Neubeginn nach dem Holocaust Jüdisches Leben nach 1945
Fast sechs Millionen Juden in ganz Europa wurden im Holocaust auf grausamste Weise ermordet - nur wenige konnten sich retten und wagten hier, im Land der Täter, einen Neuanfang.
Deutschland im Frühjahr 1945: Der Krieg beendet - das Land stand vor den physischen, seelischen und geistigen Trümmern von zwölf Jahren Nazi-Herrschaft. Fast sechs Millionen Juden in ganz Europa wurden im Holocaust auf grausamste Weise ermordet - nur wenige konnten sich vor den Nazis verstecken, ihre Identität verbergen oder sich rechtzeitig ins Ausland retten. In Bayern hatten 1933 etwa 42.000 Juden gelebt - von ihnen blieben nur rund 1.600 übrig. Vor Hitlers Machtübernahme hatten in München mehr als 12.000 Juden gewohnt. Nach der Shoa schrumpfte ihre Zahl auf 430. Auch nach dem Ende des Nazi-Terrors sahen sich die wenigen überlebenden Juden immer noch einer weit gehend feindlich gegen sie eingestellten Umgebung gegenüber.
"Der Rest der Geretteten"
Zu den wenigen in Deutschland überlebenden Juden kamen nach 1945 noch Tausende von so genannten Displaced Persons (DP). In Bayern zählte man im September 1946 knapp 23.000 jüdische DPs - in der Regel Flüchtlinge oder Zwangsarbeiter.
Als DPs bezeichnete man überlebende Opfer der NS-Herrschaft. Der größte Teil kam aus Polen, Ungarn, Litauen, Russland, der Ukraine oder Rumänien in die so genannten DP-Lager der amerikanisch besetzten Zone - im wesentlichen also nach Bayern.
Die meisten von ihnen hatten alles verloren: Sie besaßen weder Heimat noch Familie, weder Kleidung noch Nahrung. Sie bezeichneten sich selbst als "She'erit Hapletha", als den "Rest der Geretteten" - ein aus einem Jesaja-Wort abgeleiteter Name, der eine Gruppe verschiedenster Menschen vereinte. Den Grundstein dafür, eine in zwölf Jahren fast völlig ausgerottete Kultur wiederzubeleben, legten sowohl überlebende deutsche Juden als auch Flüchtlinge aus Osteuropa. Geprägt wurde das jüdische Leben in Bayern aber in erster Linie durch die regen Aktivitäten der Mehrheit der so genannten Ostjuden.
Dabei kämpften die neu gegründeten Kultusgemeinden zunächst gegen ein großes innerjüdisches Stigma: Der Jüdische Weltkongress hatte 1948 auf seiner ersten Nachkriegstagung die offizielle "Ächtung jüdischen Lebens in Deutschland" ausgesprochen. Man wollte die in Deutschland verbliebenen Juden zur Auswanderung bewegen. Bis in die 1960er-Jahre blieben die deutschen jüdischen Gemeinden innerhalb der jüdischen Welt weitgehend isoliert.
Hintergrund: Keine Stunde Null nach '45 - der braune Spuk lebt fort
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde die aufkeimende Hoffnung der Juden nach Gerechtigkeit und würdevoller Behandlung durch ihre Mitmenschen schnell wieder erstickt: Der Nationalsozialismus in Deutschland war zwar mit dem 8. Mai 1945 beendet, aber das braune Gedankengut längst nicht auf Kommando verschwunden.
Es lebte in den Köpfen vieler Deutscher weiter. Bis zum Ende der 1950er-Jahre durchlebte Deutschland eine spätnazistische Phase, in der sich ein anfangs versteckter Antisemitismus immer deutlicher zeigte. Manifest wurde er zum Beispiel durch Schändungen jüdischer Friedhöfe: die ersten gab es direkt nach dem Krieg, aber auch danach kam es bis heute immer wieder zu Hakenkreuz-Schmierereien auf jüdischen Gräbern. Während der größten Welle antisemitischer Aktionen im Nachkriegs-Deutschland wurden 1959 nicht nur Friedhöfe geschändet, sondern auch ein Anschlag auf die Kölner Synagoge verübt. International erregte das großes Aufsehen. Der damalige Bundeskanzler Adenauer traf sich ein Jahr darauf in New York mit dem israelischen Premier Ben-Gurion. Es war ein erster Schritt der Annäherung zwischen Israel und Deutschland. Aber erst 1965 kam es zur Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten.
Antisemitismus heute
Antisemitismus ist auch im Deutschland der Gegenwart vorhanden. Die aktuellen Studienergebnisse sind alarmierend: Laut einer repräsentativen Umfrage des Jüdischen Weltkongresses (WJC) vom Oktober 2019 denkt jeder vierte Deutsche antisemitisch. 27 Prozent aller Deutschen hegen antisemitische Gedanken, fast die Hälfte der Deutschen sind außerdem der Meinung, Juden redeten zu viel über den Holocaust.
Gleichzeitig wächst aber auch die Bereitschaft, gegen Antisemitismus vorzugehen. Ein Drittel aller Befragten würde gegen Antisemitismus auf die Straße gehen. Etwa 60 Prozent räumen ein, dass Juden einem Gewaltrisiko oder hasserfüllten Verbalangriffen ausgesetzt seien.
Bayern ist neben Brandenburg und Schleswig-Holstein eines der wenigen Bundesländer mit einer eigene RIAS-Meldestelle, also einer Recherche- und Informationsstelle für Antisemitismus. Hier werden Meldungen über antisemitische Vorfälle gesammelt und Betroffene von Antisemitismus in Bayern unterstützt.
Weiterführende Informationen: https://report-antisemitism.de/rias-bayern/