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Abschied des BR aus Buenos Aires Geschichte des ARD-Hörfunkstudios Südamerika

Montevideo, Rio de Janeiro, Buenos Aires: Fast 60 Jahre hatte der BR die Federführung für die ARD-Berichterstattung aus Südamerika. Auf der Suche nach Sicherheit für die Journalisten wechselte dabei mehrmals der Standort.

Von: Eva Corell, Redaktionsleiterin für die BR-Auslandsstudios

Stand: 15.10.2021 10:53 Uhr

Buenos Aires / Argentinien | Bild: picture-alliance/dpa

Die ARD-Berichterstattung aus Südamerika ist geprägt von einem riesigen Berichtsgebiet, vielen hervorragenden Korrespondenten und Korrespondentinnen und der immer wiederkehrenden Suche nach dem besten Standort für ein Studio. Insgesamt 15 Hörfunk-Korrespondenten berichteten im Lauf von fast sechs Jahrzehnten für die ARD im Auftrag des BR aus Lateinamerika, aus einem Berichtsgebiet, das zuletzt neun Länder umfasste: Argentinien, Brasilien, Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Paraguay, Peru und Uruguay.

Der Nordosten des Subkontinents mit Venezuela, Guyana und Surinam wird dagegen von den Kolleginnen im ARD-Hörfunkstudio Mexiko (Federführung rbb) journalistisch betreut. Die Berichtsgebiete beim Fernsehen sind anders aufgeteilt: Hier ist der SWR zuständig für Südamerika (ohne den Norden) und für Mittelamerika (Mexiko, Karibik, Kolumbien, Ecuador und Venezuela). Vier verschieden zugeschnittene Berichtsgebiete und vier verschiedene ARD-Federführungen – im Zuge der Strukturreform hat sich der BR schließlich entschlossen, im August dieses Jahres sein Studio in Südamerika aufzugeben.

1963: Ein BR-Journalist geht nach Montevideo

Hörfunktechnik aus den 80ern

Begonnen hat alles im Jahr 1963. In einem Schreiben aus der Programmdirektion des Bayerischen Rundfunks ergeht an die anderen Rundfunkanstalten folgende Mitteilung: "Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Herr Jürgen Pechel, bisher ständiger freier Mitarbeiter für den Bayerischen Rundfunk im Ausland, zum Jahresbeginn 1963 in unserem Auftrag für die ARD als Korrespondent nach Montevideo geht und den lateinamerikanischen Kontinent als Arbeitsgebiet übernimmt."

Sicherheit als wichtiges Kriterium für Standortwahl

In Montevideo richtete sich also der erste ARD-Hörfunkkorrespondent ein, in der Hauptstadt von Uruguay, dem kleinsten spanischsprachigen Land im Berichtsgebiet, und auch in einem der sichersten. Sicherheit blieb eines der wichtigsten Kriterien für die Standortwahl, angesichts von politischen Unruhen, Gewalttaten und Drogen- und Bandenkriminalität auf dem Kontinent.

Aus Montevideo berichtete Jürgen Pechel sechs Jahre lang für die ARD, bis er 1969 im Alter von nur 43 Jahren in Montevideo starb. Im BR gab es damals Überlegungen, welcher Studio-Standort wohl künftig am geeignetsten wäre. Pechels Nachfolger Walter Hanf setzte sich für einen Umzug nach Argentinien ein. Hanf schrieb im August 1969 in einem Gutachten an den damaligen BR-Chefredakteur Burghard Freudenfeld über die Arbeits- und Lebensbedingungen, die ein zukünftiger Korrespondent der ARD vorfinden würde: "Nach scharfem Kalkulieren und vielem Zögern würde ich jedenfalls Buenos Aires den Vorzug geben. In Betracht kämen allenfalls noch Santiago, Montevideo oder Lima ..."

Rio de Janeiro schien damals für Walter Hanf keine Option zu sein. 1964 hatten in Brasilien die Militärs geputscht, das Land befand sich in einer schwierigen politischen Lage. In vielen Gebieten Lateinamerikas kämpften linke Guerillas gegen ultrarechte Schwadronen, Militärjuntas beherrschten den Kontinent. Sie ließen Andersdenkende foltern, entführen und verschwinden.

Politische Unterdrückung: Korrespondent in Argentinien inhaftiert

Doch auch in Argentinien blieb es nicht ruhig. 1974, nach dem Tod von Juan Peron, versank das Land in Terror und Gewalt. Politischer Mord sei zu "einer Form des natürlichen Todes" geworden, kommentierte die Tageszeitung "La Opinión" damals. Das Ausmaß von Zensur und politischer Unterdrückung bekam auch der Korrespondent Walter Hanf zu spüren. Unter dem Vorwand, gegen nationale Sicherheitsgesetze verstoßen zu haben, wurde er inhaftiert und kam erst nach einer Woche und intensiven Bemühungen der Bundesregierung wieder frei.

Von Buenos Aires nach Rio de Janeiro

1975 kehrte Hanf nach Deutschland zurück und wieder wechselte das ARD-Studio den Standort. Vermutlich weil Hanfs Nachfolger, Karl Brugger, bereits seit einigen Jahren in Rio de Janeiro lebte und arbeitete. Als Brugger den Job als Hörfunk-Korrespondent für die ARD übernahm, behielt er seinen Wohnsitz bei und berichtete künftig aus der Stadt an der Copacabana.

