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Fernweh: Mare, Monti, Mafia Unterwegs auf Sizilien

Mare, Monti, Mafia - Sizilien ist die größte Insel im Mittelmeer. Die Autonome Region liegt südwestlich vor der Stiefelspitze Italiens und ist topographisch ein Dreieck, Rest einer alten Landbrücke zwischen Afrika und Europa. Optisch gesehen wirkt Sizilien fast wie ein Fußball, bereit zum Wegkicken, und dennoch untrennbar mit Italien verbunden, trotz der Straße von Messina zwischen Insel und Festland, auf deren Meeresboden übrigens die höchste Mülldichte weltweit zu finden ist.

Von: Andrea Zinnecker

Stand: 31.10.2024 | Archiv

Mare, Monti, Mafia: Unterwegs auf Sizilien

Sizilien ist ein Kosmos für sich. Eine Insel voller Geschichte und Kunst und ein Schmelztiegel der Kulturen: Griechen, Römer, Araber, Normannen. Dazu ein einzigartiger Natur- und Kulturraum mit prachtvollen Städten, verschwiegenen Bergzügen und einem aktiven Vulkan, höher als viele Berge in den Alpen. Ätna und Agrigento, Corleone und Caltanissetta, Catania und Cefalu, Cannoli und Cassata, Pizza und Pizzo, Palermo, Paten und Prozessionen - vieles kommt einem in den Sinn beim Stichwort Sizilien. Einiges ist Klischee, vieles Wirklichkeit.

Der Ätna dominiert die Küste nach Süden in Richtung Catania.

Die sizilianische Mentalität kann durchaus heißblütig sein, und so wundert es nicht, dass sich im Nordosten der Insel eine erotische Wanderung unternehmen lässt. Abseits des Massentourismus von Taormina führt sie auf den 900 Meter hohen Monte Venere, den Venusberg über der pittoresken Stadt und bietet grandiose Aus- und Einblicke. Wer im griechischen Theater von Taormina sitzt, dem zweitgrößten antiken Theater Siziliens, der blickt direkt auf den Ätna - mit derzeit 3357 Metern der höchste aktive Vulkan auf dem europäischen Kontinent, seit 2013 UNESCO-Weltnaturerbe und weiblich dazu, denn auf Sizilien heißt es „La“ Etna, also „die“ Ätna. Doch egal ob der oder die - der Vulkan ist in jedem Fall eine launische Diva, oft mit Glimmstengel respektive Rauchfahne.

Am Ätna kommen nicht nur Wanderer und Bergsteiger auf ihre Kosten, sondern auch Skifahrer. Ätna Nord und Ätna Süd - die beiden Skigebiete mit neun Liftanlagen reichen bis 2600 Meter hinauf und bieten 17 Kilometer Pistenspaß, wobei es den carvenden Damen und Herren vor allem darum geht, mit viel Mailänder Mode-Chic „bella figura“ zu machen.

Skitouren auf den Ätna sind reizvoll.

Für Skitourengeher aber ist der Ätna ein echtes Abenteuer zwischen „fire & ice“. Da gibt es nicht nur den berühmt-berüchtigten Büßerschnee, sondern auch trichterförmige Vertiefungen in der Schneedecke durch größere Aschekörner, und wenn sich Asche und Schnee oberflächlich vermischen, spricht man vom so genannten „Stracciatella-Schnee“. Auch das andere Eis, das Gelato, gehört zu Sizilien wie die Lava zum Ätna. Als es noch keine Eismaschinen gab, wurde Eis vom Ätna geholt, für Sorbets und Granita. 

Mare e Monti

Die Cava Grande wurde vom Fluss Cassibile ins Gestein gegraben.

