BR Heimat


50

Glocken läuten die Weihnacht ein 2022 Über Glocken in Krieg und Frieden

Es sind die Glocken von sechs bayerischen Kirchen, die heute die Weihnacht einläuten. Sie stehen in München, Dietfurt, Oberstdorf, Aschaffenburg, Passau und Nürnberg. Alle Kirchen beziehungsweise deren Vollgeläute haben in diesem Jahr eines gemeinsam: überall schwingt jeweils eine Glocke mit, die im weitesten Sinn mit dem Frieden verbunden ist.

Von: Christian Jungwirth

Stand: 15.12.2022 | Archiv

Glocken läuten die Weihnacht ein 2022: Über Glocken in Krieg und Frieden

Friedensglocke. Freiheitsglocke. Regina Pacis. Pacem in Terris. Viele Begrifflichkeiten für ein doch simples, seit altersher mit elementarer Hoffnung verknüpftes Wort. Frieden. Ein einfaches Wort, das besonders aber im ausklingenden Jahr weltweit viele Menschen zum Nachdenken, zur Sorge zwingt.

Seit Jahrzehnten, und auch heute, am Heiligen Abend, gibt es Kriege auf dieser Welt. Oft weit weg. Sehr weit weg. Doch seit dem 24. Februar für uns Europäer auch sehr nah. Russland führt seit diesem Tag einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Leid, Zerstörung, Gewalt, Tod, Flucht und Ungewißheit sind bittere Folgen für das angegriffene Land und seine Menschen.
Glocken können keine Kriege unter Völkern beenden; sie mussten in der Geschichte oft den Krieg verkünden, durften aber auch danach den Frieden begrüßen.

Glocken zur Weihnacht 2022

München

Das Geläute, dem wir gerade lauschen, gehört zur Pfarrkirche St. Paul in der bayerischen Landeshauptstadt München. Der imposante Bau wurde von 1892 bis 1906 im neugotischen Stil errichtet und liegt direkt an der Theresienwiese. Das Plenum von St. Paul zählt zu den tontiefsten der ganzen Stadt und besteht aus sechs Glocken. Darunter die Nummer Fünf, sie ist Maria Pacis, der Friedenskönigin und Gottesmutter, geweiht.

Dietfurt

St. Ägidius heißt die katholische Pfarrkirche in Dietfurt an der Altmühl, die Stadt gehört kirchlich zum Bistum Eichstätt, politisch zur Oberpfalz. Und auch vom Dietfurter Kirchturm verkünden uns insgesamt sieben Glocken die Frohe Botschaft des Heiligen Abends, darunter die rund eineinhalb Tonnen schwere Friedensglocke aus Bronze. Sie stammt aus einer Gießerei in Karlsruhe und ersetzt seit 1989 zusammen mit drei weiteren neuen Schwestern ein früheres Gußstahlgeläut.

Oberstdorf

Recht harmonisch klingen sie, die fünf Glocken im imposanten Turm der Pfarrkirche St. Johannes Baptist in der Oberallgäuer Marktgemeinde Oberstdorf. Im Sommer 2020 wurde das ursprüngliche Quartett durch eine großzügige Glockenspende um ein fünftes Instrument erweitert. Diese Friedensglocke bringt immerhin 350 Kilogramm auf die Waage. Sie bildet die Klangkrone des Plenums und trägt die Aufschrift: "Jesus trat in ihre Mitte und sprach: Friede sei mit Euch".
Die größte Glocke im Oberstdorfer Kirchturm ist die Dreifaltigkeitsglocke, sie stammt aus dem Jahr 1866 und hat beide Weltkriege unbeschadet überdauert. Obwohl sie mit ihrem stattlichen Gewicht von 2,4 Tonnen für Kriegszwecke eingezogen werden sollte, sicherte eine List ihren Fortbestand: Glocken mit hohem Silberanteil waren als Kriegsmetall nämlich nicht nutzbar. Um diesen Anteil des Edelmetalls vorzutäuschen, wurde in eine erste Spanprobe ein zusätzlicher Silbertaler hineingerieben, worauf bei der erneuten Probe die Dreifaltigkeitsglocke infolge des "hohen Silbergehaltes" für kriegswaffenuntauglich erklärt wurde und so in Oberstdorf verbleiben durfte.

Aschaffenburg

Vom Allgäu ganz im bayerischen Süden nun in den Nordwesten des Freistaats, nach Aschaffenburg in Unterfranken. Dort erklingen gerade alle zehn prächtigen Glocken des ältesten Gotteshauses der Stadt, der Stiftskirche St. Peter und Alexander. Papst Johannes XXIII. hat ihr 1958 den Status einer "Basilica minor" verliehen.
2004 hat die Gießerei Perner in Passau eine 700 Kilogramm schwere Glocke gegossen; sie ist ebenfalls zu hören und trägt den Namen "Pacem in Terris", benannt nach der Friedensenzyklika jenes legendären Konzil-Papstes aus dem Jahr 1963. Bis auf eine Glocke aus dem 14. Jahrhundert wurden alle anderen erst nach 1945 gegossen.

