Eckhard Henscheid zum Geburtstag Der Mann, den Reich-Ranicki "Idiot" nannte
Ist das jetzt eine Ehre, vom Literaturpapst beleidigt zu werden? Eckhard Henscheid, der Oberpfälzer, der die "Titanic" miterfand, könnte das so sehen. Der Virtuose von Krawall und Idylle zählt zu Bayerns großen Sprachjongleuren. Jetzt ist er 75.

Amberg-Raigering und Frankfurt City: Da steckt er also, der größte lebende bayerische Dichter scharfer Zunge. Einerseits in der von Schreibern in Eile gern "Mainhattan" genannten "Bankenmetropole" mit ihren meist unnötig hohen Häusern, Schulden, Buchmessebuchstapeln und Mordraten. Wo seit 2014 inmitten seiner Zech- und Wirkungsstätten sogar ein Lokal nach ihm benannt ist, das - eben - "Henscheid", Mainkurstraße 27, dessen Bewertungen im Netz auch dem Autor stehen würden ("Geheimtipp", "Klassiker mit neuem Gesicht", "da halfen nur noch recht gute Schnäpse").
"Eine einzige, langdurchgezogene lästerliche und alles in den Bann ziehende Natur- und Intellektualgemeinheit" (Henscheid über Amberg)
Andererseits ist Henscheid Bewohner eines stillen Gartens leicht abseits der sehr ehemaligen Hauptstadt der Oberpfalz, dem "lieben Amberg" (Henscheid), das, bescheiden in herrlichste Landschaft geduckt, mit seinen Höchstleistungen auf den Gebieten des Kirchen- und Autositzbaus, Brau- und Metzgereiwesens nur selten wuchert. Ein Stadt-Land-Gegensatz? Pole gar?
I wo.
Nach ein paar zu vielen Äppelwoi respektive Zoiglbieren verwischen sich solche Unterschiede gewaltig. Es geht ja überall um Liebe und Geld, Dummheit und Gott, Kunst und Wurst, Fußball und Musik, Liebe und Geld. Womit die Lieblingsthemen Henscheids genannt sind.
Als der Schwachsinn laufen lernte
Henscheid selbst wird gern Satiriker genannt, was er nach eigener Schätzung nur zu 30 Prozent ist und zu 70 Prozent daran liegt, dass viele ihn als Vertreter der "Neuen Frankfurter Schule" und Miterfinder des Satiremagazins Titanic kennen und lang nichts mehr von ihm gelesen haben.
Sein kapitalster Bestseller liegt schon ein paar Jahre zurück: Die gut 1.000 Seiten starke "Trilogie des laufenden Schwachsinns" katapultierte den 32-Jährigen in den 70ern am laufenden Literaturbetrieb vorbei in die Verkaufslisten - das damals noch aufstrebende Kulturversandhaus Zweitausendeins landete mit Henscheids ersten drei Romanen einen Volltreffer, der bis heute 400.000 Mal gedruckt wurde. Man redete gern in jenen Jahren, nicht nur in Henscheids Büchern. Es muss sich herumgesprochen haben, dass da einer seine ganz eigene, saukomische Sprache gefunden hat, in der hoher Ton und niedere Beweggründe munter Trampolin springen. Schwer zu sagen, ob Frank Schulz und Sven Regner auch ohne Henscheid so klingen würden, wie sie klingen.
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Viel Feind, viel Arrrrgh
In seiner produktivsten Zeit, den 70er- und 80er-Jahren, sind Henscheids Titanic-Breitseiten nur die Spitze des Eisbergs. Auf sein Konto gehen "Zeit"-Kolumnen, Musikessays, kluge Analysen, wüste Beschimpfungen, dicke Romane. Publikum und Feuilleton reagieren ungefähr so, wie es der Autor Klaus Cäsar Zehrer beschreibt: "Kein anderer Autor vermag es, mich zu je einem Drittel zu begeistern, abzustoßen und zu langweilen - ein alles in allem doch verlockender Gefühlscocktail." Vortäuschung falscher Tatsachen kann man Henscheid nicht vorwerfen - man ahnt, worauf man sich einlässt, wenn man Titel kauft wie "Verdi ist der Mozart Wagners" (1979) oder "Beim Fressen beim Fernsehen fällt der Vater dem Kartoffel aus dem Maul" (1988).
Fleißig sammelt Henscheid Fans und Feinde. Dem Kollegen Botho Strauß attestiert er "tranige Edelschickeriaprosa", Grass nennt er "Wichtigkeitskasper". Heinrich Bölls Sohn René lässt Buchpassagen schwärzen, die den Vater als "steindummen, kenntnislosen und talentfreien Autor" beschreiben. Marcel Reich-Ranicki (Henscheid: "Literaturpapst? Kegelbruder!") adelt den Oberpfälzer mit der öffentlichen Anrede "Idiot".
Die Zeit holt auf
Comicartige Krawalllust überfällt den Autor vor allem, wenn es gegen "Gutmenschen" geht - einen Begriff, den er schon in den 80ern gern verwendet. Nicht nur damit ist Henscheid lange seiner Zeit voraus. Er etabliert das Genre des Kneipenromans, pflegt Entschleunigung, wo andere im Pop-Tempo brausen und schreibt klug über Fußball, als die Redaktion der "Elf Freunde" noch im Kindergarten kickt.
Inzwischen hat die Zeit ihn eingeholt. Die Zeitgenossen gratulieren sich dazu, indem sie Henscheid mit dem Italo-Svevo-Preis (2004) und dem Jean-Paul-Preis (2009) dekorieren. Noch nicht, wie Henscheid wachsam konstatiert, mit dem Literaturnobelpreis, den er doch zu gern ablehnen würde, um nicht mit Minderbegabten wie der "spätfeministisch-romanfaselnden Neokitschieuse" Jelinek (Henscheid) in einem Satz genannt zu werden. Kann ja noch kommen - den Schwachsinn in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.
Lebensdaten
*14. September 1941 in Amberg/Oberpfalz
lebt überwiegend in Amberg