Nazis vor Gericht Die Angeklagten, die Urteile
Vier Hauptanklagepunkte, 281 Verhandlungstage und 236 Zeugen – es ist wohl die spektakulärste Verhandlung der Nachkriegszeit: Bei den Nürnberger Prozessen standen 24 Nazi-Größen vor Gericht, zwölf wurden zum Tode verurteilt.
Die angeklagten Nazi-Größen wurden mit vier Hauptvorwürfen konfrontiert. Auf der Liste ganz oben stand "Verschwörung gegen den Weltfrieden". Außerdem: "Planung, Entfesselung und Durchführung eines Angriffskrieges", "Verbrechen und Verstöße gegen das Kriegsrecht" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". An 218 Verhandlungstagen wurden 236 Zeugen gehört, rund 300.000 eidesstattliche Erklärungen und 5.330 Dokumente wurden zu den Akten genommen. Nach elf Monaten sprachen die Richter die Urteile.
Urteile des Internationalen Militärtribunals
Bereich: nationalsozialistische Führung
Hermann Göring
Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der Luftwaffe
Urteil: Tod durch den Strang
Selbstmord am Vorabend der Hinrichtung
Bereich: nationalsozialistische Führung
Bereich: nationalsozialistische Führung
Martin Bormann
engster Mitarbeiter Hitlers im "Führerhauptquartier"
Urteil in Abwesenheit: Todesurteil
Bei Kriegsende verschwunden
Bereich: nationalsozialistische Führung
Bereich: nationalsozialistische Führung
Bereich: nationalsozialistische Führung
Franz von Papen
Vizekanzler im ersten Kabinett Hitlers 1933, später Botschafter in Wien und Ankara
Urteil: Freispruch, später zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt
1949 entlassen, 1969 gestorben
Bereich: Oberkommando der Wehrmacht
Bereich: Oberkommando der Wehrmacht
Bereich: Kriegsmarine
Erich Raeder
bis 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine
Urteil: Lebenslange Haft
1955 wegen Krankheit entlassen
1960 gestorben
Bereich: Kriegsmarine
Karl Dönitz
Chef der U-Boot-Flotte, von 1943 an Oberbefehlshaber der Kriegsmarine
Urteil: zehn Jahre Haft
1956 entlassen
1980 gestorben
Bereich: nationalsozialistische Propagandamaschinerie
Julius Streicher
Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer", Gauleiter von Franken
Urteil: Tod durch den Strang
Bereich: nationalsozialistische Propagandamaschinerie
Hans Fritzsche
Chef des Nachrichtenwesens im Propagandaministerium
Urteil: Freispruch, später zu neun Jahren Arbeitslager verurteilt
1950 entlassen
1953 gestorben
Bereich: nationalsozialistische Propagandamaschinerie
Baldur von Schirach
Reichsjugendführer und Gauleiter von Wien
Urteil: 20 Jahre Haft
1966 entlassen
1974 gestorben
Bereich: Kriegswirtschaft
Albert Speer
Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion
Urteil: 20 Jahre Haft
1966 entlassen
1981 gestorben
Bereich: Kriegswirtschaft
Fritz Sauckel
Generalbevollmächtigter für Arbeitseinsatz und fünf Millionen Zwangsarbeiter
Urteil: Tod durch den Strang
Bereich: Kriegswirtschaft
Hjalmar Schacht
bis 1937 Wirtschaftsminister, bis 1939 Reichsbankpräsident (Amtsenthebung).
Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler kommt er 1944/45 ins KZ Flossenbürg.
Urteil: Freispruch
Gestorben 1970
Bereich: Kriegswirtschaft
Walter Funk
Reichswirtschaftsminister ab 1937
Urteil: Lebenslange Haft
1957 wegen Krankheit entlassen
1960 gestorben
Bereich: Kriegswirtschaft
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach
angeklagt als Repräsentant der Rüstungsindustrie
Verfahren eingestellt wegen Verhandlungsunfähigkeit
1950 gestorben
Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)
Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)
Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)
Alfred Rosenberg
führender Partei-Ideologe und Minister für die besetzten Ostgebiete
Urteil: Tod durch den Strang
Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)
Konstantin von Neurath
1938 Außenminister, 1939 bis 1943 Reichsprotektor von Böhmen und Mähren
Urteil: 15 Jahre Haft
1954 wegen Krankheit entlassen
1956 gestorben
Bereich: Verbrechen in besetzten Gebieten (und Konzentrationslagern)
Wilhelm Frick
Reichsinnenminister und Reichsprotektor in Böhmen und Mähren
Urteil: Tod durch den Strang
Bereich: Reichssicherheitshauptamt (RSHA)
Abgetaucht und Suizid
Martin Bormann, "Sekretär des Führers", tauchte nach Kriegsende unter. Seine Leiche wurde 1973 in Berlin entdeckt und mittels DNA-Analyse identifiziert. Er hatte sich wohl selbst umgebracht. Auch Robert Ley, Leiter der "Deutschen Arbeitsfront", nahm sich noch vor Prozessbeginn das Leben. Hermann Göring, "Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches" (dieser Titel war eigens für ihn geschafffen worden), entzog sich seiner Hinrichtung durch Selbstmord in der Zelle. Gegen den Großindustriellen Gustav Krupp konnte wegen Krankheit nicht verhandelt werden.
Ziel: differenzierte Feststellung der Schuld
Vor allem der Wunsch der Amerikaner nach einer differenzierten Feststellung der Schuld der Angeklagten bedeutete für das international besetzte Tribunal nervenaufreibende Fleißarbeit. Mehr als tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Nürnberger Justizgebäude kümmerten sich um den Ablauf. Während des Prozesses übersetzten jeweils zwölf Dolmetscher simultan in die Sprachen Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch. Unzählige Menschen waren mit der Prozessdokumentation beschäftigt. Schließlich baute der Organisator des Prozesses, der US-Bundesrichter Robert H. Jackson, in Nürnberg eine eigene Behörde auf – der Justizpalast mit seinen 530 Büros und rund 80 Sälen bot ausreichend Platz.
Auch die Sicherheitsmaßnahmen waren außergewöhnlich. Aus Angst vor Racheaktionen von Nazi-Widerstandsgruppen war die Gegend um den Justizpalast weiträumig abgeriegelt, überall standen Panzer. Die Straßenbahn zwischen Nürnberg und Fürth durfte vor dem Justizpalast nicht halten. Zu den Prozessen waren nur ausgesuchte Berichterstattende und Zuschauer zugelassen.