Dr. Johannes Grotzky nimmt Abschied "Eine seltsame Karriere"
37 Jahre arbeitete er beim Bayerischen Rundfunk. Über zwölf davon als Hörfunkdirektor. Am 30. April 2014 ging der herausragende Journalist, Publizist, Südosteuropa- und Russlandkenner, Korrespondent und Kriegsreporter Dr. Johannes Grotzky in Ruhestand.
Sein Interesse an Russland wurde in der Schulzeit geweckt. Seine Liebe zum Radio bereits in der Kindheit. Allerdings erlag er da einem gewaltigen Irrtum. Hatten ihm doch seine älteren Schwestern erzählt, dass all die Töne und Stimmen im Radio von kleinen Männchen kämen, die zu Sendebeginn aus der Steckdose durch das Stromkabel in das Gerät marschierten und am Schluss wieder zurück. Der Knabe Johannes wollte zu den Künstlern Kontakt aufnehmen und schnitt die Schnur durch. Doch rausgepurzelt kam niemand, statt dessen zischte und knallte es. Es gab einen Kurzschluss, eine verbrannte Hand und viele Tränen.
Stationen
Persönliches
Geboren: 3. Januar 1949
In: Hildesheim
Wohnort: München
Verheiratet mit: Eleanor Horn Grotzky
Kinder: Tochter Judith, Söhne: Daniel und David
Ausbildung
Studium: Slawische Philologie, Balkanphilologie und Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Universität München und Zagreb
Weitere Studienaufenthalte in Belgrad, Sarajewo und Skopje
Dissertation an der Universität München über die Morphologische Adaption deutscher Lehnwörter im Serbo-Kroatischen
BR
1977 – 1983 Presse-Lektor und Redakteur beim BR
1983 – 1989 ARD-Hörfunkkorrespondent in Moskau
1989 – 1994 Leiter des ARD Hörfunkstudios Südosteuropa in Wien
1994 – 1998 Chefkorrespondent Hörfunk, Leiter der Abteilung "Hauptstadtstudio Bonn-Berlin und Auslandskorrespondenten" beim BR
1998 – 2000 Leiter der Abteilung Politik beim BR
2001 – 2002 Chefredakteur BR Hörfunk, Leiter der Hauptabteilung Politik und Aktuelles sowie stellvertretender Hörfunkdirektor
ab 2002 Hörfunkdirektor
Lehrtätigkeit
- Seit 1996 Lehrbeauftragter am Institut für slawische Philologie und am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität München
- Seit dem Wintersemester 2012/13 Lehrbeauftragter am Institut Slawistik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
- 2014 von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg / Institut Slawistik zum Honorarprofessor für Osteuropawissenschaften, Kultur und Medien ernannt.
Auszeichnungen
(Auszüge)
- 1992 Rudolf-Vogel-Medaille der Südosteuropa-Gesellschaft für vorbildliche Berichterstattung aus dem Raum Südosteuropa
- 2002 Bayerische Staatsmedaille für soziale Verdienste
- 2006 Bayerischer Verdienstorden und Bayerische Verfassungsmedaille in Silber
- 2010 Silberner Wirbel des Bayerischen Musikrates für Engagement auf dem Gebiet der Musikförderung
Publikationen
(Auszüge)
- 1985: Gebrauchsanweisung für die Sowjetunion
- 1991: Konflikt im Vielvölkerstaat. Die Nationen der Sowjetunion im Aufbruch
- 1991: Herausforderung Sowjetunion. Eine Weltmacht sucht ihren Weg.
- 2009: Lenins Enkel – Reportagen aus einer vergangenen Welt
- 2010: Grenzgänge. Spurensuche zwischen Ost und West.
- 2011: Mit welchem Recht kämpfen wir dort? Beiträge zur Rolle der Medien in Kriegs- und Krisenzeiten.
Faszination Südosteuropa
Die Wissbegier und Neugierde blieb, hinzu kam der Drang die Welt sehen zu wollen. Anfangs im kleineren Radius als Lokalreporter der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung. Später während des Studiums der Slawischen Philologie, Balkanphilologie und Geschichte Ost- und Südeuropas zog es Grotzky nach Zagreb – es war die Zeit des Kalten Krieges und Jugoslawien der einzige, offene Ostblockstaat. Belgrad, Sarajewo und Skopje folgten. Grotzky, der unter anderem neben Englisch und Russisch auch Serbisch und Kroatisch spricht, ließ die Faszination Südosteuropa nicht mehr los. Doch die ersten beruflichen Schritte sollten so gar nicht in diese Richtung gehen.
