BR-Auslandskorrespondent Ivo Marusczyk im Interview Adiós Buenos Aires
Nach fünf Jahren als Auslandskorrespondent in Buenos Aires ist Ivo Marusczyk und mit ihm auch der Bayerische Rundfunk Ende August von Südamerika weggegangen. Zum 1. September 2021 hat der SWR das Berichtsgebiet übernommen. Lesen Sie hier ein Gespräch mit Ivo Marusczyk über seine Zeit in der argentinischen Hauptstadt und einen Rückblick von Eva Corell auf die fast sechs Jahrzehnte des BR in Lateinamerika, die nun zu Ende gegangen sind.
Sie kamen aus dem Hauptstadtstudio Berlin nach Buenos Aires und hatten plötzlich ein riesiges Berichtsgebiet (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador inkl. Galapagos, Kolumbien, Peru, Paraguay und Uruguay). Was waren die größten Herausforderungen und was macht den besonderen Reiz der Region aus?
Stimmt, das Berichtsgebiet ist so riesig, dass es unmöglich ist, alle Länder so gut im Blick zu haben oder auch nur so gut kennenzulernen, wie es sein sollte. Allein Brasilien ist eigentlich ein Kontinent für sich, voller Geschichten, die unbedingt erzählt werden müssen. Man muss sich letztlich immer Themen und Gebiete herauspicken, weil man gar nicht alles abdecken kann.
Das Fantastische an Südamerika ist aber, dass man in den letzten Jahren ohne Bedenken fast überall auch auf eigene Faust hinfahren konnte und dass die Menschen völlig offen ohne Scheu reden. Hier in Deutschland muss man Interviewpartner oft darum anbetteln, mehr als "Ja" und "Nein" zu sagen. In Südamerika sprudeln die Geschichten dagegen nur so aus den Leuten heraus. Und dabei bekommt man oft sehr reflektierte Sätze zu hören. Also, Südamerikaner sind eindeutig die besten Interviewpartner der Welt. Und im Gegensatz zu anderen Gegenden der Welt kommt man mit anderthalb Sprachen – also Spanisch und dem doch sehr ähnlichen Portugiesisch – bequem durch den ganzen Kontinent.
Welche Geschichte hat Sie am meisten beeindruckt
Die Wildwest-Methoden, mit denen die Indigenen vor allem in Brasilien jeden Tag vertrieben, unterdrückt und ausgebeutet werden.
Eigentlich gehört ihnen das Land ihrer Vorfahren, aber Holzfäller, Goldsucher oder Großgrundbesitzer dringen hemmungslos in ihre Gebiete ein, roden den Wald und vertreiben die eigentlichen Eigentümer des Landes. Mit denselben Methoden, die wir nur noch aus schlechten Wildwest-Filmen kennen. Dass das heute noch jeden Tag passiert, schreit zum Himmel.
Als Journalist in Südamerika zu arbeiten ist sicher unterschiedlich zu der Arbeit Ihrer Kolleginnen und Kollegen in Deutschland. Hatten Sie Einschränkungen in ihrer journalistischen Arbeit? Gab es auch Einschränkungen in der unabhängigen Berichterstattung?
Es ist viel schwieriger, an institutionelle Gesprächspartner zu kommen. Auch Pressesprecher von Ministerien oder offizielle Institutionen antworten oft nur, wenn man ihre Handynummer hat und sie direkt per Messenger anschreibt. Oder man marschiert einfach hin und steht in der Tür, dann klappt plötzlich doch alles. Einschränkungen habe ich nicht erlebt – in "meinen" Ländern konnte ich mich immer frei bewegen. Ein paar Mal gab es Hass-Post aus dem Bolsonaro-Lager. Aber harmlos im Vergleich zu dem, was andere Kolleginnen und Kollegen erleben.
Rückblick
Gab es auch Bereiche, in denen es für Sie einfacher war zu arbeiten als in Deutschland?
