Porträt Martin Wagner Ein Radiomann schaltet das Mikro aus
Nach über 40 Jahren sagt Hörfunkdirektor Martin Wagner dem Bayerischen Rundfunk ade und geht in den Ruhestand. Er prägte den BR-Hörfunk in Zeiten des Wandels mit großer Gradlinigkeit und Besonnenheit.
Als "gradliniger" Typ, den kaum etwas aus der Ruhe bringen kann. So wird Martin Wagner beschrieben - in einem Zeitschriften-Artikel aus dem Jahr 1983, am Anfang seiner BR-Karriere.
Es scheint, als hätten Martin Wagner rund 40 Jahre Bayerischer Rundfunk nicht wirklich verändert, zumindest nicht verbogen. Auch heute sagt er: "In der Ruhe liegt die Kraft. Das Wetter wird auch nicht besser, wenn ich mich darüber ärgere".
Martin Wagner (ganz rechts) und die Bayern 3-Morgentelegramm-Mannschaft in den 1980ern. (Für mehr Infos aufs Bild klicken)
Wagner, der 1954 als Sohn eines Pfarrers in Würzburg zur Welt kommt, schlägt früh zielstrebig den Weg in den Journalismus ein: Er sammelt erste redaktionelle Erfahrungen bei der Schülerzeitung und der lokalen Tages- und Stadtzeitung. 1979 startet er als Redakteur bei der damaligen Welle Mainfranken des BR (heute: BR-Regionalstudio Mainfranken in Würzburg). Mit im Reisegepäck: eine gute Portion Abenteuerlust.
Von Würzburg aus in die Welt
Denn der Weg führt ihn 1982 nicht nur von Würzburg nach München, wo er den Zeitfunk sowie das Bayern 3-Morgentelegramm moderiert, sondern wenige Jahre später auch als Vertretung für die ARD-Korrespondenten nach Tel Aviv und London. Die Station in Großbritannien macht ihn besonders glücklich: "Mein damaliger Chef Udo Reiter, später Chef des MDR, hat mich dorthin geschickt. Von dort hatte einst Charlie Weiss für des ZDF berichtet. Der war ein Korrespondenten-Urgestein und sowas wie ein Vorbild für mich. Das war für mich das Höchste", erzählt Wagner.
Dabei sollte noch Einiges kommen. Später werden aus den Vertretungen eigene Korrespondenten-Posten. Zunächst geht es 1989 für Wagner erneut in den Nahen Osten, nach Israel, wo er bis 1996 das ARD Hörfunkstudio in Tel Aviv leitet. Es sind Jahre, die ihn prägen, später schreibt er Bücher über Israel und den Beruf des Auslandskorrespondenten.
Ein Schmerz - und das passende Gegenmittel
Zu berichten gibt es viel. Es ist die Zeit des Zweiten Golfkriegs, in der Israel vom Irak immer wieder mit Raketen beschossen wird und Wagner mit Gasmaske aus dem Luftschutzkeller berichten muss.
1996 wechselt Wagner für fünf Jahre als stellvertretender Hörfunk-Nachrichtenchef zurück nach München, bevor es ihn und seine Familie erneut in die weite Welt zieht, als ARD-Hörfunk-Korrespondent in die USA. "Uns packte damals wieder das Fernweh, und Washington war das passende Mittel, den Schmerz zu lindern. Freundlicherweise verordnet vom BR", erzählt Wagner in einem Interview.
Seine Gelassenheit kann er auch dort wieder gut gebrauchen – zu seinen ersten Themen, nur wenige Tage nach Dienstbeginn am 1. September 2001, zählen die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon.
2007, nach seiner Rückkehr nach Deutschland folgt die stellvertretende Leitung der Hörfunk-Abteilung "Nachrichten und Verkehr", später übernimmt der Vater zweier Töchter die Leitung der Redaktion "Politik, Studios Berlin und Ausland".
Ein Botschafter Frankens im BR
Kulturelle Unterschiede und verschiedene Mentalitäten zu verstehen und zu vermitteln, im BR ist diese Kompetenz gewiss kein Nachteil. Auch nicht für die Leitung des BR-Studio Frankens, die er 2009 (und 2019 nochmals kommissarisch) übernimmt. In einem Aufsatz "Wir sind keine Bayern – die Sonderrolle der Franken" schreibt er über seine Heimat: "Franken ist nun mal kleinteilig, darin liegt der Charme, den seine Bewohner allerdings gerne übersehen, da sie sich vorzugsweise kleiner machen, als sie sind. Die fränkische Bescheidenheit kollidiert deshalb immer wieder mit der altbayerischen Großspurigkeit."