Passau-Hacklberg

Auch im östlichsten Niederbayern läuten heute viele Glocken die Weihnacht ein. Wir hören ein insgesamt 6,6 Tonnen schweres Plenum, alle sechs Glocken hängen im granitverkleideten Turm der katholischen Pfarrkirche St. Konrad im Passauer Stadtteil Hacklberg. Und weil die bekannte Glockengießerfirma Perner dort ebenfalls ihren Sitz hat, stammt das Sextett praktischerweise "aus einem Guß". Auch in St. Konrad, einem klassisch-schnörkellosen Kirchenneubau im Stil der 1960er Jahre, verrichtet eine Friedensglocke ihren Dienst, sie ist die kleinste und wurde erst 2006 ergänzt.

Nürnberg

Zum Schluss stimmt uns ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Geläut auf die Weihnacht ein. Von der Nürnberger Friedenskirche erklingen nicht weniger als elf Glocken, zusammen bringen sie mehr als 20 Tonnen auf die Waage. Dominant schlägt dabei die Friedensglocke ihren Fis-Null-Ton, sie stammt aus Apolda und ist mit 175 Zentner die schwerste evangelische Kirchenglocke Bayerns.
Geplant wurde die Friedenskirche - als Gedenk- und Mahnmal für Nürnberg - noch während des Ersten Weltkriegs 1916. In Friedenszeiten der Weimarer Republik wurde das Gotteshaus 1925-1928 erbaut, brannte jedoch 1944 nach einem verheerenden Bombenangriff aus. Anfang der 1950er Jahre erfolgte der Wiederaufbau der Friedenskirche, 1959 bezogen zehn Glocken aus Heidelberg den Glockenstuhl. Dort hat sie schon ihre größte Schwester, die unversehrte Friedensglocke von 1928, erwartet. Ob deren Glockengießer damals bei der Arbeit den Schluß des "Liedes von der Glocke" von Schiller im Hinterkopf hatten, ist nicht bekannt, aber möglich. "Jetzo mit der Kraft des Stranges, wiegt die Glock´ mir aus der Gruft, dass sie in das Reich des Klanges steige, in die Himmelsluft! Ziehet, ziehet, hebt! Sie bewegt sich, schwebt. Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Geläute."

In den Anfängen des Christentums halten Glocken zunächst in Klostergemeinschaften Einzug. Sie rufen die Mitglieder des Konvents zum täglichen Gebet zusammen. Im Mittelalter, beim massiv einsetzenden Bau von Kirchen und Kathedralen, sammeln Glocken auch Menschen aus Stadt und Land zu Gottesdienst und Gebet. Sie läuten zu kirchlichen wie weltlichen Anlässen. Auch in der Wechselbeziehung von Krieg und Frieden spielen Kirchenglocken eine Rolle. Der durchdringende Klang ruft Männer zu den Waffen, die Bevölkerung zugleich zum inneren Zusammenhalt. Glocken sollen zudem den Feind im Vorfeld kriegerischer Überfälle aus der Ferne abschrecken. Dies mag oft zum Erfolg geführt haben, doch irgendwann verpuffte die Wirkung, der Feind gewann die Oberhand.

Glocken werden zu Kriegsgerät

Kirchenglocken büßen irgendwann in der Geschichte ihre feindabschreckende Wirkung ein. Mehr noch: Herrschern und Militärs wird in immer häufigeren Kriegszeiten bewußt, dass Glocken aus wertvollem Metall wie Stahl oder Bronze bestehen. Diese lassen sich leicht zu Waffen und Kanonen verarbeiten. Von Napoleon Bonaparte wird erzählt, er habe, um halb Europa auf den Schlachtfeldern zu bezwingen, über 100.000 Glocken einschmelzen und zu Kanonen umgießen lassen. Im gleichen Atemzug hat der französische Kaiser den Ton der Glocke an sich verehrt und war wohl betrübt, in der Verbannung auf St. Helena kein Angelusläuten mehr hören zu können.

Einschmelzen von Kirchenglocken für Kriegszwecke. Photographie um 1915.

Im 20. Jahrhundert haben beide Weltkriege, so wird geschätzt, wohl weit über 150.000 Glocken als Waffenmaterial für ihre grausamen Zwecke beansprucht. Glocken wurden dabei nicht nur zwangsweise enteignet, sondern zum Teil auch freiwillig, für Volk und Vaterland, abgeliefert. Ein überwiegender Teil landete auf dem berühmten Glockenfriedhof im Hamburger Hafen. Von dort konnten nach Kriegsende zum Glück viele nicht eingeschmolzene Instrumente wieder ihren Heimatpfarreien zurückgegeben werden.

Viele Glocken läuten wieder

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, fehlten quer durchs Land verbreitet die Glocken in Kirchtürmen. Ihr gemeinschaftstiftender Klang war oft verstummt in den Trümmern von Krieg und Zerstörung. Doch das Hoffen auf bessere, friedvollere Zeiten gab auch den Kirchengemeinden wieder Auftrieb. Neue Glocken wurden angeschafft, nicht wenige der im Krieg beschlagnahmten wieder feierlich in die leeren Glockenstuben gehängt. Und nicht zuletzt die wachsende Bevölkerung machte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Bau neuer Kirchen und somit weitere Glocken notwendig - darunter sind auch viele Friedensglocken.


50