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Studio Tel Aviv Vier Wochen Extremsituation

"Die Meldungen über das Massaker der Hamas, die furchtbaren Bilder, die uns an diesem Morgen ungefiltert erreichen, übertreffen alles, was wir in unserer Zeit als Korrespondenten in Israel und den palästinensischen Gebieten erlebt haben", sagt Studioleiter Christian Limpert. Hier bekommen Sie einen Einblick in die Arbeit der Korrespondentinnen und Korrespondenten im Studio Tel Aviv..

Von: Christian Limpert, ARD-Studioleiter Tel Aviv

Stand: 09.11.2023

divers
| Bild: BR/Christian Limpert

"Das alles hier hat eine komplett neue Dimension."  An diesen Satz meiner Kollegin Sophie erinnere ich mich noch genau. Es ist der Vormittag des 7. Oktober, als wir telefonieren. Ich bin in München, erst am Tag zuvor hatte ich hier eine Israel-Doku für Arte und den BR fertiggestellt. Sophie hat Wochenendbereitschaft.

Die Meldungen über das Massaker der Hamas, die furchtbaren Bilder, die uns an diesem Morgen ungefiltert erreichen, übertreffen alles, was wir in unserer Zeit als Korrespondenten in Israel und den palästinensischen Gebieten erlebt haben.

"Ich weiß noch, wie mich meine Frau und Kollegin Bettina Meier frühmorgens geweckt hat. Raketenalarm in Herzliya! Das hatten wir noch nie! Bettina hat unseren dreieinhalbjährigen Sohn gepackt, ist mit ihm in den Schutzraum. Ich hinterher mit dem Handy, um zu checken, was eigentlich los ist. Dann habe ich kurz den Kollegen Jan-Christoph Kitzler angerufen, der aber bereits an dem ersten Bericht saß."

Julio-Segador, Korrespondent und Teamchef Radio

Jetzt. Ein Monat später.

Mehr als 44 Stunden Fernsehberichterstattung haben wir inzwischen produziert, Beiträge und Liveschalten für Tagesschauen, Brennpunkte, die Dritten, BR24. Und für die Hörfunkwellen der ARD mehr als 600 Live-Gespräche und 340 Beiträge.

"Es war zunächst mal Einsatz rund um die Uhr, über Wochen hinweg, in einer Flut von Meldungen und Falschmeldungen und inmitten von viel menschlichem Leid. Ich bin unglaublich dankbar für die Kollegialität in unserem Korrespondententeam und den Erfahrungsschatz und die Einsatzbereitschaft unserer Mitarbeitenden vor Ort."

Sophie von der Tann

Keine Frage: Ohne unsere Producer und Producerinnen, Techniker oder Dolmetscherinnen vor Ort, Israelis wie Palästinenser, wären wir so gut wie handlungsunfähig. Viele von ihnen haben jahrzehntelange Erfahrung und viel mitgemacht in der Region. Auch bei ihnen sitzt der Schock tief. Sie alle kennen Menschen, die Opfer der Terrorangriffe wurden oder die Angehörige verloren haben.

Seit dem 7. Oktober berichten wir auch über die Situation der Menschen in Gaza. Wieder sehen wir ungefilterte Bilder, das Leid, das die Angriffe des israelischen Militärs für die Menschen dort mit sich bringen. Im vergangenen Jahr haben wir dort ein neues Team freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgebaut. Junge, talentierte Journalistinnen und Journalisten, die für uns recherchieren, Interviews führen und drehen können.

Jetzt haben wir Angst um sie, wenn unsere Kollegin berichtet, dass sie mit ihrem Mann und den drei Kindern jetzt in einem Zelt lebt und ihre Radioausrüstung gegen Plünderer verteidigen muss. Wenn unser Producer Muhamad, der bislang immer so optimistisch war, der am liebsten täglich für uns Geschichten aus Gaza angeboten hätte, jetzt schreibt, dass er nur noch raus will. Von einem unserer ehemaligen Mitarbeiter haben wir seit Wochen kein Lebenszeichen mehr erhalten.

Das Arbeiten in Tel Aviv ist nach wie vor relativ sicher, Luftalarm und der vorübergehende Aufenthalt im Schutzraum mehrmals am Tag sind schon Routine, immer wieder auch während Liveschalten.

Als Team sind wir uns sehr nahe gekommen seit dem 7. Oktober. Alle übernehmen auch Aufgaben der Kolleginnen und Kollegen. So oft es geht treffen wir uns am Ende langer Tage noch einmal auf dem Studiodach. Zum Reden. Einmal hat unser Kameramann Ralph bereits spontan seinen Grill mitgebracht. "Ich hatte mal 'ne freie Minute", hat er gesagt. Dann gab es Barbecue. Für diesen Teamspirit bin ich ziemlich dankbar.

Aktuelle Produktionen des Studio Tel Aviv

Das Dok-Thema "Fremde Heimat - Vom Kibbuz nach Coburg" von Christian Limpert ist am 8. November 2023 im BR Fernsehen gelaufen.
Sophie von der Tann war zwischenzeitlich auch im BR-Funkhaus in München, um den Podcast “Lost in Nahost” aufzunehmen, ein BR Projekt, das inzwischen Platz 5 auf der Nachrichten-Podcast-Liste bei Spotify belegt.

Christian Limpert ist der Leiter des ARD-Studios Tel Aviv und Autor dieses Beitrags

Christian Limpert ist in Coburg geboren und hat an der Deutschen Journalistenschule (DJS) und der Ludwig-Maximilians-Universität studiert.
Danach war er über zehn Jahre lang als Reporter, Autor und Videojournalist für den Bayerischen Rundfunk in München tätig, vor allem für das regionale TV-Magazin Die Abendschau. Ab 2012 übernahm er regelmäßig Auslandseinsätze. 2018 baute er ein neues, crossmediales Korrespondentenbüro in seiner Heimatstadt Coburg mit auf. Von 2019 bis 2021 war er Auslandskorrespondent im ARD-Studio Wien/Südosteuropa. Seit Januar 2022 ist Christian Limpert Korrespondent und Leiter des ARD Studios Tel Aviv.


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