Bayern 2 - Zündfunk

Meinung zur Wehrpflicht Wenn schon töten und sterben, dann bitte alle Geschlechter

Nach der "Wehrpflicht light" sollen alle 18-jährigen Männer verpflichtet werden, einen Fragebogen zum Wehrdienst auszufüllen – und sich im Falle einer Einladung mustern zu lassen. Frauen müssen nicht antworten. Aber warum eigentlich? Ein Kommentar.

Von: Julia Fritzsche

Stand: 24.06.2024

Eine Soldatin trägt ein Maschinengewehr (MG3) vor Militärtechnik (Hummel) in der Systemschau CIR-Fähigkeiten beim Antrittsbesuch von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei der Cybertruppe bzw. dem militärischen Organisationsbereich (OrgBer) Cyber- und Informationsraum (CIR) am Standort in Rheinbach am 31.07.2023 | Bild: picture alliance, Panama Pictures, Christoph Hardt

Die meisten jungen Menschen wollen überhaupt keine Wehrpflicht. Ganz unabhängig vom Geschlecht. Nur 38 Prozent der 18- bis 29-Jährigen sind dafür. In einer Umfrage im NDR Hamburg Journal erklärt ein Schüler: "Wenn ich da überhaupt keinen Bock drauf habe, da irgendeine Frage zu beantworten, dann finde ich, ist das mein Recht, das nicht zu tun, das finde ich blöd, dass ich dazu gezwungen werde." Auch in der FAZ entscheiden sich von befragten Jugendlichen einer 11. Klasse die meisten gegen die Wehrpflicht: "Ich selbst hab kein Bock auf Wehrpflicht. Oder wärst du motiviert, dich da hinzustellen und dich abknallen zu lassen?"

Legit. Gerade für junge Menschen ist der Antrieb offenbar gering, für die vermeintliche Sicherheit einer Gesellschaft einzutreten, die ihre Zukunft nicht sichert. Die klimapolitisch nichts dafür tut, dass sie in ein paar Jahren noch ohne Extremwetter leben können. Die bildungspolitisch nichts dafür tut, dass sie mal in Wohlstand leben können, sofern sie nicht aus reichem Hause sind. Die ihnen statt einem guten Leben vor allem Wohnungsnot, Niedriglohnjobs und monatelange Wartezeiten beim Arzt bietet. Für diese Gemeinschaft kämpfen? Das wollen die meisten nicht. Und ich verstehe sie.

Frauen an die Waffen?

Die meisten Jugendlichen der in der FAZ erwähnten 11. Klasse wollen Gleichberechtigung. Auf die Frage, ob alle Geschlechter verpflichtend so einen Brief ausfüllen müssten, antwortet eine Schülerin: "Grundsätzlich ja, weil alles andere finde ich einfach veraltet." Ich fühl‘s. Also: Wenn schon sterben und töten, dann bitte alle Geschlechter.

Kochen statt kämpfen?

Doch das sehen viele anders. Von taz bis Spiegel lesen wir Kommentare, wonach es richtig sei, nur Männer zum Wehrdienst zu verpflichten. Frauen seien schließlich neun Monate lang schwanger, da könnten Männer doch sechs Monate Wehrdienst machen. Frauen wären außerdem aktuell 15 Monate in Elternzeit, Männer nur fünf, da hätten diese ja noch ein paar Monate als Ausgleich für den Bund. Frauen machten neun Stunden mehr Care-Arbeit die Woche, da könnten Männer mal die Stube putzen. Frauen wären fünfmal so selten in den Vorständen deutscher Unternehmen als Männer und verdienten generell 18 Prozent weniger. Und schließlich: Frauen wären bei Partnerschaftsgewalt die meisten Opfer.

Alle richtig. Alles Missstände. Alles müssen wir lösen. Aber lösen wir es, indem wir Kämpfen weiterhin zur Männersache erklären? "Ich hab den Eindruck, dass das eher an Stereotypen liegt, die aufrechterhalten werden", sagt ein von der FAZ befragter Schüler der 11. Klasse. True. Wir erhalten Stereotype aufrecht. Und die sind für viele folgenreicher und damit akut gefährlicher, als in einen Krieg eingezogen zu werden.

Emanzipation der Geschlechter

Zum einen wird die binäre Regel "Männer kämpfen, Frauen nicht" unserer Welt nicht gerecht. Wir können seit 2017 ein drittes Geschlecht ins Personenstandsregister eintragen lassen, liebe Damen und Herren des Verteidigungsministeriums und alle dazwischen und außerhalb.

Zum anderen wäre es zum Schließen des Gender Pay Gap sinnvoller, wenn wir Männer verpflichten, Löhne transparent zu machen anstatt tarnfarben durch den Wald zu robben.

Und schließlich führt die Regel "Männer kriegen und Frauen kriegen Kinder" total in die Irre. Viele Frauen bleiben kinderlos und viele Männer werden der Tatsache, dass sie Kinder haben, immer mehr gerecht. Würden ausschließlich sie wieder Pflichtmonate in der Armee machen müssen, bestünde das Risiko, dass sie die Elternzeit wieder der Mutter zuschieben.

Warum wir Männlichkeit von Militarismus lösen müssen

Kämpfen statt Care-Arbeit?

Wir lösen Gender Pay Gap, Gender Care Gaps und genderspezifische Gewalt nicht, indem wir Kämpfen zur Männersache erklären. Wir könnten sie befeuern.

Denn wir erklären Frauen und alle Nicht-Männer damit zu "Anderen": Sie sind schwach, ungeeignet, irgendwie nur so halbwertig. Kein Wunder, dass wir sie weniger bezahlen. Wir erklären außerdem den Mann zum Dominanten, Mutigen, Starken, Beschützer. Das ist ein Machtgefälle mit’ gefährlichen Folgen für Frauen. Denn gerade der Machtanspruch von Männern über Frauen (und dass er oft nicht erfüllt wird), führt häufig zu Partnerschaftsgewalt.

Es hat aber auch Folgen für uns als Gesellschaft allgemein. Indem wir Frauen aus dem Kriegerischen ausschließen und sie stattdessen dem Sozialen zuordnen, schaffen wir zwei Sphären. Eine harte und eine zarte. So können wir gut rechtfertigen, dass es in der einen Sphäre halt roh zugeht und ordentlich kracht. Schließlich gibt es ja noch die andere Sphäre, und da ist die Welt in Ordnung. Aber wollen wir nicht statt einer okayen Sphäre generell eine wohnliche Welt?