Die meisten Leute reden frei von der Leber weg, ohne ihre Worte acht Mal abzuwägen oder Autorisierungen einzufordern. Es hilft, dass man in Südamerika die ARD gar nicht auf dem Radarschirm hat. was in ARD-Sendern oder auf tagesschau.de oder br24.de veröffentlicht wird, wird kaum wahrgenommen, die meisten kennen nur die Deutsche Welle. Deswegen stand ich nicht so unter Beobachtung wie Korrespondenten an anderen Standorten.
Dann kam Corona. Eine ganz neue Herausforderung. Wie hat Sie das in Ihrer Arbeit getroffen?
Ganz fatal. Von einem Tag auf den anderen wurden alle Flüge und Busse gestrichen. Und als es endlich wieder Flüge gab, galten in anderen Ländern mehr oder weniger strenge Quarantäne-Regeln. Das heißt, ich musste alles von Buenos Aires aus abdecken. Und das in einem Gebiet, wo man eigentlich reisen muss, um Eindrücke zu sammeln und mit den Menschen zu sprechen. Das war ziemlich hart, plötzlich nur noch vom Schreibtisch weg zu arbeiten.
So hatte ich mir Korrespondententätigkeit nicht vorgestellt. Zumal der Lockdown in Argentinien viel härter und länger war. In den ersten Monaten durfte man nicht mal alleine Sport im Freien treiben oder durch einen Park spazieren. Selbst für den Weg zum Studio brauchte ich eine Ausnahmegenehmigung. Aber immerhin: Das Studio hat die ganze Zeit funktioniert und alle sind gesund geblieben.
Als Auslandskorri nicht in die Berichtsgebiete reisen zu können, ist wirklich hart. Noch härter war dann nur der Abschluss Ihrer Südamerika-Zeit …?
Es darf auch niemand aus dem Ausland nach Argentinien einreisen, erst im November werden diese Regeln wohl gelockert. Das heißt, es konnte kein Technik-Team anreisen, um mir zu helfen, das Studio aufzulösen.
Die Berichterstattung aus Südamerika kommt jetzt vom SWR aus Rio, ich musste also in den letzten Wochen selbst den Ast absägen, auf dem ich saß. Also tagelang Computer-Racks auseinanderschrauben, Leitungen kappen, gordische Kabelknoten durchschlagen, Möbel zerlegen. Mir war gar nicht klar, wie viele Kilometer Kabel man in ein paar Schächten und Leisten verstecken kann.
Und trotzdem musste ich das so planen, dass ich möglichst lange noch irgendwie notdürftig senden kann. Das war auch so eine Herausforderung, mit der ich nie gerechnet hätte. Aber am 30. August habe ich das Studio besenrein und technikfrei verlassen.
Sie waren fünf Jahre Hörfunk-Korrespondent des BR für Südamerika. Jetzt sind Sie wieder nach München zurückgekehrt. Was werden Sie am meisten vermissen?
Die Sprachen. Spanisch und Portugiesisch zu sprechen – zumal man im Alltag in Südamerika viel mehr reden muss als hier. Und klar, die Freiheit, als Reporter unterwegs zu sein und überall hingehen zu können, wo es interessant ist. Und dann die Geschichten zu erzählen, die man selbst gesehen und erlebt hat. Und die Kolibris, die mich auf meiner Terrasse immer besucht haben.
Auf was freuen Sie sich?
Auf die Seen und Berge. Aber vor allem darauf, das Chaos etwas hinter mir zu lassen. Argentinien hat jeden Monat so viel Inflation wie wir im ganzen Jahr. Es war zeitweise ganz schön schwierig, das Studio am Laufen zu halten. Man wusste nie, wann bestimmte Lebensmittel wieder zu haben sind.
Auf was freuen Sie sich bei Ihrer neuen Tätigkeit bei BR24 am meisten?
Nicht mehr als Einzelkämpfer vor mich selbst hin zu werkeln, sondern wieder in einem starken Team zu arbeiten.
Welche Erfahrung wird Ihnen dabei helfen?
Man lernt in Südamerika schnell Gelassenheit. Es findet sich immer irgendeine Lösung, auch wenn erst einmal alles furchtbar kompliziert scheint.