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Archivmaterial von Steve Biko entdeckt Als Hollywood beim BR anklopfte

Wie kann das umfangreiche Sendungs-Material des Bayerischen Rundfunks langfristig zugänglich gemacht werden? Dieser Frage stellen sich beim BR spezialisierte Dokumentarinnen und Dokumentare. Manchmal heben sie dabei auch echte Schätze. So stieß Kathrin Meitzner durch Zufall auf das einzige authentische Filmmaterial über den südafrikanischen Widerstandskämpfer Steve Biko, das bis dahin in den BR-Archiven schlummerte.

Von: Kathrin Meitzner, Dokumentarin beim Bayerischen Rundfunk (Abt. Dokumentation und Recherche)

Stand: 07.09.2022 | Archiv

Steve Biko | Bild: BR

Steve Biko, südafrikanischer Studentenführer und Widerstandskämpfer gegen das Apartheid-Regime, wurde am 18. August 1977 verhaftet. Er starb an den Folgen der Verletzungen, die ihm während der Polizeihaft unter Folter zugefügt worden waren. Am 12. September 2022 jährt sich sein Todestag zum 45. Mal.

Dokumentarin Kathrin Meitzner im Homeoffice bei der Biko-Recherche

Die Dokumentarin Kathrin Meitzner arbeitet im Team "RETRO Dokumentation Audio-Video" und das bedeutet, das Material, das beim Digitalisieren alter Videotapes oder Filmrollen entsteht, mit heutigen Augen zu betrachten und auszuwerten. "Das ist ein bisschen so wie bei einer Wundertüte: Was dann wirklich in dem Film drinsteckt, kann eine Überraschung sein und bisweilen herrscht Goldgräberstimmung, wenn man plötzlich auf ein wahres Nugget stößt", sagt Meitzner.

Hier erzählt sie ihre Entdeckergeschichte.

Der Zeitzeuge

Sie beginnt mit der Produktionsnummer 882619, einem Abendschau-Beitrag von 1988 über den Spielfilm "Cry Freedom!".

Die Kinoproduktion spielt im Südafrika der späten 1970er-Jahre und beruht auf wahren Begebenheiten. Sie erzählt die Entstehung der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen dem Studentenführer Steve Biko, Begründer des Black Consciousness Movements (dargestellt von Denzel Washington) und dem südafrikanischen Journalisten Donald "Don" Woods (Kevin Kline).

Zwischen Ausschnitte aus dem Kinofilm sind Interviewpassagen mit dem "echten" Don Woods eingeschnitten und in einem Nebensatz gibt Woods dem Abendschau-Reporter Ulrich Schramm folgenden Hinweis:

"Edmund Wolf vom Bayerischen Rundfunk hat das einzige authentische Filmmaterial von Steve Biko gedreht. Damit hat sich Denzel Washington auf seine Rolle vorbereitet."

Don Woods

Don Woods behauptet allen Ernstes, dass in unserem Archiv ein wahrer Schatz schlummern soll? Ungläubig hörte ich die Passage noch einmal an, aber ich hatte mich nicht verhört.

Sollte wirklich ein Interview von Steve Biko existieren, das ein BR-Journalist namens Edmund Wolf gedreht hat, wäre das ein Zeitdokument von unschätzbarem Wert. Das wäre nicht nur ein Goldnugget, das wäre ein ganzer Goldbarren!

Die Schatzsuche

Brennend vor Entdeckerdrang recherchierte ich in der Datenbank, um dieser Behauptung auf den Grund zu gehen, doch das Ergebnis war ernüchternd.

Kein Interview, kein Stichwort, kein Hinweis auf den legendären Studentenführer war auffindbar. Meine Recherche lief ins Leere.

Erst als ich mich auf die Suche nach dem Autor Edmund Wolf machte, fand ich nach intensiver Nachforschung einen Beitrag mit dem Titel "Weiß in Südafrika", dessen Auswertung nicht mehr zeitgemäß war und der den Namen "Steve Biko" mit keiner Silbe erwähnte. Und genau dort wurde ich fündig.

Edmund Wolf und Steve Biko

Die Reportage aus dem Frühjahr 1977 enthält zwei lange Passagen, in denen Edmund Wolf in einem geheimen Interview mit Steve Biko zu sehen ist.

Strengste Geheimhaltung war deshalb vonnöten, weil Biko zu diesem Zeitpunkt mit einem Bann belegt worden war. Er durfte weder sein Haus verlassen, noch mit jemandem sprechen – schon gar nicht mit einem Journalisten aus Europa.

Mein Archivkollege der 70er-Jahre konnte damals unmöglich wissen, welch' große Tragweite das Schicksal von Steve Biko einst haben würde. Also machte ich mich daran, diese Reportage von 1977 erneut zu dokumentieren sowie auffindbar und sichtbar zu machen.

Die Suche geht weiter

Als ehemalige Filmcutterin und heutige Dokumentarin gibt es noch einen weiteren wichtigen Aspekt, dem ich gegenwärtig nachgehe: Wo befindet sich das restliche Filmmaterial?

Nachdem Edmund Wolf 1997 verstorben ist, konnte ich ihn leider nicht mehr persönlich fragen. Meine Nachforschungen ergaben, dass ein großer Teil seines Nachlasses im Literaturhaus Wien, genauer gesagt in der dort ansässigen Exilbibliothek archiviert ist. Die Kolleginnen und Kollegen des dortigen Archivs waren sehr hilfsbereit und stellten sogar den Kontakt zu Edmund Wolfs Nachkommen her. Bislang blieb die Suche nach dem restlichen Filmmaterial jedoch leider erfolglos. Eines Tages das gesamte Interview rekonstruieren zu können, wäre die Sicherstellung eines unschätzbaren Zeitdokuments.

Der investigative Wolf

Meine Beschäftigung mit dem Filmemacher Edmund Wolf zeigen einen außergewöhnlich mutigen, aufrichtigen und herausragenden Reporter, dessen Augenmerk stets auf die Frage nach der Menschlichkeit gerichtet war. Nicht nur, dass Wolf in Südafrika den "richtigen Riecher" für die authentischsten Stimmen seiner Zeit hatte, dass er den Mut aufbrachte, auch "illegale" Interviews mit politisch Ausgestoßenen zu führen. Er konfrontiert vor laufender Kamera sogar den damaligen Justizminister James Kruger aufs schärfste mit seiner Politik der Willkür und des Terrors.

Edmund Wolf im Schneideraum

Die Themen, die Edmund Wolf in seiner langen Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk in Angriff nahm, haben absolut nichts an Aktualität und Relevanz für die heutige Gegenwart verloren. Es lohnt sich, seinen Namen zu recherchieren und die zeitlosen Schaffenswerke dieses hellwachen Geistes auf sich wirken zu lassen.

Über das Team RETRO

Das Projekt der Bestandssicherung bereitet historische Beiträge so auf, dass sie in ihrer Bedeutung für die Berichterstattung der Gegenwart und Zukunft bestehen können und für alle sichtbar werden.


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