75 Jahre Nürnberger Prozesse Ein Festakt der emotionalen Appelle
75 Jahre Nürnberger Prozesse wurden am historischen Ort mit einem coronabedingt abgespeckten Festakt begangen. Im Saal 600 des Nürnberger Justizpalasts waren unter anderem Bundespräsident Steinmeier und Benjamin Ferencz zu hören.
Ehrengast des Festakts am 20. November, dem Jahrestag des Beginns der Nürnberger Prozesse 1945, war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er bezeichnete den ersten sogenannten Hauptkriegsverbrecherprozess als "Revolution", die Weltgeschichte geschrieben habe. Zum ersten Mal mussten sich führende Vertreter eines Regimes für ihre Verbrechen vor einem internationalen Gericht verantworten.
24 Nazi-Größen waren beim ersten und bedeutendsten der Prozesse angeklagt – unter anderem Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und Reichsmarschall Hermann Göring. Laut Steinmeier hatten sie die schwersten Verbrechen begangen, die die Weltgeschichte bis dahin erlebt hatte. Steinmeier meinte damit die Entfesselung eines Angriffskriegs und die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Grundlage für das moderne Völkerstrafrecht
Die alliierten Mächte – USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich – legten im Saal 600 des Nürnberger Justizpalastes, in dem der Hauptkriegsverbrecherprozess stattfand, die Grundlage für das moderne Völkerstrafrecht.
Das internationale Gericht in Nürnberg entwickelte 1945 die sogenannten "Nürnberger Prinzipien", nach denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen den Frieden und Kriegsverbrechen strafbar sind. Es ist die Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. "Ohne den Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg gäbe es den Internationalen Strafgerichtshof heute nicht", so Steinmeier.
"Schwerste Verbrechen nicht zu bestrafen, wäre fatal - diese Botschaft von Nürnberg ist nicht folgenlos geblieben."
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident
Wichtige Staaten dem Internationalen Strafgerichtshof nicht beigetreten
Der Internationale Strafgerichtshof sei dennoch bis heute Anfechtungen ausgesetzt gewesen, mahnte Steinmeier – auch seitens den USA unter Trump. Die Vereinigten Staaten sind ebenso wie Russland und China dem Internationalen Strafgerichtshof nicht beigetreten. Steinmeier äußerte aber die Hoffnung, dass die neue US-Regierung von Joe Biden zurückkehrt "zu einer Zusammenarbeit, die auch den Wert internationaler Strafgerichtsbarkeit anerkennt".
US-Außenminister Michael Pompeo sagte in seiner Videobotschaft für den Festakt immerhin: "Lassen Sie uns laut und mutig gegen Angriffe auf die Menschenwürde vorgehen, wo immer wir sie vorfinden."
Emotionaler Appell von 100-jährigem Zeitzeugen
Beim Festakt richtete auch Chefankläger Benjamin Ferencz per Videobotschaft mahnende Worte an die geladenen Gäste und an die Livestream-Zuschauer. Der inzwischen Hundertjährige verfolgte den Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945 vor Ort und war später Chefankläger in einem der Nürnberger Folgeprozesse.
Kriege bezeichnete Ferencz als "eine Form des Wahnsinn". "Das ist die Welt, in der wir leben. Ich werde nicht mehr lange leben. Sie müssen sich dieser Realität stellen. Tun Sie, was in Ihrer Macht steht. Mein Prinzip ist 'Recht statt Krieg'", so Ferencz.
Zehn Jahre Memorium Nürnberger Prozesse
Zeitgleich mit dem Jahrestag der Nürnberger Prozesse feiert das Memorium Nürnberger Prozesse sein zehnjähriges Bestehen. In den kommenden Jahren soll die Dauerausstellung zu den Prozessen ausgebaut werden. Zudem wird sich auch der historische Saal 600 in Zukunft anders präsentieren.
Seit Anfang des Jahres finden in dem historisch bedeutenden Raum keine Prozesse mehr statt. Nun ist eine multimediale Präsentation geplant, die den Saal im Zustand von 1945 erlebbar macht mittels Augmented Reality.