Interview mit Martin Wagner "Ich bin jeden Tag gerne zur Arbeit gegangen"
Wenn BR-Hörfunkdirektor Martin Wagner am 1. Juli in den Ruhestand geht, blickt er auf über 40 Jahre beim Bayerischen Rundfunk zurück. Ein Interview mit dem Unterfranken, was ihm aus dieser Zeit in Erinnerung bleibt.
Herr Wagner, Sie waren über 40 Jahre beim BR, Ihr letzter Arbeitstag ist der 30. Juni - eigentlich ein Anlass für eine große Abschiedsfeier.
Ja, aber wegen Corona ist das leider nicht möglich. Ich gehe ja fast zeitgleich mit meiner Frau, die beim BR den Internationalen Programmaustausch Hörfunk leitet, in den Ruhestand. Wir beide hätten wirklich gerne sehr viele Leute eingeladen. Das ist schade nach so vielen Jahren, aber wir wollten auch keinen Abschied nur per Video machen. Aber vielleicht haben wir im Herbst noch die Chance, uns mit einer Feier zu verabschieden.
Sie lieben das Radio, sind ein leidenschaftlicher Hörfunk-Journalist. Was begeistert Sie an diesem Medium so?
Radio war immer schnell, auch wenn Internet heute noch schneller ist. Es ist sehr direkt und kann gut Emotionen und Persönlichkeit transportieren. Und es ist nicht ganz so intim wie Fernsehen. Meine Nase muss ich nicht unbedingt in die Kamera halten, was ich trotzdem ab und zu tun musste. Im Radio habe ich mich aber immer viel wohler gefühlt.
Ihr journalistischer Weg führte Sie von der Würzburger Stadtzeitung bis zum BR Hörfunkdirektor. Was hat Sie an dem Beruf so gepackt?
Journalismus ist ein wunderbarer beruflicher Vorwand, um die eigene Neugierde zu befriedigen. Das war über die Jahre immer meine Motivation.
Dabei muss die Grundeinstellung eines Journalisten immer sein: A.) neugierig und B.) unvoreingenommen. Ich habe auch mit Leuten Interviews geführt, die ich politisch oder menschlich nicht besonders sympathisch fand - aber es war immer spannend. Zum Beispiel habe ich in den USA mit Leuten vom Ku-Klux-Clan gesprochen, die man mit Fug und Recht als Rassisten bezeichnen kann. Aber man kann sie fragen: Was macht ihr hier? Wie kommt ihr auf diese Ideen? Da muss man sich mit seiner eigenen Meinung zurücknehmen, was ich - glaube ich - immer getan habe.
Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Reportage?
Meine erste Reportage mit einem Tonbandgerät, ein richtig großes Teil damals, führte mich Ende der 70er nach Bad Kissingen. Ich sollte eine Reportage über Kur in Bad Kissingen machen und mit dem dortigen Kur-Direktor sprechen. Vorher wurde mir gesagt: 'Der weiß schon, wie's geht', weil er offensichtlich schon mal interviewt wurde. Aber ich hab's dann auch relativ schnell begriffen, sonst hätte man mich ja nicht weiter arbeiten lassen.
Offensichtlich. Sie waren dann jahrelang in unterschiedlichen Ländern als Auslandskorrespondent tätig. Was hat Sie am Berichten aus dem Ausland so fasziniert?
Zum einen die Herausforderung und das Privileg, sich mit Haut und Haaren auf ein Land und die dort lebenden Menschen einzulassen. Ich war ja auch mal Reporter bei den Olympischen Spielen oder bei Parteitagen. Da fährt man einfach hin und berichtet.
Ich bin ein großer Anhänger der Korrespondentensystems der ARD, im Hörfunk wie im Fernsehen. Es ist was anderes, wenn tatsächlich Menschen vor Ort leben und eine Region dadurch anders wahrnehmen, als wenn man nur mal hinreist.
Man braucht allerdings eine Familie, die das mitmacht, da bin ich meiner Frau und meinen Töchtern sehr dankbar. Eine Tochter wurde ja in Israel geboren. In einem orthodoxen Krankenhaus, da durfte man als Mann nicht überall rein. Das sind Erfahrungen, die man sonst nie machen würde.
Zu Ihren Themen zählten etwa in Israel 1991 der Golfkrieg oder in Washington die Anschläge am 11. September 2001. Hatten Sie auch mal Angst?
Angst nicht, aber es gab schon unangenehme Situationen. In Israel zur Zeit des Golfkriegs zum Beispiel, als das Land vom Irak aus mit Raketen beschossen wurde, gab es die Befürchtung, dass es einen Gasangriff gibt. Ich habe dann mit Gasmaske aus dem Luftschutzkeller berichtet, das war schon bedrückend.
Aber ich nehme mich da auch nicht so wichtig. Ich bin als Journalist ja nur der Transportriemen, um das zu berichten, was ich sehe und höre, nicht, um meine Gefühle zu schildern. Ich wurde mal gefragt: Wie ging es Ihnen am 11. September? Ich habe gesagt: Keine Ahnung, ich hatte viel zu tun.
