audience:first – storytelling lab Talentschmiede für innovative Serienformate
Eine eigene Serie realisieren, das ist das Ziel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des audience:first – storytelling lab. Eine Woche Workshop liegt hinter ihnen und ein Sommer der Storyentwicklung. Aber konnten alle beim Pitch Ende September mit ihrer Serie auch das Interesse der Produzenten wecken?
Annette Lober liegt eine Geschichte am Herzen, die sie gerne als Serie produzieren möchte. Eine Geschichte, die sie selbst betrifft und viele andere auch. Ihre Bewerbung umfasst ein paar kurze Sätze zur Story, was sie so besonders macht, eine knappe Figurenskizzierung und einen interessanten Lebenslauf zu ihrer Person. Das überzeugt die Jury und die Fränkin bekommt den Zuschlag für die Teilnahme am diesjährigen audience:first – storytelling lab unter Beteiligung des BR.
audience:first – storytelling lab
Das lab ist eine Initiative von vier führenden bayerischen Medieninstitutionen – dem Bayerischen Rundfunk, der Drehbuchwerkstatt München, dem Seriencamp und der HFF München (Hochschule für Fernsehen und Film). Die Talentschmiede sucht jedes Jahr Autorinnen und Autoren für zielgruppenorientierte Serien, dokumentarisch und fiktional. In einem mehrtägigen Workshop entwickeln die Teilnehmenden eine bestehende Idee bis zu ihrer Umsetzung. Ziel ist es, das Ergebnis dann erfolgreich auf den Markt zu bringen. Dafür bietet das lab Unterstützung durch digitale Distributions- und Marketingstrategien sowie Vermittlung an potentielle Produktionsinteressenten.
Creators, Contributors und Talente
Annette kommt aus Ansbach und bringt schon reichlich Medienerfahrung mit. Sie ist Schauspielerin und Drehbuchautorin. "Care Less! Ein kranker Mensch muss rentabel sein", so der Arbeitstitel ihrer eingereichten Story, ist eine Serie darüber, was passiert, wenn die Eltern plötzlich zum Pflegefall werden. Durch den Unfall ihrer Mutter ist sie selbst betroffen und bekommt durch die Pflege in der Familie einen guten Einblick in den Bereich. Sie will das Thema authentisch erzählen, in einem eher unterhaltenden Erzähl-Grundton, um die Alltagskomik nicht zu unterschlagen: "Eigentlich ist die Ausrichtung des labs ja 'near future', bei meiner Einreichung aber wohl eher 'near death'", meint sie lachend. "Meine Serie soll unterhaltsam sein, aber auch die gesellschaftskritische Relevanz hervorheben", definiert Annette die Ausrichtung.
Sie ist eine der fünfzehn Teilnehmenden in dem Storytellinglab, das fünf Tage im Juli in der HFF in München stattfindet. Sie nimmt als sogenannter Creator an dem Workshop teil. Insgesamt sind es sechs Entwickler. Sechs weitere Teilnehmer stehen als Contributors zur Seite. Sie begleiten die Creators und helfen ihnen, ihre Ideen weiter zu entwickeln. Drei der Teilnehmenden sind als Talente dabei.
Immer ganz nah an der Zielgruppe
Nutzeranalyse und Stoffentwicklung mit Blick auf die Zielgruppe bestimmen auch die ersten beiden Tage des Workshops. In diesem Jahr ist es die Zielgruppe Generation Z (die Jahrgänge der ca. zwischen 1995 und 2009 Geborenen), die erreicht werden soll. Uljana Kosarew, Partner Managerin aus der Abteilung Content Strategy der ARD, berichtet über Formatentwicklung mit Blick auf anvisierte Zielgruppen und Ausspielwege. Sie spricht über Nutzerverhalten und erzählt, was gerade auf dem Markt gesucht wird.
Sabine Feierabend vom SWR stellt die Mediennutzung junger Zielgruppen vor. Die Referentin für Medienforschung & Analytics forscht unter anderem in der Generation Z über unterschiedliche Formate und unterstützt Redaktionen bei der zielgruppengenauen Formatentwicklung. Praktische Tipps bekommen die Teilnehmenden von Matthias Thönnissen. Der Autor und Regisseur erzählt, wie er seine Stoffe "Schlafschafe" und "Normaloland" entwickelt hat.
