Fernweh: Österreichs höchster Berg Ein alpinkultureller Streifzug rund um den Großglockner
Erhaben, kühn und wunderschön - Österreichs höchsten Berg umgibt bis heute eine nahezu magische Aura. Der Großvenediger, nicht weit entfernt, ist den Erstbesteigern zufolge eine „weltalte Majestät“. Die Krone aber trägt der Großglockner: Nationalsymbol und Nationalheiligtum zugleich, 3798 Meter hoch.
Glockner-Mythos und Magie
Der Gipfel zieht unzählige Bergsteiger an. Jedes Jahr sind es inzwischen mehr als 7000 Besteigungen. Die meisten erfolgen über den Normalweg vom Lucknerhaus über die Glorer- und Salmhütte, also die historische Route, oder über die Stüdlhütte und das Ködnitzkees hinauf zur Erzherzog-Johann-Hütte und zum Glocknerleitl. Wenig begangen, alpinistisch aber äußerst reiz- und anspruchsvollvoll ist die Route über den Nordwestgrat und das Teufelshorn. Als schönster Aufstieg gilt die Route über den Stüdlgrat, benannt nach Johann Stüdl, einem der Alpenvereinsgründer.
Stüdlgrat und Teufelshorn, Glocknerwand und Glocknerleitl, Pallavicini-Rinne und Pasterze, Hofmannskees und Adlersruhe – jeder dieser Namen hat seine ganz eigene Magie, erweckt alpine Sehnsucht. Mit seinem pyramidenförmigen, markanten Doppelgipfel - Kleinglockner und Großglockner - ragt der Berg als eine der freistehendsten Erhebungen der Alpen auf, bietet 240 Kilometer Rundumsicht über 150.000 Quadratkilometer Erdoberfläche.
Erstbesteigung im Jahr 1800
Flankiert von Fusch im Nordosten, Heiligenblut im Süden und Kals im Westen liegt der Großglockner mitten im Nationalpark Hohe Tauern. Er gilt als bedeutendster Berg der Ostalpen und hat die Entwicklung des Alpinismus maßgeblich beflügelt. Im Jahr 1800 wurde er im Zuge einer wissenschaftlichen Großexpedition mit 60 Teilnehmern unter Leitung von Franz Xaver Salm-Reifferscheidt, Fürstbischof von Gurk, erstmals bestiegen. Die Route führte von Heiligenblut aus durch das das idyllische Leiterbachtal zur heutigen Salmhütte, dem sozusagen „Basislager“ der Expedition, in dem kulinarischer Luxus von Südfrüchten bis zum Champagner gepflegt wurde, und über die Hohenwartscharte zur Adlersruhe und zum Glocknerleitl.
Geologie und Artenvielfalt
Heute ist das Klettern an hohen Bergen vielerorts zum riskanten Vergnügen geworden, weil der Fels durch den Klimawandel und das Auftauen des Permafrosts immer brüchiger wird. Nicht so am Großglockner, der sich auch deshalb so exponiert erhebt, da er – ähnlich wie der Monviso im Piemont - aus geologisch besonders dauerhaftem Material aufgebaut ist - im Fall des Großglockners aus Prasinit, einem magmatischen Gestein, das aus ursprünglich zehn Kilometer Tiefe herausgehoben wurde. Das ist für Alpinisten gut, weil der Fels fest und vertrauenswürdig ist, ebenso für die Natur, weil die Geologie markant und vielfältig ist und solche abwechslungsreichen Strukturen ideal sind für eine hohe Artenvielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt.
Gipfelziele rundherum
Auch rund um den Großglockner gibt es lohnende Gipfelziele, zum Beispiel das Große Wiesbachhorn im Norden, ebenfalls eine echte Hochtour. Es gibt aber auch einige Dreitausender ohne Gletscher, die als anspruchsvolle Hochgebirgswanderung zu erreichen sind und die ebenfalls im Nationalpark Hohe Tauern liegen: von der Hochalpenstraße aus im Osten die Racherin und der Wasserradkopf, im Westen der Große Muntanitz und im Süden das Böse Weibele, einer der Hauptgipfel der immer noch recht stillen Schobergruppe, die für sich genommen eine interessante Alternative zur Glocknergruppe bildet.