Martin Wagner mit seiner Ehefrau Angelika Vetter-Wagner auf der Fastnacht in Franken in Veitshöchheim 2013
Großspurig wirkt Wagner sicherlich nicht. Bescheiden allerdings auch nicht – zumindest nicht, wenn es um die Ansprüche an das Studio Franken geht, das er zu einem produktionstechnischen Vorreiter innerhalb des BR ausbaut. In seiner Zeit entsteht etwa das trimediale Produktionszentrum AktZent, auch beim Thema Videojournalismus probieren die Franken viel aus, was erst später in anderen Redaktionen umgesetzt wird. Das Studio Franken dürfe durchaus selbstbewusst auftreten, immerhin stehe es "exemplarisch für die regionale Kompetenz des BR", sagt Wagner.
Nahbarer Hörfunkdirektor in Zeiten des Medienwandels
Den größten Karriereschritt macht Wagner 2014, als er die Nachfolge von Johannes Grotzky als Hörfunkdirektor antritt. Dass er neben den Hörfunkwellen auch für die BR Klangkörper zuständig ist, ist für den leidenschaftlichen Konzertgänger eher Vergnügen als Pflicht. "Das war eine echte Bereicherung. Wenn ich gesagt habe, dass ich für die Rundfunkorchester, das Symphonieorchester und den Chor zuständig bin, hieß es immer: Oh, toll! Da merkt man, was der BR für ein Pfund hat", sagt Wagner.
Zu den einschneidensten Veränderungen seiner 40-jährigen Zeit beim BR zählt für Martin Wagner vor allem die Aufstellung nach Inhalten, der Kern des BR hoch drei-Prozesses, aber auch die Fragmentierung des Publikums, das gerade im Netz nach Inhalten sucht, wo der Absender oft kaum eine Rolle mehr spielt.
Diese Veränderungen prägen seine Zeit als Hörfunkdirektor. Und Wagner gestaltet den Wandel aktiv mit: Er treibt den "trimedialen" Umbau des Hörfunks voran, besonders das Digitale wird immer wichtiger. Eines seiner größten Verdienste ist die erfolgreiche Umsetzung der "Wellenstrategie Hörfunk", also die Weiterentwicklung der Wellen sowie die Positionierung innerhalb der Sender-Flotte. Wagner hat dabei einige Herausforderungen zu bewältigen, etwa die hitzigen Diskussionen um den - am Ende abgesagten - Frequenztausch von BR Klassik und Puls oder die Verlagerung der Volksmusik in den Digital-Kanal "BR Heimat".
"Mein Motto: Man muss die Leute mögen. Die liebsten Kolleginnen und Kollegen waren mir immer die, mit denen man reden konnte. Und ich denke, mit mir konnte man auch immer reden."
Martin Wagner
Neuorganisation und "Stabstelle Hörfunk"
Der Umbau und die Neupositionierungen gelingen, der Hörfunk steht hervorragend da, was Media-Analysen immer wieder bestätigen. Doch vollendet ist der Wandel am 1. Juli 2020 mit dem Eintritt Wagners in den Ruhestand längst nicht. Die Veränderung tritt vielmehr in eine neue Phase: Wagner ist der letzte Hörfunkdirektor, der Hörfunk wird neu organisiert und die entsprechenden Programmbereiche fließen dann in die neu aufgestellten Programmdirektionen Informationen und Kultur. Eine neu eingerichtete "Stabstelle Hörfunk" soll die starke Position des Hörfunks absichern und weiterentwickeln, geleitet wird sie von Wagners bisherigem Stellvertreter Walter Schmich (Programmbereichsleiter Bayern 1, Bayern 3 und PULS).
"Martin Wagner zeichnen seine hohe Integrität, seine Besonnenheit und seine große Herzlichkeit besonders aus. Wo immer er war, hat er den BR und die Ideale unseres Hauses bestens vertreten. Mit seiner Arbeit hat er Großes geleistet und vielen Menschen viel gegeben. Persönlich habe ich sehr gerne mit ihm zusammengearbeitet und werde ihn als Mitglied der Geschäftsleitung vermissen."
Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks
"... nicht so wichtig."
Wenn der 65-Jährige nach rund vier Jahrzehnten in den Ruhestand geht, übrigens fast zeitgleich mit seiner Frau Angelika, die beim BR den Internationalen Programmaustausch Hörfunk leitet, will er es tatsächlich mit "Ruhe" angehen. Ein Buch mit Interna sei sicher nicht geplant, verspricht er. Das würde auch nicht passen zu dem Franken, dessen Motto ist: "Nimm dich selbst nicht so wichtig."