Lion Feuchtwanger Münchens weltberühmter Staatenloser
Feuchtwanger - der Name ist in München seit Jahrhunderten ein Begriff. Die Familie produzierte Margarine, ihr erfolgreichster Sohn Weltbestseller. Die Nazis verfolgten kaum einen Autor mit so viel Hass wie ihn - auch, weil er schon 1930 die hellsichtigste literarische Analyse ihres Aufstiegs verfasste.
"Sein zerknittertes Gesicht sah altklug unter der großen Autobrille hervor." So beschreibt Lion Feuchtwanger in "Erfolg" den Schriftsteller Tüverlin. Die Zeitgenossen erkennen hinter der Autobrille sofort Feuchtwanger. Es ist die Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstironie, die das älteste von neun Kindern eines jüdischen Münchner Margarinefabrikanten früh auszeichnet. Dazu gesellen sich Intelligenz, Bildung, Fleiß.
Den hat er nötig: Der Erfolg lässt auf sich warten. Seine Promotion über Heines "Rabbi von Bacharach" gilt als brillant, eine Habilitation erscheint ihm im antisemitischen Klima der Zeit indes wenig aussichtsreich. Sein ambitioniertes Zeitschriftenprojekt "Der Spiegel" geht sang- und klanglos ein, vom ersten Roman "Der tönerne Gott" nimmt 1910 kaum jemand Notiz. Doch der junge Dichter und Theaterkritiker schreibt, ab 1912 unterstützt von seiner ähnlich selbstbewussten Frau Marta, unbeirrt weiter, für Zeitungen, für die Schublade. Bis der Durchbruch kommt.
Geschriebene Geschichte, gelebte Geschichte
Was ihn als Nachdenker wie als Schriftsteller am meisten interessiert: Geschichte, vor allem jüdische Geschichte, von der seine Familie mehr als genug erlebt hat. 1555 wurden die Feuchtwangers aus jenem mittelfränkischen Städtchen, dessen Namen sie tragen, verjagt, lebten seither meist in München. 1925 flieht der Autor aus dem zunehmend reaktionären bayerischen Klima nach Berlin, bevor er 1933 ganz aus Deutschland emigriert.
Jud Süß: Irrwege eines Romanstoffs
Zuvor hat er mehrere, teilweise weltweite Erfolge. Den größten bringen wir heute eher mit Joseph Goebbels als mit Feuchtwanger in Verbindung: Jud Süß. Es ist die auf wahren Begebenheiten fußende Geschichte des Bankiers Süß Oppenheimer, der um 1700 zum Berater des württembergischen Herzogs aufsteigt und nach Irrungen und Intrigen zum Tode verurteilt wird.
Schon die Entstehung des Buchs ist so konfus wie die spätere Rezeption. Eigentlich hat Feuchtwanger ein Buch über den von Rechtsradikalen ermordeten deutschen Außenminister Walter Rathenau im Sinn gehabt, entscheidet sich dann aber für den halb vergessenen "Hofjuden", den er freier ausgestalten kann. Erst plant er ein Drama, schreibt dann doch einen Roman, der zwei Jahre lang auf Desinteresse stößt und schließlich in einem Theaterverlag erscheint. Nicht unpassend: Die Geschichte gleicht einem packenden Fünf-Akt-Drama. Für den englische Literaturpapst Arnold Bennett ist sie "Book of the Year" - und wenig später ein Bestseller, der in 15 Sprachen eine Auflage von drei Millionen erreicht.
Hitler, oder die Rache des Monteurs Kutzner
Von Brecht bis Valentin bekommen in diesem Schlüsselroman alle Tonangeber der Zeit einen Auftritt. Auch einer, den Feuchtwanger meist beim Große-Reden-Schwingen porträtiert. Indes: "Schwieg der Monteur Kutzner, so gaben die dünnen Lippen mit dem winzigen, dunklen Schnurrbart und das pomadig gescheitelte Haar über dem fast hinterkopflosen Schädel dem Gesicht eine maskenhafte Leere".
Zu gern würde man einmal in "Hitler-Tagebüchern" nachblättern, wie diese fotorealistische Darstellung auf den Porträtierten wirkt. Klar ist: Kaum ein Schriftsteller wird von den Nazis so vehement bekämpft wie Feuchtwanger. Gleich nach der Machtergreifung wird er aus dem "Schutzverband Deutscher Schriftsteller" ausgeschlossen, wenig später ausgebürgert. Seine Bücher werden verboten und verbrannt.