Bedürfnisse der Menschen erfahren
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können schon früh ihre Serienideen mit Vertretern der Zielgruppe testen. Julia Pater aus der Programmdirektion Kultur | Mediathek - Digitale Entwicklung im Bayerischen Rundfunk führt die Gruppe in den Bereich Nutzerbefragung ein. "Wir versuchen die Bedürfnisse der Menschen herauszubekommen. Wollen sie Unterhaltung, Inspiration, Eskapismus? Dabei arbeiten wir mit Sinus-Milieus: Wie leben die Nutzer, wie sehen sie diese Welt, welche Werte haben sie, wie lassen sie sich unterhalten? Je mehr man über sie weiß, desto besser können Produkt und Lösung entwickelt werden", erklärt Pater. Sie begleitet die Teilnehmer, die in kleinen Gruppen ihre Interviews mit ausgewählten Nutzern führen.
Annette ist gespannt, wie sie die junge Zielgruppe für ihre Story abholen kann. Die Befragung zeigt, dass die Nutzerin aus der anvisierten Zielgruppe an dem Thema sehr interessiert ist.
Häusliche Pflege gehe eben jeden an. "Wenn ich über meine Serien-Idee in meinem Umfeld erzählt habe, bekam ich oft auch kritische Rückmeldung. Das hat mich noch mehr angespornt, das Thema unterhaltsam zu erzählen. Und die Rückmeldungen aus den Nutzerinterviews haben mich bestätigt, dass es möglich ist", meint sie. So hält Annette an ihrem Plan fest, der Leichtigkeit, dem skurrilen Humor, der sich in solch einer Situation auch abspielt, Raum zu geben. Sie will aus der Perspektive der Angehörigen die Dynamik in der Familie unter dieser Belastung herausarbeiten, aber auch informieren.
Für viele der Teilnehmenden ist die Nutzerzentrierung eine sehr gewinnbringende neue Erfahrung. So auch für Nancy Mac Granaky-Quaye. Sie entwickelt eine erfolgversprechende Coming-of-Age-Vampire-Dramedy mit historischem Bezug. Die Autorin und Regisseurin hat schon einige Produktionen erfolgreich umgesetzt, dennoch ist nutzerorientiertes Arbeiten für sie neu und "dass man mit der Zielgruppe Interviews führt, um ihre Bedürfnisse zu erfahren und diese Informationen versucht, mit in die Geschichte einzubauen", erzählt sie. Die Nutzerbefragung bringe ihr viel für ihre weitere Stoffentwicklung, sie fühle sich aber auch in ihrem Plot bestärkt.
Generalprobe für den großen Pitch
Ab Mitte der Woche arbeiten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann konkret an ihren Pitches. Es wird entwickelt, diskutiert, verworfen, neu gedacht. Bei einem letzten Übungspitch kommt es darauf an, in sehr kurzer Zeit prägnant die Essenz der Geschichte rüberzubringen. Die Creators unterziehen ihre Stoffe nochmal einem letzten Nutzertesting. In der abschließenden Masterclass bewertet schließlich Lasse Scharpen, Geschäftsführer und Produzent der "Studio Zentral" und "Network Movie Film- und Fernsehproduktion", die einzelnen Projekte.
"Wir denken den Markt voraus und nehmen Entwicklungen auf. Wir wollen das Zukunftsthema 'Digitale Information und Unterhaltung' in Deutschland stärken. Dazu soll eine neue Generation von Medienschaffenden und Erzählern ausgebildet bzw. weitergebildet werden, die in einem engen Austausch mit möglichen Auftraggebern und Verwertern innovative Webserien entwickeln kann."
Matthias Leitner, Programmdirektion Kultur | Mediathek - Digitale Entwicklung im BR, Leiter des audience:first – storytelling lab
Die Mischung aus Lernen von den Profis, Ideen-Entwicklung im Team und Netzwerken ist es, die dieses lab so einzigartig macht. Als Design-Sprint angelegt, ist audience:first vieles: ein Auf und Ab der Emotionen, Bootcamp mit Spielwiese, gemeinsames Ausprobieren mit fokussierter Formatentwicklung - vor allem aber für alle Beteiligten ein Riesenspaß, bei dem sie mit großer Begeisterung dabei sind.
Das Beste kommt zum Schluss
Beim Pitch Ende September wird es dann noch einmal spannend: Alle Creators präsentieren in einem Online-Meeting ihre entwickelten Serien. Viele der Projekte stoßen bei den eingeladenen Filmproduzenten auf großes Interesse. Auch die Serie von Annette "Care Less! Ein kranker Mensch muss rentabel sein", bekommt sehr viel Zuspruch. Die nächste Zeit gilt es nun für die Autorin die Anfragen zu sichten und sich für mögliche Kooperationspartner zu entscheiden. Auch für Nancy verläuft der Pitch sehr gut. Sie kann sich über mehrere interessierte Produktionsfirmen freuen. Doch auch bei ihr ist die letzte Entscheidung noch nicht getroffen, mit welchem Produzententeam sie ihre Vampir-Serie möglicherweise umsetzen möchte.