Kultur - Literatur


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Ernst Toller Der Dramatiker als Revolutionär

In den 1920er-Jahren war er der bekannteste deutsche Bühnenautor. Die Sprache seiner Stücke galoppierte im Rhythmus einer von politischen Umwälzungen und rasantem technischen Fortschritt getriebenen Zeit. Tollers Werk hat es nicht in den Klassikerkanon geschafft - sein Lebens-Werk aber beeindruckt.

Stand: 01.04.2019 | Archiv

Ernst Toller und ein Zitat aus seinen Werken | Bild: BR, picture-alliance/dpa, Montage: BR / Christian Sonnberger

"Ein radikaler Gesinnungsethiker": So beschreibt Max Weber 1919 seinen ehemaligen Studenten Toller, als er sich vor Gericht für den politisch Andersdenkenden einsetzt. Leitmotiv in Tollers Werk und Leben ist der Kampf für eine neue, gerechtere Gesellschaft. In den Schützengräben von Verdun hat er seine sozialistischen und pazifistischen Ideen entwickelt. Mit expressionistischem Menschheitspathos reflektiert er den Krieg, später das Scheitern der Räterepublik.

Ein Leben im Zwiespalt

In Tollers Biografie zeichnet sich mit aller Schärfe das Dilemma vieler politisch engagierter Menschen des 20. Jahrhunderts ab: Lässt sich eine Utopie von Frieden und Gerechtigkeit mit gewaltsamen Mitteln verwirklichen? Gibt es eine pazifistische Revolution? Anarchie ohne Chaos? Kann man radikal "Nein" sagen, ohne sich umzubringen? Im Mai 1939, wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, erhängt sich Toller in der New Yorker Verbannung. Das Zeugnis, das seine Weggefährten über Tollers Intellekt und Charakter ablegen, ist beeindruckend - wie diese Aussage Kurt Tucholskys, der vier Jahre zuvor im schwedischen Exil an einer Tablettenvergiftung starb.

"Ich habe eine stille Liebe zu Tollern. Der Mann hat das, was wir heute alle sagen, in jenen Jahren 1916 und 1917 gesagt, als das noch Kopf und Kragen kostete; er hat seine Gesinnung auch im Krieg entsprechend bestätigt; er hat diese Gesinnung durchgehalten, mit der Tat und mit dem Wort, und er hat für diese seine Gesinnung bezahlt. Und das darf man nie vergessen."

(Kurt Tucholsky, 1931)

Vom Unteroffizier zum Revolutionär

Der so Verehrte wird als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in der Posener Provinzstadt Samotschin (heute Szamocin) geboren. Toller will Schauspieler werden, vielleicht auch Dichter, studiert aber zunächst in Grenoble Jura. 1914 rückt er mit dem "1. Kgl. Bay. Fuß-Artillerie-Regiment" in München aus - als Kriegsfreiwilliger. Für seine Tapferkeit vor Verdun wird er ausgezeichnet und zum Unteroffizier befördert. Zugleich schreibt er erste Gedichte gegen den Krieg. 1916 ist Toller körperlich und seelisch so erschöpft, dass er aus der Armee entlassen wird.

1918: Revolutionäre und Konterrevolutionäre versammeln sich in den Straßen Münchens.

1917 studiert er weiter, nun aber Geisteswissenschaften in München. Kaum ein wichtiger Kopf, der in dieser Zeit nicht seinen Weg kreuzt: Bei Max Weber studiert er Politik, beim Literaturwissenschaftler Artur Kutscher lernt er Thomas Mann und Rainer Maria Rilke kennen. Und dann ist da eine Gruppe von Kriegsgegnern, die sich im Gasthaus "Zum Goldenen Anker" trifft. Bei den Debatten, an denen auch Oskar Maria Graf und Erich Mühsam teilnehmen, führt Kurt Eisner das Wort.

Proklamation der Republik | Bild: Bayerische Landeszentrale für politische Bildung

Plakat: Die Ausrufung der Republik im November 1918

Im Januar 1918 unterstützt Toller den Streik der Munitionsarbeiter. Als Regierungstruppen auf die Landeshauptstadt zumarschieren, steht der Pazifist in den Reihen der Revolutionsgarde. Die Kämpfe kosten über 1.000 Menschen das Leben. Toller wird steckbrieflich gesucht; die Kopfprämie liegt bei 810.000 Mark. Tollers erstes Drama "Die Wandlung" vollzieht die historisch wie seelisch dramatischen Jahre nach.

Schwalben hinter Gittern

Atemlos Dinge erleben, um dann mit langem Atem darüber schreiben zu können: Die Geschichte gönnt Toller beides, freilich in der unvorteilhaftesten Weise. 1918/19 gehört er zu den Hauptakteuren in Revolution und Räterepublik; nach der Ermordung von Ministerpräsident Eisner übernimmt er im März 1919 den Vorsitz der bayerischen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD). Nach der blutigen Zerschlagung der Räterepublik wird der "Hochverräter" beinahe zum Tode, dann doch zu fünf Jahren Festungshaft in Niederschönenfeld nahe Augsburg verurteilt. 