Im Exil: Feuchtwanger als "Trademark"
Für viele Autoren bedeutet das die seelische, künstlerische oder materielle Auslöschung. Feuchtwangers Heimat und Heimatmarkt ist um diese Zeit die ganze Welt. "Nearly like Feuchtwanger" ist die größte Auszeichnung, die die internationale Kritik einem deutschsprachigen Autor verleihen kann - zum Missvergnügen des Nobelpreisträgers Thomas Mann. Bis 1940 leben Marta und Lion mit anderen Emigranten im französischen Sanary-sur-Mer, danach im Villenviertel Pacific Palisades bei Los Angeles - staatenlos, aber frei von materieller Not. Den weniger begüterten Exilkollegen bietet die Villa Aurora Gastfreundschaft und Gelegenheit zu Reflexion und Spott.
"Gestern waren wir bei Feuchtwangers zum Tee; so sollten Schriftsteller wohnen, in einem Schloss am Meer, auf einem Hügel, mit lauter Rundblicken aufs Meer und Gebirge... ist das nicht wert, dafür die Romane Feuchtwangers zu schreiben?"
Hermann Kesten, 8. Januar 1947
Feuchtwanger selbst baut in seiner kommoden Manuskript-Manufaktur derweil den "Erfolg" zur Trilogie aus, verfasst unter anderem "Goya" (1951) und "Die Jüdin von Toledo" (1955). Seltsam: Der Großbürger und Amerika-Fan Feuchtwanger, der im "Erfolg" die revolutionäre Umtriebigkeit Bert Brechts so bissig karikiert hat, zeigt unverhohlen Sympathien für den Stalinismus. 1950 wird er nach Heinrich Mann zweiter Träger des Nationalpreises der DDR, Sparte Literatur. Dialektik der Geschichte? 1957 verleiht München dem weltberühmten Vertriebenen den Literaturpreis der Stadt, ein Versöhnungsangebot, das den Rat in unversöhnliche Lager spaltet. Ein Jahr später stirbt Feuchtwanger, noch immer staatenlos, in Los Angeles. Marta überlebt ihn um knapp drei Jahrzehnte.
Werke (Auswahl)
1935
Jud Süß
Der Roman thematisiert die schwierige Assimilation deutscher Juden. Im Zentrum steht das Schicksal des historisch verbürgten württembergischen "Hofjuden" Joseph Süß Oppenheimer (1698 1738). Nach dem Tod seines Gönners und ohne Schutz des Herzogs wird er als "Jud Süß" verfolgt und hingerichtet. Der Stoff diente bereits 1825 Wilhelm Hauff als Vorlage für eine Novelle, und Veit Harlan drehte 1940 den gleichnamigen antisemitischen Propagandafilm.
1930
Erfolg
"Drei Jahre Geschichte einer Provinz" lautet der Untertitel dieses Zeitromans, der ein kritisches Münchner Gesellschaftspanorama der frühen 20er-Jahre zeichnet. Vor dem Hintergrund des heraufziehenden Faschismus bestimmen bornierter Provinzialismus und machtgeile Korruption die Isarmetropole. Dem politisch missliebigen Museumsdirektor Martin Krüger wird der Prozess gemacht, und er wird aufgrund eines Meineids zu drei Jahren Festungshaft verurteilt.
1932
Josephus-Trilogie
Im Mittelpunkt der drei Romane - "Der jüdische Krieg" (1932), "Die Söhne" (1935) und "Der Tag wird kommen" (1941) - steht das Leben des antiken jüdischen Geschichtsschreibers Josef Ben Matthias während der Flavischen Kaiserdynastie. Matthias gelingt es ins Zentrum der Macht Roms vorzudringen. Er kann sich jedoch weder für die jüdische noch die römische Kultur entscheiden. Vergeblich versucht er einen Ausgleich zwischen den Kulturen herbeizuführen.
1951
Goya oder Der lange Weg der Erkenntnis
Lion Feuchtwangers Spätwerk ist ein historischer Roman über die politischen Umwälzungen Ende des 18. Jahrhunderts anhand der Lebensgeschichte des spanischen Malers Francisco de Goya am Hof Karls IV. Hier avancierte er zum "Ersten Hofmaler". Im Zentrum der Handlung steht Goyas zur Zeit der Inquisition als provokant empfundenes Werk und seine Liebe zur Herzogin von Alba. Goya ist bei Feuchtwanger ein gebrochener Held voller Widersprüchen.
Lebensdaten
*7. Juli 1884 in München
+21.Dezember 1958 in Los Angeles