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MACCHIA, MARE UND MADONNEN Ein Natur- und Kultur-Streifzug entlang der Amalfi-Küste

Schon der Name löst Sehnsucht aus: „Amalfitana“ – die Amalfi-Küste. Steil und wild, mit engen Gassen und endlosen Treppen zwischen bunt verschachtelten Häusern ist sie eine Inkarnation der italienischen Lebenslust und Lebensart, des dolce far niente, und für viele ein Traumziel zwischen dem Golf von Neapel und dem Golf von Salerno mit mondänen Orten wie Sorrent, Capri, Positano, Ravello und Amalfi - und mit einer kurvenreichen schmalen Küstenstraße, die nichts für Autofahrer mit schwachen Nerven ist.

Von: Andrea Zinnecker

Stand: 21.04.2025 | Archiv |Bildnachweis

Amalfi-Küste: Ein Natur- und Kultur-Streifzug

Vor allem Influencerinnen aus den USA haben die Amalfitana in den letzten Jahren entdeckt. Doch der schöne Schein der modernen Social-Media-Sirenen zwischen Blauer-Grotten-Romantik und Capri-Sonnen-Kitsch ist nur die eine Seite der inzwischen ziemlich teuren Amalfitana. Denn auf der anderen Seite gibt es sie noch – die weniger bekannten und noch unberührten Flecken oben im Gebirge der Monti Lattari. Wilde Steilküste und steile Bergwildnis prägen hier das Landschaftsbild an der auch „costiera divina“ genannten „göttlichen Küste“.

Wandern an der göttlichen Küste

Die Cedro Zitronen

„Mare e Monti“ – die Kombination von Meer und Bergen übt immer einen ganz besonderen Reiz aus, auch an der Amalfi-Küste. In mehreren Tagesetappen führt der „Sentiero dei Dei“, der Weg der Götter, von Pompeji bis nach Salerno. Wer nur eine Etappe machen möchte, kann zum Beispiel die Monti Lattari überschreiten und von Sorrent nach Positano wandern. Besonders lohnend ist die Tour im Frühsommer, wenn oben in den Bergen die Orchideenwiesen in voller Blüte stehen, von der Italica über Knabenkräuter bis zur Puppenorchis. Zuerst aber geht es durch Oliven- und Zitronenhaine, Wein- und Gemüsegärten, bis dann die mit blutrotem Spitzklee übersäten Bergweiden am 860 Meter hohen Monte Commune erreicht sind.

Götter, Seeräuber und Mafiosi haben einst die Amalfiküste bevölkert, sich in den Bergen versteckt und das Land kultiviert. Die Seeleute aus Positano sollen angeblich auch den Kompass erfunden haben. Vom Monte Commune geht der Blick hinab bis nach Positano. Der Abstieg führt zunächst durch das kleine Bergdorf Santa Maria di Castello und dann durch kratzbürstige Macchia, die ihren Namen von der „mucchio“, der Zistrose hat. Macchia, Monti, Mare – zurück nach Sorrent geht es per Schiff und mit göttlichem Blick auf Berge, Buchten und Gestrüpp.

Fruchtbare Höllenmagie am Vesuv

Der Vesuv über dem Golf von Neapel

Kaum einer kann sich dem landschaftlichen und architektonischen Zauber der Amalfitana entziehen. Dem morbiden Charme winziger Balkönchen und versteckter Dachterrassen, einfacher Fischerhäuschen und herrschaftlicher Villen mit Palmengärten. Die Monti Lattari, die „Milchberge“, die ihren Namen von den milchgebenden Kühen haben, trennen den Golf von Neapel vom Golf von Salerno und die Amalfi-Küste von der Landschaft am knapp 1300 Meter hohen Vesuv. An dem berühmten Vulkan kam und kommt keiner vorbei. Goethe faszinierte der – Zitat - „Höllenbrodel“. Vom Kraterrand schweift der Blick hinab zum Golf von Neapel und zur Halbinsel von Sorrent mit der gleichnamigen Stadt, die auf einer Tuffsteinterrasse über schwarzen vulkanischen Steilklippen liegt. Das Ganze ist eine, wenn man so will, Laune der Plattentektonik: Die afrikanische Erdplatte driftet nach Norden und schiebt sich genau hier, am Golf von Neapel, unter die eurasische Platte. Das führt zu enormen Kräften und Verspannungen, die sich in Erdbeben entladen und Risse wie Vulkane entstehen lassen. An der Sorrentina und Amalfitana bricht der Ausläufer des Apennin eindrucksvoll ins Meer ab. Das Zusammenspiel von Bergen und Meer ist einzigartig und die Grundlage dafür, dass hier so ein Prunkstück von Mittelmeerkultur entstanden ist: 3000 Jahre Kulturgeschichte, eng verbunden mit der Landschaft und den Gegebenheiten. Die vulkanische Erde ist besonders fruchtbar und das Hinterland, Kampanien, war schon in der Antike eine Kornkammer. Aus dem Meer kommen Fisch und Meeresfrüchte - Miesmuscheln mit Öl, Pfeffer und Petersilie sind übrigens ein typisches Neapolitaner Osteressen. 

