meine eigentliche Angst ist, dass das für immer so bleibt.

Wenn Du gewusst hättest was Dich nach "Gomorra" erwartet, würdest Du es wieder schreiben?

Seit 2006 wird Roberto Saviano von der Mafia verfolgt

Ganz sicher nicht. Ich würde es nicht noch mal schreiben und ich bereue sehr, es geschrieben zu haben. Nichts, kein Buch der Welt ist es wert, dass man sich sein Leben ruiniert. Nichts, aber auch absolut gar nichts bringen mir die Jahre zurück, die ich verloren habe! Das Buch hat mir wirklich mein Leben zerstört, als ich erst 26 Jahre alt war. Und dann komme ich aus diesem Land, das ständig Lügen über mich erzählt, zum Beispiel, dass ich ein schwerreiches und wunderschönes Leben führen würde mit meinem Geld. Solchen Unsinn über mich erzählt vor allem die extreme Rechte in Italien, die hört nicht auf, über mich Lügen zu verbreiten. Also wenn ich das gewusst hätte, hätte das Buch niemals geschrieben. Könnte ich in der Zeit noch mal zurückgehen, würde ich sagen, nein, nicht noch einmal.

"I'm Still Alive" ist im Cross Cult Verlag erschienen und kostet 30€