"Der öffentlich rechtliche Rundfunk trägt zur Meinungsbildung bei. Er bringt Pluralismus in die Gesellschaft und erhält diese plurale Gesellschaft am Leben... Gesellschaftliche Pluralität als Binnenpluralismus ist das Non Plus Ultra um unsere Demokratie am Leben zu erhalten."
Dr. Johannes Grotzky
Glasnost und Perestroika aus nächster Nähe
Fragt man Johannes Grotzky nach seinem beruflichen Werdegang, bezeichnet er seine Karriere als seltsam. 1977 bewarb er sich nach Studium und Promotion beim Bayerischen Rundfunk als Presse-Lektor im Archiv. Er lernte viel, vor allem aber lernte er dort Menschen kennen, die ihn förderten. Er wurde Redakteur, arbeitete für den Hörfunk und ergriff die Chance als ARD-Korrespondent nach Moskau zu gehen. "Es war das Moskau des Kalten Krieges, des Umbruchs, eine schwierige Zeit mit Versorgungsengpässen und eingeschränkter Freiheit. Trotzdem bin mit dem Mikro auf die Straße, wollte den Alltag der Leute einfangen, keine Propaganda wiedergeben. So entstanden viele lebensnahe Reportagen. Anfangs hatte ich immer einen staatlichen Begleiter dabei, später durfte ich auch alleine im Land herumreisen." Sechs Jahre berichtete Grotzy als Russland-Korrespondent selbst aus den entlegensten Winkeln des Landes. Geblieben ist neben der großen Liebe zu dem Land, ein unglaubliches Wissen und ein anhaltender Kontakt zu Michail Gorbatschow.
"Dieses Land ist so unglaublich groß und vielfältig. Gorbatschows 'Glasnost' und 'Perestroika' mitzuerleben und zu beobachten, wie sich die Sowjetunion wandelte, das war dramatisch."
Dr. Johannes Grotzky im Interview mit Servus, dem Clubmagazin von Bayern 1
Kriegsreporter auf dem Balkan
Nach Moskau übernahm Grotzky 1989 die Leitung des ARD-Hörfunkstudios Südosteuropa in Wien. "Das Studio bestand eigentlich nur aus einem Zimmer mit Telefonleitung. Wir mussten es erst einmal aufbauen", erinnert er sich. "Das Studio ist für zehn Staaten in Osteuropa zuständig. Unser Berichtsgebiet umfasste beispielsweise Österreich, Albanien, Bulgarien, Ex-Jugoslawien, Rumänien, Ungarn. In dieser Zeit passierte wahnsinnig viel. In den Jahren 1989 bis 1991 ist die gesamte kommunistische Welt zusammengebrochen. Ich bin den Ereignissen praktisch gar nicht mehr nachgekommen. Und dann begann der Balkankrieg, über den wir vor Ort nur mit Hilfe zahlreicher weiterer Kollegen aus dem BR berichten konnten."
"Hörfunk ist das ehrlichste Medium: Einer Stimme kann man kein Makeup auflegen."
Dr. Johannes Grotzky im Interview mit Servus, dem Clubmagazin von Bayern 1
Funkhaus und Universität
1994 kehrte Grotzky zurück ins Funkhaus nach München. Er wurde Chefkorrespondent Hörfunk und Leiter der Abteilung "Hauptstadtstudio Bonn-Berlin und Auslandskorrespondenten". Neben seiner Tätigkeit beim Bayerischen Rundfunk war er Lehrbeauftragter am Institut für slawische Philologie und am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität München.
1998 bekam Grotzky beim Bayerischen Rundfunk die Leitung der Abteilung Politik übertragen, 2001 wurde er Chefredakteur BR-Hörfunk, Leiter der Hauptabteilung Politik und Aktuelles sowie stellvertretender Hörfunkdirektor. Noch im selben Jahr stimmte der Rundfunkrat der Berufung zum Hörfunkdirektor zu. Dieses Amt übernahm Grotzky am 1. Januar 2002.
"Stillstand darf es nie geben, denn nichts ist flüchtiger als der Erfolg von Radio und Fernsehen."
Dr. Johannes Grotzky im Interview mit Servus, dem Clubmagazin von Bayern 1
Honorarprofessur statt Ruhestand
Wenn Dr. Johannes Grotzky Ende April den Bayerischen Rundfunk verlässt, ist von Ruhestand keine Rede: Seit März 2014 ist er Honorarprofessor für Osteuropawissenschaften, Kultur und Medien am Institut für Slawistik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, an der er bereits zuvor einen Lehrauftrag hatte. Zudem ist Grotzky leidenschaftlicher Publizist und gilt als gefragter Redner zu Russland. Wenn dann noch ein bisschen Zeit bleibt, plant er zu reisen und vielleicht sogar noch ein paar Sprachen zu lernen.