Der Vesuv ist ein wunderschöner Vulkankegel mit einer als Naturpark geschützten Natur - Fluch und Segen zugleich. Der explosionsartige Ausbruch im Jahr 79 nach Christus hat die Villenstadt Herculaneum und das größere Pompeji mitten im Leben ausgelöscht und versteinert. Im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel ist alles ausgestellt, was in den Häusern in Pompei und Herculaneum gefunden wurde, zum Beispiel feinstes farbiges Glas, wie es erst 1500 Jahre später wieder hergestellt werden konnte, dazu Spiele und Musikinstrumente, Gefäße und Schmuck – ein faszinierender Blick in die Alltagskultur dieser Zeit.

Die Lacrima Christi Weinberge am Vesuv

Heute führt ein Fußweg über rund 250 Höhenmeter auf den Vesuv. Jahrhunderte früher mussten sich die Besucher an Lederriemen durch die bröselige Lava zum Kraterrand hinaufziehen lassen. In der Zeit der Technik-Euphorie Ende des 19.Jahrhunderts wurde von Herculaneum eine Zahnradbahn zum Gipfel des Vesuv hinauf gebaut und zur Eröffnung dieser „Funicolare“ das berühmte Lied „funiculì, funiculà“ komponiert.

Wachsam müssen alle sein, die rund um den Vesuv leben. Ausbruchsmäßig ist der Vulkan längst überfällig, was man sich aber gar nicht ausmalen mag angesichts der dichtbesiedelten Landschaft an seinen fruchtbaren Abhängen. Noch gefährlicher als der Vesuv aber sind aber die Phlegräischen Felder im Westen von Neapel. Neue Messungen weisen darauf hin, dass es im Untergrund wieder stärker rumort - ein unberechenbares Pulverfass. Im Ernstfall müssten binnen kürzester Zeit rund 2,5 Millionen Menschen aus den drei Risikozonen evakuiert werden, weshalb Evakuierungs-Übungen unerlässlich sind.

Sirenenklänge zwischen Neapel und Salerno

Es bleibt zu hoffen, dass die Sirenen wirklich nur im Ernstfall ertönen. Ganz andere Sirenen-Klänge prägen seit jeher die Region zwischen Neapel und Salerno: weibliche Fabelwesen mit betörendem Gesang, deren Magie seit der Antike vor allem Männer erliegen. „Li Galli“ an der Amalfiküste gilt als Wohnort der Sirenen, die Männer anlocken und dann töten. Der Name „Li Galli“ kommt von den Hennen, Hühnern, denn in der Antike wurden die Sirenen als Mischwesen aus Vogel und Frau dargestellt und nicht wie später dann nördlich der Alpen barbusig mit Fischschwanz

Der antiken Legende nach verlieren die Sirenen einen musikalischen Wettstreit mit ihren Müttern, den Musen, und stürzen sich daraufhin ins Meer. Nur Parthenope wird an Land gespült und in Syrentum, Sorrentum, begraben – Sorrent ist also der Ort der Sirene. Das musikalische Erbe der Sirenen wird bis heute am Golf von Neapel nicht nur im Belcanto der italienischen Oper gepflegt, sondern auch in den Canzone napolitana, den rund um den Globus bekannten neapoletanischen Liedern von „O Sole Mio“ über „Te voglio bene assaie“ bis eben zu „Funiculì, Funiculà“.

Keramik und Klostermedizin

Kurz vor Salerno liegt ganz im Osten der Amalfitana der kleine Ort Vietri sul Mare, berühmt für seine zinnglasierte farbige Keramik: Fliesen, Vasen, Geschirr und vieles mehr im Stil der traditionellen neapoletanischen Majolika. Eine ganz andere Tradition wurde nur wenige Kilometer weiter in Salerno begründet, im Jahr 1057: Die „Schola Medica Salernitano“ war die erste medizinische Lehr- und Forschungs-Anstalt in Europa. Die dort tätigen Ärzte kombinierten altes antikes Wissen mit neuer Klostermedizin. Anatomie und Chirurgie, Hygiene und Pharmazie erhielten wichtige Impulse.

