Filme aus dem Archiv sichern "Jede Filmrolle hat ihre eigene Geschichte"
Zum Geburtstag von Senta Berger laufen drei Folgen der Serie "Dr. Schwarz und Dr. Martin" im BR Fernsehen. Das Ausgangsmaterial aus den 1990er Jahren wurde dafür aus dem Archiv geholt und neu bearbeitet. Was genau steckt dahinter? Das erklärt Robert Scharlach von der Filmsicherung des BR.
Herr Scharlach, Sie haben mit der Abteilung Filmsicherung das alte Filmmaterial "aufgehübscht". Warum war das bei diesen Filmen notwendig?
Robert Scharlach: Die Filme sind von 1994. Seitdem liegen sie bei uns im Lager. Da verklebt das Material ein wenig, beziehungsweise Schmutz und Staub können in das Material gelangen. Und in HD sieht man den ganzen Schmutz noch viel deutlicher als bei SD.
Wie wird das Material denn idealerweise gelagert?
Dunkel und kühl. Top wären Temperaturen knapp unter Null. Unser Premium-Material lagern wir in Potsdam beim Deutschen Rundfunkarchiv ein, bei vier Grad und einer konstanten Luftfeuchtigkeit von 30 Prozent. Die Konstanz ist eigentlich das Wichtigste. Je weniger sich Luftfeuchtigkeit und Temperatur verändern, desto besser ist das für das Filmmaterial.
Auf welchem Ausgangsmaterial befanden sich die Folgen von "Dr. Schwarz und Dr. Martin"?
Unser bestes Ausgangsmaterial bei den Bildern war Negativmaterial 35 Millimeter. Die Besonderheit vom Film ist ein gewisses Filmkorn, dass das Auge heutzutage wegen HD und den hochauflösenden neuen Formaten nicht mehr gewohnt ist. Wenn man heute Bilder in HD aufzeichnet, sehen sie anders aus. Sie sind glatter.
Wäre das alte Material also zu pixelig gewesen für unsere Sehgewohnheiten?
Es wäre nicht zu pixelig. Von der Auflösung her erreicht der 35 Millimeter-Negativfilm 4K, aber er hat einen eigenen Charakter. Das geschulte Auge erkennt es. Es wirkt zwar nicht pixelig oder ruckelig. Aber die Schwenks sind zum Beispiel anders und es hat einfach einen anderen Charakter. Beim Material gab es aber noch eine Besonderheit.
Welche?
Die ersten Folgen der Serie wurden im 4:3- und 16:9-Format gedreht. Bei der digitalen Bearbeitung wurde hineingezoomt und in 16:9 bearbeitet. Es war eine der ersten Produktionen mit dem damals noch neuen Bildseitenverhältnis.
Und wie haben sie die Folgen von "Dr. Schwarz und Dr. Martin" jetzt bearbeitet?
Die Bearbeitung läuft so: Zuerst holen wir das Material aus dem Lager und archivieren es in unserer Fernseharchiv-Datenbank (FESAD). Dann geht es zu den Filmrestauratorinnen und -restauratoren, die mit der manuellen Restaurierung beginnen. Sie sehen sich zuerst das Material oberflächlich an, in welchem Zustand es ist. Zuerst entfernen sie starke Verschmutzungen. Im Anschluss legen sie die Bildrollen in einen Umroller ein.
Was ist ein Umroller?
Der Umroller ist quasi die schonendste Methode, die Filmrolle abzuwickeln, da er über Umlenkrollen ohne Zahnkranz läuft. Es gibt ganz unterschiedliche Umroller - solche mit einer Handkurbel. Oder elektronische Geräte, die wesentlich mehr Einstellungsmöglichkeiten bieten, wie etwa die Steuerung der Geschwindigkeit oder die Stärke der Wickelung.
Da das Negativmaterial sehr empfindlich ist, arbeiten die Kolleginnen und Kollegen immer mit Handschuhen und viel Feingefühl, um das weiche Material nicht zu verschrammen. Sie prüfen alle Klebestellen auf ihre Stabilität und bessern sie eventuell nach - die einzelnen Szenen wurden früher mit einem sehr stark klebenden Filmkitt aneinandergehängt. Sie entfernen Verschmutzungen, kontrollieren und bessern die Perforation aus. Und noch vieles mehr, damit die Rolle problemlos durch den Scanner läuft.
