Kinderhandel Das Schattengeschäft
Der ARD-Spielfilm "Operation Zucker" thematisiert ein Verbrechen, das oftmals unentdeckt bleibt: Kinder werden verkauft, als Ware gehandelt und sexuell missbraucht. Die Opfer kommen dabei nicht immer aus Osteuropa, sondern auch aus Deutschland.
Als sich Danielas Leben für immer verändert, ist sie 13 Jahre alt. Von ihrem eigenen Freund verkauft, beginnt für die junge Bulgarin eine Odysee durch halb Europa. Bordelle und Straßenstriche in Deutschland, Frankreich, Belgien. Zuhälter, Schlepper und Zwischenhändler aus Bulgarien, Polen, der Türkei. Gefügig gemacht durch einen Teufelskreis aus Vergewaltigung, Gewalt und Einschüchterung. Mit 14 wird sie bei einer Razzia in Luxemburg von der Polizei entdeckt und in ein Heim in der bulgarischen Provinz gebracht. Dort bringt sie ein Kind zur Welt, gezeugt mit einem ihrer vielen Kunden. Ihr Schicksal wurde vom Kinderschutzverein ECPAT dokumentiert. Ein Schicksal unter vielen, die wenigsten davon gelangen an die Öffentlichkeit.
Brennpunkt Osteuropa
In Europa kommen viele der Opfer aus Ländern wie Bulgarien oder Rumänien. Ländern, in denen die Arbeitslosigkeit hoch ist und es kaum soziale Auffangnetze gibt. Länder, in denen Familien von extremer Armut betroffen und ethnische Minderheiten wie Roma und Sinti ungeschützt der Diskriminierung ausgesetzt sind. Nach Schätzungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) werden pro Jahr zwischen 120.000 und 500.000 Frauen von Ost- nach Westeuropa gebracht, meist, um sie zur Prostitution zu zwingen.
Zwangsprostitution auch bei deutschen Kindern
Dass nicht nur Kinder aus osteuropäischen Ländern Opfer von Zwangsprostitution werden, zeigen die Erfahrungen der ehemaligen Polizeikommissarin Bärbel Kannemann. "Was in Deutschland kaum bekannt ist: Auch deutsche Mädchen können Opfer von Menschenhandel werden", sagt sie. Sie hat den Verein Eilod gegründet, der sich für die Opfer sogenannter Loverboys engagiert. Diese gaukeln den Mädchen anfangs die große Liebe vor. Dann setzen sie die Minderjährigen psychisch unter Druck, bedrohen sie, machen sie drogenabhängig - und zwingen sie zur Prostitution. Nicht selten wohnen die Opfer weiter bei ihren Eltern. Die Loverboys achten darauf, das die Kinder pünktlich zuhause sind und die Schule nicht versäumen. Kannemann berichtet von einer 15-Jährigen, die in vier Jahren dreimal schwanger war. Das Ungeborene: jeweils in ihrem Bauch totgetreten. Die Eltern: ahnungslos.
Die Dunkelziffer jenseits der Statistik
In den Polizeistatistiken tauchen viele der Opfer niemals auf. Entweder, weil sie nicht entdeckt werden und aus Angst selbst nicht den Schritt zu den Behörden wagen, oder weil sie polizeilich nicht unter dem Begriff Menschenhandel erfasst werden. 2011 etwa habe es in Thüringen offiziell keinen oder nur einen Fall von Kinderhandel gegeben, berichtet Mechthild Maurer, die Geschäftsführerin von ECPAT Deutschland. "Wir hatten in einer Fortbildung einen Staatsanwalt, der sagte: 'Das kann doch gar nicht sein. Alleine bei mir am Gericht gab es ein halbes Dutzend Fälle.'" Über die Zahl der Opfer, die nicht entdeckt werden, könne man nur spekulieren, sagt sie: "Kinder mit gefälschten Pässen werden ab und zu von der Polizei bei Razzien im Rotlichtmilieu entdeckt. Die Kinder, die offensichtlich nicht volljährig aussehen, sind völlig abgeschottet. Es kann sein, dass hier eine Szene entstanden ist, die diese Kinder zum Beispiel über Chats weitervermittelt."
Strafanzeigen oft erfolgos
Auch Kannemann bestätigt, dass die Dunkelziffer enorm hoch ist. Sie hält bundesweit Vorträge an Schulen, um auf das Problem aufmerksam zu machen. An jeder einzelnen Schule, an der sie bis jetzt war, gab es Betroffene. Die deutsche Polizei verzeichnete 2009 und 2010 jedoch gerade einmal drei Fälle. Alleine bei Kannemann melden sich innerhalb einer Woche manchmal acht Mädchen. "Die wenigsten Opfer erstatten Strafanzeige. Manchmal aus Scham, manchmal aus Angst, man werde ihnen nicht glauben", sagt sie. Kommt es doch zur Strafanzeige, steht oft Aussage gegen Aussage. Die Mädchen haben Details vergessen, weil sie unter Drogeneinfluss standen, verstricken sich in Widersprüche. In keinem der etwa 250 Fälle, die Kannemann bislang bearbeitet hat, ist es zu einer Verurteilung des mutmaßlichen Täters gekommen. Zudem sind ihr Mädchen bekannt, die an Polizisten oder ihren Klassenlehrer verkauft wurden. Auf die Frage, wie sie diese Geschichten aushält, antwortet sie: "Das frage ich mich manchmal auch. Nicht immer gut. Manchmal ist es einfach zu viel."
Der Fall Flavio
Mitte Februar 2011 wurden am Flughafen München zwei Männer festgenommen, die einen elfjährigen Jungen aus Haiti mit gefälschten Dokumenten über die Dominikanische Republik nach Deutschland schleusen wollten. Einer der Täter leitete im vom Erdbeben zerstörten Haiti ein Waisenhaus, in dem er offenbar Kinder missbrauchte und pornografisches Material herstellte - alles unter dem Deckmantel einer von ihm gegründeten Hilfsorganisation. Unter dem Vorwand der Adoption könnten auf ähnliche Weise weitere Kinder nach Deutschland gebracht worden sein, befürchtet die Polizei.