Eng mit der Schule von Salerno verbunden war die Badia a Cava, auch bekannt als Abtei „Cava de‘ Tirreni“, am nordöstlichen Fuß der Monti Lattari. Adelige aus Salerno haben das Kloster 1011 gegründet. Bis heute ist es das weltweit einzige Kloster, das ununterbrochen von Benediktinern bewohnt ist. An der Badia a Cava beginnt eine abwechslungsreiche Wanderung hinauf zum Monte Avvocata, dem „Berg der Anrufung“, den statt Gipfelkreuz eine Plastikmadonna “schmückt“.

Majolicadarstellung eines Vesuvausbruchs

Vor dem Aufstieg lohnt jedoch ein Blick in die Benediktinerabtei. Neben einer weltbekannten Inkunabel-Sammlung beherbergt sie auch die Gräber von drei Gegenpäpsten. Pietradura-Arbeiten, Perlmutt-Intarsien und Majolica-Fußböden, römische Sarkophage und gotische Fresken faszinieren in den Innenräumen, ebenso die in den Fels hineingebauten Katakomben und der trapezförmige Kreuzgang.

Über den Zitronen liegt Capri

Von der Badia a Cava geht es auf einem alten Pilgerweg und vorbei an kleinen Bildstöcken durch das dichte feuchte Grün der Monti Lattari hinauf zum knapp 1100 Meter hohen Monte Avvocata. Die Flora entfaltet ihre ganze Pracht, von der seltenen schwarzen Königskerze über Affenorchis und Aphodelien bis zu Ginster und Hauhecheln. Nach drei Stunden ist der Grat des Monte Avvocata hoch über dem Golf von Salerno erreicht. Hier verläuft auch die „Alta Via dei Monti Lattari“. Das Santuario liegt ein Stück tiefer auf der anderen Seite des Monte Avvocata. Von hier geht es dann steil hinab nach Maiori an die Amalfiküste, zum Teil weglos durch würzig duftende Macchia. Aloe Vera, Bitumenklee, Johannisbrotbäume und Kakteen wachsen hier ebenso wie wilde Feigen, Mohn und Oliven. Doch die eigentliche Herausforderung kommt ganz zuletzt: rund 1000 Treppenstufen hinab zum Meer.

Süßes statt Saures

„Un gelato al limon“, ein Zitroneneis, ist köstlich! Nicht umsonst gilt die Amalfi-Zitrone als Königin der Zitrusfrüchte. Sie ist größer als eine herkömmliche Zitrone, hat eine viel dickere, leicht schrumpelige Schale und kaum Säure. Sowohl das Fruchtfleisch als auch die Schale schmecken sehr aromatisch und süß. Aus der Schale lassen sich zum Beispiel unbeschreiblich aroma-intensive kandierte Sticks machen, und der Limoncello, der Zitronenlikör, ist ebenfalls eine Klasse für sich.

Die Zitrusfrüchte sind in der Antike zunächst als Zierpflanzen aus China ans Mittelmeer gekommen – man weiß es unter anderem aus den Ausgrabungen in Pompeji. Seit der Renaissance wurden sie dann immer intensiver kultiviert, so dass im Raum Neapel weit über 1000 Sorten gab. Heute sind noch sieben ursprungsgeschützte Sorten vorhanden wie eben die berühmte Amalfi- Zitrone.

Nabelkraut

Von den Zitronen zu den Tomaten: Jede „Nonna“, also Oma einer Familie, hat ihr spezielles Sugo-Rezept. Verwendet werden meistens die San Marzano-Tomaten, die sehr fleischig und länglich sind und auf der vulkanischen Erde ein sattes Aroma entwickeln. Manchmal werden auch noch die tropfenförmigen Piennolo-Tomaten dazu gegeben, deren Aroma für eine unvergessliche kulinarische Sinneserfahrung sorgt. Das gilt auch für die echte neapoletanische Pizza: ein dicker, luftiger und dennoch knuspriger Rand, der Boden hauchdünn und darauf der Tomatensugo, Basilikum und entweder der kampanische Büffelmozzarella oder der aus den Monti Lattari kommende Mozzarella namens „Fior di latte“, die Blume der Milch.

Nicht fehlen dürfen die Dolci, die Desserts: vom gugelhupfartigen Baba über die mit cremigen Ricotta gefüllten Sfogliatelle - Taschen aus feinstem, knusprigen Blätterteig. An Ostern spielt auch die Pastiera eine große Rolle, ein mit Orangenblütenwasser getränkter Mürbteigkuchen.







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