Großglockner-Hochalpenstraße und Kaiser-Franz-Josefs-Höhe
Auf der Ostseite von Österreichs höchstem Berg verbindet die Großglockner-Hochalpenstraße als hochalpiner Pass die Orte Bruck und Heiligenblut und damit die beiden Bundesländer Salzburg und Kärnten. 48 Kilometer lang und mit über einer Million Besucher pro Jahr ist sie der touristische Magnet Österreichs, nur noch getoppt von Schloss Schönbrunn bei Wien. Eröffnet wurde die Glocknerstraße am 3. August 1935 nach fünfjähriger Bauzeit. Kehre an Kehre schraubt sich die Großglockner-Hochalpenstraße bis auf 2504 Meter Höhe hinauf. Und kaum einer, der südseitig den Abstecher zur Kaiser-Franz-Josefs-Höhe auslässt, schon allein wegen des grandiosen Blicks auf Österreichs höchsten Berg und die Pasterze. Aber es lohnt auch der Blick hinein ins Besucherzentrum. Bis 2029 ist hier die Ausstellung „Frauen im Aufstieg“ zu sehen. Sie thematisiert die erste Glockner-Besteigung durch zwei Frauen, die Salzburgerin Anna von Frey und die Britin Mary Whitehead, 1869, also vor 155 Jahren, aber auch ganz allgemein die alpine Emanzipation des angeblich schwachen Geschlechts, worüber sich bestimmt auch Kaiserin Sisi, selbst ein Bergfex, gefreut hätte. Hatte die bergsteigende Damenwelt doch mit Diskriminierungen, Klischees und Vorurteilen zu kämpfen.
Klimawandel und Fieberthermometer Pasterze
Beim Blick auf die Pasterze, den einst größten und längsten Gletscher Österreichs, wird der klimabedingte Wandel der Landschaft besonders spür- und sichtbar. Der Eiszufluss aus den oberen Gletscherbecken am Burgstall ist nahezu abgetrennt und auf dem Pasterzenboden ein großer See mit Eisschollen entstanden. Von der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe führt ein Steig entlang von Tafeln mit Jahreszahlen hinunter. Die rasante Gletscherschmelze lässt sich hier unmittelbar erleben. Auch der einst traditionelle Aufstieg von Osten auf den Großglockner über die Pasterze ist heute nicht mehr gangbar bzw. lebensgefährlich. Wie allerdings der Name sagt – Pasterze kommt von lateinisch „pasto“, also Hirte - war der Gletscher einst eine Viehweide. Im Zuge der Gletscherschmelze wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Reste von Baumstämmen, Holz und Torf gefunden, die auf eine nacheiszeitliche Warmphase hindeuten. Somit ist die Pasterze ein prominentes Beispiel dafür, dass sich das Klima auf der Erde immer wieder gewandelt hat, aber eben in bisher viel langsameren Zeiträumen als heute.
So bleibt auch der Großglockner nicht verschont vom Klimawandel: die Pasterze nur noch ein Schatten ihrer selbst, das Glocknerleitl ausgeapert, die berühmte 60 Grad steile Pallavicini-Rinne nur noch eine dunkle Schuttreiße und höchstens noch im Winter begehbar. Der Klimawandel mit dem auftauenden Permafrost verändert nicht nur die Routen am Großglockner, sondern auch die Stabilität der Berghütten. Professor Michael Krautblatter, Geologe an der TU München, erforscht die Umgebung der Stüdlhütte. 70 Zentimeter hat sich das Gestein innerhalb von zwei Jahren bewegt. Dazu kommt das 3 bis 4 Grad „warme“ Dachwasser der Hütte, das in den Boden einsickert und ihn zusätzlich erwärmt.