Die Haft verbringt Toller schreibend - ähnlich wie ein anderer Hochverräter, der wenig später 100 Kilometer lechaufwärts in Haft sitzt. Toller begeistert anfangs mehr Leser; doch anders als Hitlers "Mein Kampf" bleiben seine Werke politisch folgenlos. In kurzer Abfolge entstehen: das expressionistische Drama "Masse Mensch"; das Kriegsheimkehrerstück "Der deutsche Hinkemann"; das "Schwalbenbuch", das anrührend den absurden Kampf schildert, den ein Häftling mit der Gefängnisverwaltung um ein Vogelnest in seiner Zelle ficht.

Hauptwerke

Dramen
1919 - Die Wandlung
1922 - Die Maschinenstürmer
1923 – Der deutsche Hinkemann
1939 - Pastor Hall

Prosa und Lyrik
1924 - Das Schwalbenbuch
1930 - Feuer aus den Kesseln
1933 - Die blinde Göttin
1936 - Eine Jugend in Deutschland
1934 - Nie wieder Friede
1935 - Briefe aus dem Gefängnis

Die literarische Aufarbeitung der November-Ereignisse ist für Toller eine Art Katharsis. "Masse Mensch" sei eine" visionäre Schau", die in zweieinhalb Tagen förmlich aus ihm heraus gebrochen sei, bekennt er später. 1920 wird das "Stück aus der sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts" im Nürnberger Stadttheater als geschlossene Veranstaltung vor Gewerkschaftern uraufgeführt. Jahre später wird es an der Berliner Volksbühne ein Publikumserfolg.

Noch populärer wird "Hoppla, wir leben", das Erwin Piscator 1927 auf die Bühne des Theaters am Nollendorfplatz zaubert. Vom Pathos der Expressionisten hat sich Toller jetzt zugunsten der "Neuen Sachlichkeit" verabschiedet, lässt die Handlung auf mehreren Ebenen ablaufen und mit Filmprojektionen kombinieren. 

Das Unglück, Recht zu haben

Man hört und glaubt ihm nicht. Als man ihm glaubt, ist er kaum noch zu hören: Ernst Toller 1938

Der Erfolg ist von kurzer Dauer. Nachdem Bayern den Humanisten - anders als Hitler - bereits 1924 nach Berlin abgeschoben hat, geht die Ausbürgerung 1933 weiter. Toller geht in die Schweiz, wo bei "Querido" seine Autobiografie "Eine Jugend in Deutschland" erscheint. Weitere Stationen seines Exils sind London und New York.

"Er war einer der ganz wenigen, die präzise und analytisch vorhergesagt haben, wie Hitler funktioniert und was passieren wird, wenn die Nazis an die Macht kommen. Er hat auch früh entdeckt, welchen Anteil daran die Medien haben und wie die Nazis mit neuen Medien umgehen. Deswegen ist er ja auch von den Nazis so angegriffen worden. Die Kommunisten haben ihn, weil er eher aus dem Anarchismus gekommen war, ebenfalls angefeindet. Zwischen diesen Blöcken ist er zerrieben worden."

(Albert Ostermaier, 2002)

Es sind bittere Jahre, die nicht milder werden dadurch, dass Toller den aufhaltbaren, aber nicht aufgehaltenen Aufstieg Hitlers und die Totalität seiner Machtergreifung präzise vorhergesagt hat. Zwar zählt Toller zu den führenden Stimmen im Chor des "anderen Deutschland"; sein unermüdlicher Kampf gegen die Zersplitterung der Linken aber bleibt ebenso folgenlos wie seine groß dimensionierten Hilfsprojekte zugunsten des republikanischen Spanien. 

Der Koffer mit dem Strick

Im März 1939 besetzen deutsche Truppen nach dem Sudetenland auch die "Rest-Tschechei". Am 19. Mai 1939 veranstaltet Franco, von den Westmächten anerkannt, eine Siegesparade. Am 22. Mai 1939 erhängt sich Ernst Toller im Mayflower Hotel am Central Park in New York. Schon seit Jahren hat er auf Reisen einen Strick in seinem Koffer mitgeführt.

Oskar Maria Graf und Sinclair Lewis halten die Totenreden an seinem Sarg. Klaus Mann verliest ein Grußwort seines Vaters Thomas. Viel später widmen die Dramatiker Tankred Dorst und Albert Ostermaier dem Kollegen Theaterstücke. Seine eigene Bühnenwerke werden nur selten aufgeführt. Zu seinem 100. Geburtstag 1993 sind nur wenige Bücher Tollers erhältlich. Ob sich das bis zum 110. ändert?

Lebensdaten

* 1.Dezember 1893 in Samotschin (heute Polen)
+ 22. Mai 1939 in New York


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