Karl Brugger | Bild: BR/privat

Karl Brugger

Das sollte für ihn ein tragisches Ende nehmen. Neun Jahre blieb Karl Brugger als Korrespondent in Rio. Seine Sachen waren bereits verpackt, sein Nachfolger Ulrich Encke zur Übergabe des Studios angereist. Am Neujahrstag 1984 waren Brugger und Encke abends in Rio zu einem gemeinsamen Abschiedsessen unterwegs. Beim Verlassen des Lokals am Strand von Ipanema kam ein Mann auf sie zu und erschoss Karl Brugger. Daraufhin flüchtete er. Bis heute wurde dieser Mord nicht aufgeklärt.

Schock nach Ermordung des Kollegen

Die erste Amtshandlung des neu gekürten Hörfunkkorrespondenten Ulrich Encke war es, den Leichnam seines Vorgängers nach Deutschland zu überführen, wie er selbst später erzählte. Der Schock saß tief, Encke fühlte sich in Rio nicht mehr sicher. Er kehrte der Stadt den Rücken und mit dem ARD-Studio erneut nach Buenos Aires zurück. Und dort blieb es für die nächsten Jahrzehnte, bis zur Schließung im August 2021.

Argentinien erwies sich als sicherer Standort. Die Militärdiktatur hatte in der Folge des verlorenen Falkland-/Malvinas-Krieges mit Großbritannien abgedankt, Land und Leben entwickelten sich immer freier. Ulrich Encke schrieb ein Buch darüber (Encke, Ulrich: "8mal Argentinien", Piper; Bd. 5143: Panoramen der Welt – Taschenbuch 1991), doch nach drei Jahren in Südamerika ging er wieder nach München zurück.

Statt Studio ein Arbeitsplatz in der Wohnung eines Hochhauses

Das "Studio" war damals genau genommen ein Arbeitsplatz in der Wohnung des jeweiligen Korrespondenten. Encke hatte sich 1984 in Buenos Aires in der "Charcas 3497" eingerichtet: im 11. Stock eines Hochhauses im attraktiven Stadtteil Palermo, mit großen Glasfenstern und einem geradezu wuchernden Dachgarten mit einer echten Rasenfläche in luftiger Höhe. Kolibris und Papageien schwirrten dort herum, aber auch Herbizid-verseuchte Moskitoschwärme. Tagsüber dröhnten die Triebwerke der Maschinen vom nahegelegenen Stadtflughafen und die Motoren der Colektivos (Stadtbusse) herauf, nachts wummerte der Sound der Diskotheken in der Nachbarschaft. Wenn sich ein Gewitter mit Wolkenbruch entlud, musste der Korrespondent damit rechnen, dass es irgendwo schwallartig hereinregnete.

Assistenz und technische Unterstützung gab es nicht, die Hörfunktechnik war noch analog. Jörg Paas, der 1995 als Korrespondent in die Wohnung in der Charcas 3497 einzog, erinnert sich:

"Als einzige Agentur lief der spanischsprachige Dienst der Deutschen Presse-Agentur Zeile für Zeile in einem Laptop auf und wurde dort auf Disketten gespeichert, die man zum Auslesen auf einen anderen Computer übertragen musste. Auf Reisen habe ich das Kabel vom Hotel-Telefon in der Regel mit einem scharfen Messer gekappt und stattdessen einen Telefonverstärker mit Wählscheibe und Aufnahmegerät-Verbindung angeschlossen."

Jörg Paas, 1995 Korrespondent in Buenos Aires

2011 ein neues Hörfunkstudio

Sein Nachfolger und die einzige Nachfolgerin - Gottfried Stein und Andrea Böckmann - nutzten noch die Korrespondentenwohnung als Arbeitsplatz. Im Januar 2011 bezog Julio Segador ein neues Hörfunkstudio in der Vuelta de Obligado  im Stadtteil Belgrano, das 2016 dann Ivo Marusczyk übernahm.

Immer wieder gab es Überlegungen in der ARD, die Berichterstattung für Hörfunk und Fernsehen (für das der SWR seit 1972 ein Studio in Buenos Aires unterhielt) zusammenzuführen. 2005 war der SWR mit dem Fernsehstudio nach Rio de Janeiro umgezogen. Aber für den BR blieb Buenos Aires die bessere Alternative.

Blkick aus dem Fernster des BR-Studios in Buenos Aires | Bild: BR/Marusczyk zum Artikel BR-Auslandskorrespondent Ivo Marusczyk im Interview Adiós Buenos Aires

Ivo Marusczyk war fünf Jahre lang Auslandskorrespondent in Buenos Aires, bevor der BR das Berichtsgebiet an den SWR übergab. Im Interview erzählt Marusczyk von Gesprächsfreude und Wildwest-Methoden. [mehr]

Schließung des BR-geführten Studios im August 2021

Im Zuge einer Strukturreform stellt sich die ARD seit 2017 auch im Ausland crossmedial und zukunftsorientiert auf. Federführungen und Berichtsgebiete werden vereinheitlicht. Der BR vereinbarte mit dem SWR einen Tausch: ab 2021 übernahm der BR die Federführung für das gesamte Berichtsgebiet Griechenland (mit einem Studio in Athen), dafür verzichtete er auf die Hörfunk-Federführung in Südamerika. Die übernahm der SWR mit Standort Rio.

Damit war das BR-geführte Studio in Buenos Aires Geschichte. Ivo Marusczyk war der letzte Korrespondent und er musste sogar die dort installierte BR-Technik selbst ausbauen und nach München verschiffen. Bedingt durch die Corona-Pandemie, weil kein Techniker nach Südamerika reisen konnte.  

Seit 1.September 2021 findet die Berichterstattung für Südamerika aus einem crossmedialen ARD-Studio in Rio de Janeiro statt.