Keimzelle der Nationalpark-Idee
Der Großglockner liegt zentral im Nationalpark Hohe Tauern, und die Entstehung der Nationalpark-Idee hat mit ihm zu tun. Albert Wirth, ein Kärntner Bauingenieur und Holzhändler, der vor 120 Jahren schon international tätig war, insbesondere in den USA, hat im Yellowstone- und im Yosemite-Nationalpark diese damals noch ganz neue Naturschutzidee kennengelernt. Als dann später in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in der ersten Phase der Gipfelerschließungen mit Bahnen tatsächlich über eine Seilbahn auf den Großglockner diskutiert wurde, hat Wirth das Gebiet um den Großglocknergipfel herum gekauft und dem Alpenverein vermacht. Verbunden war das mit der Auflage, dass es dauerhaft geschützt werden muss – und das war die Keimzelle für den heutigen Nationalpark Hohe Tauern, der dann 1971 gegründet wurde und der größte zusammenhängende Nationalpark der Alpen ist, für den gleich drei Bundesländer zuständig sind: Salzburg, Kärnten und Osttirol. Alle drei Bundesländer haben ansprechende Erlebnis-Programme im Angebot, von der Ausbildung von Junior-Rangern bis zum Tag der Artenvielfalt einmal im Jahr, an dem rund 100 Spezialisten ein Wochenende lang in einem Hochtal unterwegs sind und versuchen, alles, was da kreucht und fleucht, von der Gebirgshummel bis zum Schmetterling, aufzuspüren und zu kartieren.
Kalser Sündenfall
Der Nationalpark Hohe Tauern ist eine Erfolgsgeschichte, aber wie so oft hat auch diese Erfolgsgeschichte einen Makel und der betrifft ausgerechnet das Glocknerdorf Kals. Hier hat der Österreichische Alpenverein zum ersten Mal in der Geschichte der Bergsteigerdörfer die Rote Karte zeigen müssen. Kals gehörte zur Gruppe der ersten Bergsteigerdörfer, die sich mittlerweile über den ganzen Alpenbogen verteilen. Es sind Orte mit einer besonders intakten Gebirgsnatur, einer gewachsenen und kleinstrukturierten Ökonomie ohne große touristische Infrastruktur. In Kals aber hat ein Zillertaler Großinvestor nicht nur die Lifte ausgebaut, sondern auch noch ein großes Resort auf den Berg gestellt. Weil diese Art Großstruktur nicht zu der nachhaltigen Grundidee der Bergsteigerdörfer passt, wurde Kals der Titel Bergsteigerdorf wieder aberkannt.
Kein Sündenfall sind dagegen die Kalser Blumenhäuser. Der Blumenschmuck am Haus gehört zu den Traditionselementen in Bergdörfern. Stichwort Geranie. Doch an den wettergegerbten dunklen Holzfassaden in Kals wird eine überbordend bunte Blumenpracht gepflegt. Für Touren auf den Großglockner ist Kals heute der wohl wichtigste Ausgangsort. Direkt über Kals zieht sich das Dorfertal durch die Hohen Tauern, ein alter Tauernübergang mit dem historischen Kalser Tauernhaus. Im Dorfertal lassen sich auch mit etwas Glück Bartgeier beobachten, die hier im Rahmen des großen Artenschutzprojektes, an dem seit einigen Jahren auch der Nationalpark Berchtesgaden teilnimmt, ausgesetzt wurden.
Alpines Brauchtum in Heiligenblut
Österreichs höchstem Berg liegt im Süden Heiligenblut zu Füßen. Der spitze Turm der Pfarrkirche mit der markanten Gipfelpyramide des Großglockners im Hintergrund ist ein weltbekanntes Fotomotiv. 1491 wurde die Wallfahrtskirche nach fast hundertjähriger Bauzeit geweiht. Einen alten Brauch pflegen bis heute die Männer in Heiligenblut. Nicht jetzt im Hochsommer, sondern im Hochwinter: das Sternsingen. Um 1930 gab es in den Alpen noch an 100 Orten den Brauch des Sternsingens in der Dreikönigsnacht. Heute wird er nur noch in Heiligenblut unterm Großglockner gelebt. Von der UNESCO wurde er deshalb als immaterielles Kulturerbe der Menschheit ausgezeichnet - authentisches alpines Brauchtum, so authentisch wie die Emotionen all derer, die zum ersten Mal ganz oben auf Österreichs höchstem Berg stehen.