Im Südosten Siziliens, nahe der Barockstadt Noto, architektonisches Juwel und UNESCO-Weltkulturerbe, liegen in der Mündung des Tellaro ins Meer die Vendicari. Das 1500 Hektar große Naturreservat bietet Zugvögeln und vielen anderen Vogelarten, darunter Flamingos, Pelikane, Störche und Graureiher, aber auch Schildkröten einen geschützten Lebensraum. Während das Naturschutzgebiet noch ziemlich jung ist, ist die Cava-Grande-Schlucht schon sehr alt. Sie liegt ebenfalls im Südosten von Sizilien in den Monti Iblei, einem knapp 1000 Meter hohen Gebirgszug zwischen Syrakus und Ragusa. Die Monti Iblei, auch Hybläische Berge genannt, bestehen aus Kalkstein, der zum Teil von Lavadecken überprägt und von tiefen Schluchten durchzogen ist. Die rund 350 Meter tiefe Cava Grande wurde vom Fluss Cassibile in das Gestein gegraben.

Mafia

Abgelegene Gebirgsregionen, verschwiegene Bergdörfer und das einsame Hinterland von Sizilien waren schon immer der Nährboden und zugleich auch ein Rückzugsgebiet für die „ehrenwerte Gesellschaft“, die im 19. Jahrhundert aus landwirtschaftlichen Strukturen und Missständen heraus entstanden ist. Nun ist Mafia nicht gleich Mafia. In Neapel gibt es die Camorra, in Kalabrien die Ndrangheta, in Apulien die Sacra Corona Unita und in Sizilien die Cosa Nostra. Doch egal welche Organisation - Petra Reski kennt alle. Die Journalistin und Autorin aus Kamen in Nordrhein-Westfalen hat in Deutschland schon sehr früh, als es noch keiner in Politik und Justiz hören wollte, die engen wirtschaftlichen Verflechtungen der organisierten Kriminalität aufgedeckt und publiziert. Heute gilt Petra Reski europaweit als die Mafia-Expertin und lebt inzwischen in Venedig. Ihre Schriftsteller-Kollegin Donna Leon hat einmal gesagt: „Alles, was ich über die Mafia weiß, verdanke ich Petra Reski.“ Die Wahl-Italienerin ist auch Sizilien-Kennerin und nimmt uns mit nach Corleone, in die „Stadt der 100 Kirchen und der Mafia“ in den Monti Sicani zwischen Palermo und Agrigento. Nach dieser Stadt wurde „Don Corleone“ benannt, der Protagonist im wohl bekanntesten Mafia-Film „Der Pate“. Aus Corleone kamen einige der brutalsten Mitglieder der Cosa Nostra wie Bernardo Provenzano und Toto Riina.

Tourismus auf Sizilien

Nebrodi-Schweine leben halbwild.

„Omertà, Onuri e Sangue“ - Schweigen, Ehre und Blut. Wer als Wanderer oder Bergsteiger auf Sizilien unterwegs ist, muss keine Angst haben, dass er der Cosa Nostra in die Quere kommt, denn zu wichtig sind die Einnahmen aus dem Tourismus. Mountainbiker lockt zum Beispiel die „Trans Sicilia“, ein Inselcross in sechs Tagesetappen. Die Route führt vom Küstenort Cefalu mit dem berühmten Normannendom quer über den sizilianischen Apennin bis an die Südostküste der Insel. Zum sizilianischen Apennin gehören nicht nur die Monti Madonie im Westen und die Monti Peloritani im Osten, sondern auch die Monti Nebrodi nahe Messina an der Nordostküste, mit knapp 2000 Meter hohen Bergen, Buchen- und Eichenwälder und archäologischen Stätten – und den halbwilden schwarzen Nebrodi-Schweinen. Ein Besuch im Nebrodi-Gebirge lohnt auch zur Zeit der Mandelblüte zwischen Mitte Januar und März.

Wunderschön ist es zur Zeit der Mandelblüte

Wer aber wohlduftende Mandelbaum-Plantagen sucht, der muss in den sizilianischen Süden. Mandelkerne und Mandelcreme aus Sizilien sind begehrt, ebenso die berühmten Pistazien aus Bronte – und sizilianische Blutorangen werden oft innerhalb von 24 Stunden nach der Ernte verschickt. Eine weltweit anerkannte Spezialität ist auch die Schokolade aus Modica, die nach einem traditionellen Rezept „a freddo“, also kalt hergestellt und nicht conchiert wird. Bitterschokolade aus Modica kommt oft auch in das sizilianische Nationalgericht „Caponata“, ein süßsaurer Auberginen-Salat multikultureller Genese.


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