Viel zu tun hatten Sie später sicher auch, als Sie immer mehr Management-Aufgaben übernommen haben. Eigene Beiträge konnten Sie da selbst aber nicht mehr machen ...
Ich habe immer gesagt, dass es meine Aufgabe ist, sowohl als Studioleiter in Nürnberg als auch als Hörfunkdirektor in München, den Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeiten zu bieten, guten Journalismus zu machen. Mit anderen Worten: "Ich mach nix. Ich sorg' dafür, dass ihr machen könnt."
Die Bedingungen dafür waren nicht immer einfach. Wir wissen alle um die Sparrunden. Aber sonst hätte ich gesagt, dass ich für "optimale Bedingungen" sorge. Nein, "optimal" sind sie oft nicht mehr gewesen. Aber ich habe dafür gesorgt, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das, was journalistisch notwendig, sinnvoll und gut ist, auch machen konnten.
Als Leiter des Studio Frankens haben Sie den Anspruch der Franken immer auch öffentlich thematisiert. Sehen Sie sich ein wenig auch als einen Botschafter Frankens?
Ich habe das immer gerne gemacht. Franken kann schon selbstbewusst innerhalb Bayerns und beim BR auftreten und ab und zu muss man den Münchnern und Oberbayern sagen, wenn man München Richtung Norden verlässt und hinter der Allianz Arena steht, dann kommt noch ganz, ganz viel Bayern.
Ich habe auch immer wieder gesagt, Freunde, schaut auf die Regionen. Und wenn man es genau nimmt, dann ist das in den letzten Jahren im BR ja auch umgesetzt worden. Es wurde die Regionalberichterstattung ausgebaut, es gibt mehr Korrespondenten in Bayern. Das Studio Franken spielt im Vergleich zu anderen Regionen eine wichtige Rolle, aber ich finde das OK. Vielleicht bin ich als Unterfranke da aber auch etwas regionalpolitisch gefärbt.
Nun sind Sie der letzte Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks. Ihre Direktion wird es ab 1. Juli nicht mehr geben, sie geht in den neuen Programmdirektionen Kultur und Information auf. Der Hörfunk bleibt aber weiterhin eine wichtige Säule mit einer eigenen Stabstelle. Wie muss sich der Hörfunk entwickeln, damit er auch in Zukunft erfolgreich bleibt?
Zum einen steht der Hörfunk aktuell ja sehr gut da, wir haben keine massiven Verluste und erreichen mit unseren Radioprogrammen ganz viele junge Menschen. Gleichzeitig müssen wir uns auf den Weg in die digitale Welt machen und haben das mit unseren Wellen ja auch schon getan. Das leicht Nutzbare, dass ich morgens das Radio einschalte und sagen kann: jetzt höre ich mein Programm, dieses wird noch geraume Zeit weitergehen, da bin ich relativ sicher, weil es so bequem und einfach ist.
Das andere sind die speziellen digitalen Angebote. Ich nenne hier nur mal "Ich, Eisner!", ein wirklich herausragendes Angebot zur Revolution in Bayern, das viele junge Leute und Schulklassen erreicht hat. Das können wir also auch. Und wenn wir das gut weitermachen, dann habe ich keine Angst um Radio/Audio.
Was werden Sie vermissen, wenn Sie an Ihre Zeit beim Bayerischen Rundfunk zurückdenken?
Außer Kolleginnen und Kollegen – nix. Nach über 40 Jahren freue ich mich durchaus darauf, nix und was anders zu machen. Ich werde keine Sitzungen vermissen, aber eben Kolleginnen und Kollegen. Ich habe mich beim BR immer sauwohl gefühlt. Egal, ob in Würzburg oder im Aktuellen in München. Und ich habe immer gesagt: Ich arbeite gerne furchtbar viel für den Bayerischen Rundfunk, aber ich muss nicht jeden Tag da sein. Deswegen waren auch meine Auslandsjobs Traumjobs für mich. Ich bin eigentlich jeden Tag gerne zur Arbeit gegangen.
Sie geben im Ruhestand doch sicher keine Ruhe. Was haben Sie sich vorgenommen?
Ich hoffe, dass bald wieder mehr private Begegnungen möglich sind. Lesen, Musik hören, unterwegs sein, es wäre schon die eine oder andere Reise geplant gewesen, aber ich muss mich jetzt auch nicht sofort in einen voll besetzten Flieger setzen.
Ich habe keinen Masterplan, dass ich zum Beispiel ein Buch über den Bayerischen Rundfunk schreibe. Es muss keiner Angst haben, das kommt nicht! Ich habe ja nichts Negatives zu berichten. Von daher werde ich den Ruhestand genießen. Die letzten 40 Jahre habe ich schon jeden Tag acht Stunden für den BR gearbeitet, manchmal auch etwas mehr. Und jetzt gucke ich mal, ich kann gut auch mal nichts tun.
Was wünschen Sie dem BR?
Ich wünsche ihm, dass er weiterhin auf dem Medienmarkt, der sich rasant verändert, der wichtigste Player in Bayern bleibt. Ich glaube, das Potential hat er. Gerade in der Corona-Zeit hat der BR gezeigt: Wir haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die es können.