Welche Arbeitsschritte folgen daraufhin?
Die Filmrollen werden zu unserem Dienstleister "Studio Hamburg" geliefert, wo das Material gescannt wird. Das heißt: Von jedem Frame auf dem Film wird ein Foto von einer Hochleistungskamera geschossen und als DPX-Datei gespeichert. Der Scanner schafft circa 15 Bilder pro Sekunde, also etwas mehr als die Hälfte der Echtzeit. Das Filmmaterial läuft über Umlenkrollen in ein Behältnis, das mit dem Lösemittel Perchlor gefüllt ist. In diesem Behältnis werden die Fotos geschossen, damit die Schrammen, die sich eventuell auf dem Trägermaterial befinden, nicht mehr sichtbar sind. Die Flüssigkeit füllt die Schramme auf. Durch die gleiche Dichte wie das Filmmaterial wird das Licht nicht gebrochen und die Verletzung ist unsichtbar.
Bei der digitalen Bearbeitung wird der Film dann zu neuem Leben erweckt.
Muss der Ton auch noch bearbeitet werden?
In diesem Fall nicht, da der Ton digital bearbeitet wurde. Aber im Normalfall sind Bild und Ton zu digitalisieren. Wenn wir ein Perfo- oder Magnetband haben, müssen wir die separaten Tonrollen synchron anlegen.
Wie viele Filme lagern aktuell noch im Archiv – und wie viele haben Sie schon bearbeitet?
Wir haben insgesamt circa 50.000 Produktionen mit auf rund 180.000 Rollen gelagert. Davon haben wir knapp 15.000 abgearbeitet. Das heißt, wir haben schon eine schöne Wegstrecke geschafft.
Gehen Sie nach Jahren vor oder wie wählen Sie die Filme zur Bearbeitung aus?
Wir haben verschiedene Kriterien. Unser oberstes Kriterium ist die Essigsäure, sie kann Filme zersetzen. Und wenn der autokatalytische Punkt erreicht wird - das heißt, wenn das Milieu sehr sauer ist, werden auch Filme nebenan angegriffen. Darum haben diese Filme eine hohe Priorität, um sie noch abspielen zu können. Ein weiteres Kriterium sind Bestellungen zur Sendung, wie in diesem Fall.
Wie bildet sich die Essigsäure im Lager?
Durch schlechte Lagerung, durch hohe Schwankungen in der Luftfeuchtigkeit und hohe Temperaturen.
Sind die Filme dann für immer verloren?
Etwa zwei Drittel der Produktionen sind mit Essigsäure befallen. Es beginnt kaum wahrnehmbar und endet mit einem sehr beißenden Geruch nach Essig, daher der Name. Im schlechtesten Fall ist der Film so zersetzt, dass er förmlich zerbröselt. Einige wenige Filme sind so für immer verloren gegangen.
Welche Überraschungen haben Sie schon erlebt bei ihrer Arbeit?
Jede Rolle kann eine Überraschung in sich bergen. Sowohl von Materialseite her, dass zum Beispiel Szenen aus einem fertig geschnittenen Beitrag entnommen und in einen anderen eingeschnitten wurden. Welcher das ist, wissen wir aber nicht immer. Oder Beiträge sind bei der Sichtung oder Vorführung gerissen und still und heimlich wieder zurück ins Lager gewandert. Die reparieren und digitalisieren wir.
Außerdem können Bild und Ton stark differieren, wenn nur das Drehmaterial und der Sendeton archiviert wurden. Aber auch inhaltlich haben wir schon viele Filme entdeckt, bei denen nur der Titel bekannt war. Doch dahinter stecken manchmal Persönlichkeiten, die wir gar nicht in unserer Datenbank erfasst hatten. So ist die Filmsicherung spannend und lebendig.
Kann man sagen: Sie sind das Gedächtnis des BR?
Im Archiv sind Filme von 1950 bis 2010 gelagert. Wobei seit den 1980ern schon die Umstellung auf Kassetten stattgefunden hat. Somit kann man sagen, wir sind das Gedächtnis von Beginn der 1950er bis Mitte der 1980er Jahre mit Bild und Ton. Ein Großteil ist natürlich Tagesaktuelles aus Politik, Kultur und Sport. Aber wir haben auch schon lange Dokumentationen und skurrile Geschichten entdeckt.